Im September eröffneten die "Höfe am Brühl". Doch schon vor Eröffnung deutete sich an, dass nicht alles so sein würde, wie zuvor mit der Stadt abgesprochen. Am 18. Juli gab die CDU-Fraktion einen Antrag ins Verfahren, frisch betitelt: "Modernisierung der rechtlichen Grundlagen zur Werbung in Leipzigs Innenstadt". Dabei ging es nur um ein riesiges Werbedisplay, das die LVZ mit dem Center zusammen am Hallischen Tor betreiben will.
Es kam in den Architekturentwürfen nicht vor. Wäre auch nicht genehmigungsfähig gewesen, denn es verstößt gegen die geltende Werbesatzung der Stadt, die 1993 rechtsverbindlich eingeführt wurde. Das ist schon ganz schön lange her, scheint es. Aber nicht nur die Stadtverwaltung hat den Eindruck, dass man damals die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt hat und in der Leipziger City eine Werbeflut, wie sie andere Innenstädte insbesondere in Westdeutschland überschwemmt hat, verhindert hat. Vieles, was in der ersten Sitzungsperiode des Leipziger Stadtrates beschlossen wurde, baut ja nicht auf hübschen Einfällen in Hinterzimmern auf. Mit Hinrich Lehmann-Grube, der seine Verwaltungskarriere in Hannover gemacht hatte, hatte man auch einen Mann, der die ganzen Grabenkämpfe um eine moderne Großstadt schon kannte. Und der auch wusste, dass ein paar klare Regeln, an die sich alle halten müssen, sogar positive Effekte haben. Eben auch für eine Innenstadt, die nicht nur von Touristen als Erlebnis und tolle Kulisse erlebt wird.
Aber mit mfi, einem der größten Erbauer von Einkaufs-Centern in Deutschland, drängte unübersehbar die Philosophie amerikanischer Einkaufs-Malls in die Stadt. Die Leipziger kennen es vom Saalepark, der mittlerweile “nova eventis” heißt, das Paunsdorf Center war die erste Mall auf städtischem Grund – mfi baut es gerade für Millionen Euro um zu einer noch schlüssigeren Variante einer komplett auf sich selbst orientierten Mall.
Und was mfi 2008 als künftige “Höfe am Brühl” vorstellte, hatte mit Höfen auch im Leipziger Sinn nichts mehr zu tun. Es war von Anfang an der Ansatz, die Mall-Idee, die einst für Einkaufs-Center in der US-amerikanischen Provinz erfunden wurde, mitten in der City zu platzieren. Übrigens ein Trend, der mittlerweile in ganz Deutschland zu beobachten ist. Die Ursache ist simpel: Mit den demografischen Veränderungen und den kommenden Veränderungen auch in der Mobilität (steigender Ölpreis) verlieren die rein auf Autokunden getrimmten Center und Malls im ländlichen Raum perspektivisch ihre Kundschaft.
Während die großen Metropolstädte, zu denen auch Dresden und Leipzig gehören, nicht nur Zuwanderung verzeichnen, sondern auch in der zentralen Anbindung für das Käuferverhalten in der Region immer stärker werden.
Es wird umverteilt. Und da wollen alle mit dabei sein, wenn es um das Geld der Konsumenten geht. Auch die LVZ. Die Leipziger Tageszeitung hat schon frühzeitig mit dem Centermanagement der “Höfe am Brühl” einen Deal ausgehandelt, der darauf hinaus läuft, die geplante Riesen-Werbetafel mit Blickrichtung Gerberstraße mit Inhalten zu bestücken. Ein Deal zu beiderseitigem Vorteil. Die einen bekommen Anteil am dort laufenden Werbebudget, die anderen bekommen einen medialen Fürsprecher in der Stadt, der seine Fäden zieht, um die blinkernde Werbetafel im XXL-Format zu ermöglichen.So geschehen via CDU-Fraktion, die den Antrag stellte, der ein doppelter war.
“1. Die ganzjährige Nutzung der geplanten Screen-Werbeanlage ‘Höfe am Brühl’/Am Hallischen Tor wird zugelassen.” und “2. Die Verwaltung erarbeitet eine Werbesatzung für die Leipziger Innenstadt. Diese ersetzt die §§ 10 und 11 der seit 1991 geltenden Gestaltungssatzung für die Innenstadt.”
Der Punkt 1 bezieht sich auf ein Zugeständnis, das OBM Burkhard Jung der Centerleitung von mfi schon im Vorfeld gemacht hatte: Er hatte zugestanden, dass entweder ein Display oder entsprechende Blow-up-Transparente im XXL-Format zu besonderen Werbeaktionen maximal 12 Wochen im Jahr aufgehängt / zu sehen sein dürften.
Die Einschränkungen, die er auch mit diesem Zugeständnis verbunden hatte, hat die Verwaltung jetzt in einer Stellungnahme zum CDU-Antrag formuliert. Im Zugeständnis war nämlich nichts von einem flackernden Informations- und Werbe-Angebot angedacht. Da ging es um eine ruhige Werbung. Anderes kommt, so der Standpunkt der Verwaltung, schon rechtlich nicht in Betracht.
