"Offensichtlich hat die Landestalsperrenverwaltung aus den Deichrodungen nichts gelernt", kritisiert Norman Volger, umweltpolitischer Sprecher der bündnisgrünen Stadtratsfraktion, in Bezug auf die neu entbrannte Diskussion um den Hochwasserschutz in Leipzig. "Wieder sollen mit der Erneuerung des Nahleauslassbauwerks Tatsachen geschaffen werden, um bestehende Konzeptionen im wahrsten Sinne des Wortes in Stein zu meißeln."
Der Ökolöwe hatte das Thema publik gemacht, nachdem die sächsische Landestalsperrenverwaltung (LTV) angekündigt hatte, das 1970 erbaute Auslasswehr an der Nahle abreißen und in gleicher Dimension neu bauen zu wollen. “Nutzungskonzeptionen müssen aber vor und nicht nach einer Baumaßnahme untersucht werden”, sagt Volger. – “Die Forderungen des Ökolöwen bezüglich einer anderen Bauweise des Nahleauslassbauwerks sind aus ökologischer Sicht vollkommen richtig und unterstützenswert, auch weil die Missachtung europäischen Naturschutzrechts empfindliche Strafen nach sich ziehen kann.”
Denn der Leipziger Auwald braucht tatsächlich die regelmäßigen Überflutungen. Geöffnet wurde das Auslasswehr aber bislang nur ein Mal im Jahr 2011, um den Druck der Januar-Schneeschmelze aus dem Vogtland abzuleiten. Dass dabei tatsächlich nur einige wenige Gebäude überhaupt vom abfließenden Wasser umspült werden, ist selbst dem LTV-Bereichsleiter Axel Bobbe sehr wohl bewusst. An seiner Aufzählung wird erst deutlich, mit welchem teuren technischen Aufwand und mit welchen Begründungen die LTV den technischen Gewässerschutz in Sachsen begründet.
“Die B 186 führt von Dölitz nach Schkeuditz mitten durch den Auwald und wäre von einer Flutung ebenso betroffen wie die Domholzschänke, Schlobachshof sowie die Auenrandbebauung in Böhlitz-Ehrenberg und Leutzsch”, erklärt Bobbe kurzerhand mal in der LVZ. Und verweist auf die zwei eigentlich nur zu wissenschaftlichen Forschungszwecken betriebenen Vernässungsprojekte im Leipziger Auwald, die beide eher ein Alibi sind als auch nur der Ansatz einer nachhaltigen Wiedervernässung des Auwaldes.
“Ob die Bewirtschaftung der Burgaue als ökologischer Polder unter Beachtung möglicher Infrastrukturschäden die gesamtheitlich beste Lösung darstellt, wird jetzt vom LTV-Bereichsleiter Herrn Bobbe angezweifelt”, kommentiert Volker die Aussage. “Der Verweis auf Einzelvernässungsprojekte ist legitim. Allerdings darf man sich fragen, ob sich Herr Bobbe eigentlich noch selbst zuhört. Zum Einen hat der Ökolöwe niemals den Verzicht des Nahleauslassbauwerks gefordert, zum Anderen grenzt es schon an eine Farce, wenn Herr Bobbe ordentliche Untersuchungen bezüglich der Vernässung der Burgaue fordert, aber gleichzeitig die bestehende Situation mit dem Neubau zementiert.”
Denn der Ökolöwe fordert zu recht, das Bauwerk nach den geltenden Absprachen so zu modifizieren, dass eine gesteuerte Flutung der Burgaue erst möglich wird und jedes Jahr auch stattfindet, damit der Auwald sich wieder regenerieren kann. Den Bereich so zu fluten, wie es im Januar 2011 geschah, ist auch dann den Hochwassersituationen vorbehalten.
“Untersuchungen, die im Nachgang stattfinden, sind nichts wert und produzieren Ergebnisse, die an den bestehenden Verhältnissen nichts mehr ändern können oder sie sowieso bestätigen”, stellt Volger fest. “Oder glaubt wirklich jemand, dass die LTV das Nahleauslassbauwerk nach dem Neubau nochmals baut, falls die Vorschläge des Ökolöwen als gesamtheitlich beste Lösung, Ergebnis einer Untersuchung sein sollten?”
