"Neue Nutzungsvorstellung für Areal an der Berliner Straße Ecke Wittenberger Straße" stand über der Mitteilung aus der Dienstberatung des OBM. Es ging um die Aufhebung des Vorhaben- und Erschließungsplanes (VE-Plan) Nr. 108 "Bürohaus Berliner Straße Ecke Wittenberger Straße" gemäß Baugesetzbuch. Der Stadtrat soll darüber in seiner Sitzung am 20. März befinden. Die meisten Leipziger werden sich an die Pläne zum Bau eines großen Bürohauses an der Stelle gar nicht mehr erinnern.

Denn der Plan dazu stammt noch aus der Goldgräberzeit 1993 bis 1995, als die Kohl-Regierung die Schleusen für Steuerabschreibungen im Osten ganz, ganz weit öffneten und überall in der von Industrie befreiten Landschaft nun die Büroburgen aus dem Boden gestampft wurden – die meisten draußen auf den Äckern vor der Stadt. Einige aber auch in innerstädtischen Brachen – wie in der Ostvorstadt, wo zuvor schon die Abrissbrigaden der DDR-Zeit für freies Bauland gesorgt hatten.

Das alles sehr chaotisch, ohne wirklich greifende Steuerung, die auf lange Sicht auch innerstädtische Gewerbegebiete gestärkt, verdichtet und logistisch attraktiv gemacht hätte.

Das hatte auch für das Eutritzscher Gewerbegebiet Folgen. Nicht nur der Plan, an der Ecke Berliner Straße / Wittenberger Straße eine wichtige Architekturmarke zu setzen, scheiterte. Auch ein Großteil des restlichen Gewerbegebietes stand und steht leer bis heute. Städtische Initialzündungen fehlen. Selbst wertvolle Wohnsubstanz wie in der Zerbster Straße stand noch vor wenigen Jahren zum Abriss – bis die Bürger auf die Straße gingen und den Verkauf der Gebäude an einen interessierten Investor erstritten.

Vieles, was Anfang der 1990er Jahre als Projekt durch die Luft waberte, hat sich mit dem Auslaufen der großen Abschreibungsmodelle erledigt. Schon Mitte der 1990er Jahre weigerte sich augenscheinlich die zuständige Bank, dem Investor für sein Bürohaus eine Finanzierungszusage zu machen. Da ließ dann auch die Stadt ihren Vorhaben- und Erschließungsplan lieber gleich in der Schublade und machte ihn gar nicht erst bekannt.

“Daraufhin ruhte zunächst der Abschluss des Verfahrens bis zur Bekanntmachung der Satzung im Amtsblatt Nr. 5 vom 4.3.2000”, heißt es in der Stellungnahme des Stadtplanungsamtes aus dem Dezember 2012. Zuvor war das Gelände beräumt worden.
Am 18. Januar 1994 hatte durch das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege die Genehmigung zum Abbruch der auf dem Grundstück vorhandenen baulichen Anlagen erteilt. Am 31. Juli 1996 erteilte das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege die vorzeitige Baugenehmigung zur Durchführung des Vorhabens mit der aufschiebenden Bedingung des Nachweises der erforderlichen Sicherungsbürgschaft in einer Gesamthöhe von 370.000 DM.

Doch da die Sicherungsbürgschaft weder im Zeitraum der Geltungsdauer der Baugenehmigung noch im Zeitraum der bis 31. Juli 2000 mehrfach erfolgten Verlängerung der Baugenehmigung vorlag, ist die erteilte Baugenehmigung auch nicht wirksam geworden, erläutert das Stadtplanungsamt.

Eine weitere Verlängerung der Baugenehmigung wurde auch nicht mehr beantragt. Lakonische Feststellung im Erläuterungstext: Der Vorhaben- und Erschließungsträger ist inzwischen insolvent.

Damit waren die Träume von einem Bürogebäude mit bis zu acht Vollgeschossen und einer Nutzfläche von 10.500 m² für Büros, TV-Studio und sowie einem Boardinghouse mit 64 Zimmern und einer Tiefgarage mit 134 Stellplätzen endgültig geplatzt. Wenn man bedenkt, dass es damals Dutzende solcher Projekte gab (erst kürzlich wurde ja auch das gigantische in der Delitzscher Straße geplante Business Centre aus den schlafenden Bauvorhaben gestrichen), bekommt man so eine Ahnung davon, wie ziellos in den 1990er Jahren oft mit den verfügbaren Subventionen und Steuererleichterungen umgegangen wurde. Es gab für den kompletten Osten keine Handlungsstrategie. Die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl ging einfach von der These aus, dass man Investoren lediglich mit kräftigen Steueranreizen locken müsse, dann würden sie im Osten ein Feuerwerk entfachen und das erzeugen, was der große Kanzler den Ostdeutschen als “blühende Landschaften” versprochen hatte.Geworden sind es lauter Center und Parks, fast alle außerhalb der Zentrenstrukturen entstanden. Und ohne irgendein koordinierendes Element, das auch nur vorsichtig ein nachhaltiges System in die Investitionen gebracht hätte.

Das Bürohaus an der Berliner Straße ist letztlich an einem ganz simplen Effekt gescheitert: Als es spruchreif wurde, waren in Leipzig schon Büroflächen mit mehreren Hunderttausend Quadratmetern Fläche im Bau. 1998 war der Markt für Büroflächen nicht nur gesättigt – zehntausende Quadratmeter hochmoderner Büros standen leer.

Logisch, dass keine Bank mehr eine Zukunft für das “Büro- und Servicecenter” an der Berliner Straße sah. Das einzige, was wuchs, waren Büsche und Bäume. “Aufgrund der langen Brachzeit hat sich inzwischen ein größerer Gehölzbestand auf dem Grundstück entwickelt”, merkt das Stadtplanungsamt an. “Der Vorhaben- und Erschließungsträger hat den Vorhaben- und Erschließungsplan nicht innerhalb der vereinbarten Frist durchgeführt und ist inzwischen insolvent. In Folge dessen ist die Stadt angehalten, den VE-Plan Nr. 108 unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 6 Baugesetzbuch (BauGB) aufzuheben.”

Das klingt, als hätte die Stadt irgendeine Aktie daran, dass hier vielleicht etwas entstanden wäre. Hat sie nicht. Dabei hätte sich das Gewerbegebiet an der Eutritzscher Straße geradezu angeboten zur zielstrebigen Entwicklung eines innerstädtischen Gewerbegebiets mit Mischnutzung. Mit der Straßenbahn Linie 9 ist es direkt ans Stadtzentrum angebunden. Der Straßenbahnhof Wittenberger Straße befindet sich fast nebenan – nur das mittlerweile als Kreativzentrum genutzte Gebäude einer alten Strickwarenfabrik ist dazwischen.

Die Vorlage spricht zwar von “heutigen stadtentwicklungspolitischen Zielen”, zu denen das Bürohaus nicht mehr passen würde. Aber so recht greifbar sind sie in Eutritzsch nicht, diese Ziele. Das einzige, was greifbar ist: “Durch die Aufhebung des VE-Planes wird wieder eine wie in der Nachbarschaft vorgeprägte gewerbliche Nutzung des Areals ermöglicht.”

Da hätte schon mehr stehen können. Aber Eutritzsch gehört zu jenen Leipziger Ortsteilen, die nicht wirklich im Fokus der strategischen Stadtplanung liegen.

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