Die Zementierung des Bauwerks wäre dann auch ein weiterer Baustein, die Versprechungen aus der sächsischen Landespolitik nach der Jahrhundertflut von 2002 zu unterlaufen, den Flüssen mehr Raum zu geben. Fast 1 Milliarde Euro sind mittlerweile in die Verstärkung der Deiche und technischen Anlagen in Sachsen geflossen, Rückverlegungen von Deichen und mehr Raum für die Flüsse gab es fast nicht. Was logischerweise für jedes weitere Hochwassergeschehen dieselben alten Szenarien ergibt: Einen wilden “Kampf um die Deiche” gerade da, wo man den Flüssen wieder Raum hätte geben können.
“Wir fordern eine Klärung über den Status und die Nutzung der Burgaue, bevor alles in Beton gegossen ist”, sagt Volger.Der Ökolöwe hat in einer Stellungnahme noch einmal konkretisiert, worum es beim Neubau des Nahlewehrs eigentlich geht.
Denn was jetzt wieder in Beton gegossen werden soll, läuft den Szenarien im Hochwasserschutzkonzept zur Weißen Elster von 2004 entgegen. Dadurch vergibt die landeseigene LTV die einmalige Chance, einen Schritt von ihrem technisch interpretierten Hochwasserschutzkonzept im Leipziger Auengebiet zurückzutreten.
“Gerade sie selbst hatte einst für die Burgaue eben jene ökologische Variante in Betracht gezogen, die der Ökolöwe in seiner fachlichen Stellungnahme zum Ersatzneubau einfordert und gegen die sie jetzt mit fadenscheinigen Argumenten anredet. Stattdessen schürt Bereichsleiter Axel Bobbe in der LVZ die Hochwasserängste der Waldanrainer und übergeht berechtigte Sorgen des Naturschutzes um eine weitere Austrocknung des FFH-Schutzgebiets”, so der Leipziger Umweltbund. “Damit gibt sich der Leipziger Umweltbund Ökolöwe nicht zufrieden. Er erwartet durch die künstliche Stauwirkung des Bauwerkes ein weiteres Trockenfallen des Auwaldes und eine erhöhte Hochwassergefahr.”
“Uns geht es jetzt vor allem um den Erhalt der Option zur Auwald-Flutung. Das Wehr sollte voll steuerbar sein und kann bis zur Fertigstellung eines umfassenden Auwald-Konzeptes einfach abgeriegelt werden. Dann entstehen auch keine Schäden an der Bebauung”, sagt Holger Seidemann, Vorstandsmitglied des Ökolöwen.
Eigentlich wurden im Entwurf für das Hochwasserschutzkonzept von 2004 bereits in Grundzügen die verschiedenen möglichen Szenarien zur Flutung der Leipziger Nordwestaue vorgestellt. In diesem Papier ging man sogar davon aus, dass nur wenige schutzwürdige Objekte im Auwald existieren. Für sie war ein individueller Schutz per Ringdeich vorgesehen, die Potentiale für den Naturschutz sollten ausgelotet werden. Für die bestehenden Straßentrassen mit möglicher Stauwirkung – wie die B186 – waren bereits Durchlässe angedacht.
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Holger Seidemann kritisiert diesbezüglich das Vorgehen der Behörde bei der Prüfung und Umsetzung ihrer eigenen Szenarien: “Seit vielen Jahren laufen nun mehrere Machbarkeits-Studien und Modellprojekte zur Wiedervernässung des Auwaldes. Deren Ergebnisse sind nicht in Sicht. Wir gehen davon aus, dass die LTV hier auf Zeit spielt, um die gesetzlich vorgesehenen, aufwendigen Beteiligungsverfahren mit ungewissem Ausgang vermeiden zu können.”
Demgegenüber stünden aber im Landeshaushalt großzügige Finanzmittel für den technischen Hochwasserschutz, mit Deichanlagen und anderen Großbauwerken. Das bedauert Seidemann: “Der Sächsische Landeshaushalt platzt fast vor Fördermitteln zum technischen Hochwasserschutz. Die Ausgabereste aus den vorhergehenden Jahren stauen sich. Diese müssen offensichtlich schnell ausgegeben werden. Unser Auwald wird damit zum Spielball der Bürokraten. Kurios lesen sich immer noch die behördlichen Kostenabwägungen zur einseitigen Förderung des technischen Hochwasserschutzes. Jeder Sportplatz wird umfassend bilanziert und gilt als schutzwürdig. Austrocknungsschäden am Auwald werden hingegen mit dem Wert ‘Null’ in die Kostenbetrachtungen eingestellt und finden dann keine Beachtung mehr.”
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