Schon die Genehmigung für ein Blow-Up oder LED-Screen befristet für höchstens 12 Wochen insgesamt pro Jahr für regelmäßig stattfindende Saison-, Räumungs- oder Jubiläumsverkäufe, für Geschäftseröffnungen sowie für Veranstaltungen kultureller Art ist eine Ausnahme, betont die Verwaltungsspitze. “Eine Befreiung von den textlichen Festsetzungen TF 9.5 des Bebauungsplanes Nr. 45.5 – 1. Änderung für eine ganzjährige Nutzung der geplanten Screen-Werbeanlage ist städtebaulich nicht vertretbar, da ein ohne zeitliche Begrenzung betriebener LED-Screen eine erhebliche städtebauliche Relevanz besitzt und eine Vorbildwirkung für eine ungewollte städtebauliche Entwicklung erzeugen könnte, die dann nach den geltenden Vorschriften nicht mehr zu verhindern wäre.”
Gründe des Allgemeinwohls kämen auch nicht in Betracht. Und eine unbeabsichtigte Härte sei es wohl auch nicht, wenn die “Höfe am Brühl” keine XXL-Werbefläche bekämen.
“Der geplante LED-Screen im Dauerbetrieb bestimmt aufgrund seiner Größe und mit seiner Aufmerksamkeit erzeugenden optischen Wirkung (bewegte und leuchtende Bilder) das Ortsbild und stellt damit den bestimmenden Faktor für alle geplanten Werbeanlagen in seinem Einwirkungsbereich dar”, stellt die Verwaltung fest. “Darüber hinaus befindet sich der Werbestandort am von insbesondere auch von ortsunkundigen Verkehrsteilnehmern stark befahrenen Knotenpunkt Gerberstraße/Tröndlinring/Am Hallischen Tor/Willy-Brand-Platz, der eine hohe Aufmerksamkeit fordert. Hierbei sind bei einer ganzjährigen Nutzung der LED-Werbeanlage ablenkende Gewöhnungseffekte nicht auszuschließen.”
Heißt im Klartext: Die Verwaltung befürchtet – wohl zu recht – dass die blinkernde Werbung eine Reihe von Verkehrsunfällen an einer sehr sensiblen Kreuzung nach sich ziehen wird.
Man wirbt ja nicht, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.Deswegen hatte die CDU-Fraktion als zweiten Punkt die Erneuerung der Werbesatzung beantragt: Wenn man für alle neue Werberegeln schafft, kann ja auch mfi in XXL werben. – Aber das wird weder schnell gehen noch möglicherweise das Ergebnis zeitigen, dass sich die Antragsteller wünschen.
Denn das Planungsdezernat der Stadt schätzt in der Stellungnahme auch ein, dass die keineswegs überholte oder gar unmoderne Werbesatzung von 1993 augenscheinlich gute Effekte für die City gebracht hat.
“Die Möglichkeit zu werben gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen einer funktionierenden Marktwirtschaft; dennoch muss ein Mindestmaß an Regeln vorgegeben sein, um vor unerwünschten Folgen zu schützen”, heißt es in der Stellungnahme. “Für eine Stadt wie Leipzig ist es wichtig, Lebensqualität zu vermitteln. Die Attraktivität eines Standortes hängt entscheidend davon ab, wie sich Räume kulturell definieren und im Stadtbild präsentieren. Reizvolle Räume von hohem Gestaltwert und großer Aufenthaltsqualität, gebildet von sorgfältig restaurierten Baudenkmalen und interessanten Neubauten, sind der beste Garant dafür, die Innenstadt als Mittelpunkt des städtischen Lebens mit hohem Wiedererkennungswert zu erhalten. Die spannungsvolle Abfolge von Straßen, Plätzen und Gassen mit ihren Gebäuden machen gleichermaßen für Einheimische wie auch für Besucher den Wiedererkennungswert der Stadt Leipzig aus.”
Das war in den letzten 20 Jahren immer Konsens.
“Nach nunmehr fast 20-jähriger Handhabung der Werbevorschriften in den §§ 10 und 11 kann man einschätzen, dass es – ganz im Sinne der Präambel der Satzung – gelungen ist, ‘die vorhandenen Werte zu schützen und zugleich eine weitere geordnete Entwicklung des Leipziger Stadtzentrums möglich zu machen'”, heißt es weiter in der Stellungnahme. “Der beschrittene Weg hat gezeigt, dass es möglich ist, sowohl die Dominanz der Architektur des Einzelgebäudes zu bewahren, als auch die Interessen der Werbenden zu erfüllen. Diese symbiotische Verbindung von Werbung und Architektur erfreut sich stetiger Wertschätzung von Touristen der Stadt und von Fachkollegen
aus der gesamten Bundesrepublik.”
Wer durch Leipzigs Innenstadt läuft, kann das bestätigen. Hier dominiert nicht nur der Kommerz. Hier kommt auch die Architektur zu Geltung. Die Stadt hat – was jeder Tourismusbericht bestätigt – ihr unverwechselbares Flair.
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Deswegen – so die Stadtverwaltung in ihrer Stellungnahme, werde man eine Novellierung der Werbesatzung auch nicht übers Knie brechen. Fast beiläufig verweist sie auch darauf, dass das Argument der CDU-Fraktion nicht stimmt, man habe auf deren Antrag von 2000 zur Erneuerung der Werbesatzung nicht reagiert. Die jüngste Fassung wurde erst 2009 im Amtsblatt veröffentlicht. Außer der CDU-Fraktion sah kaum eine andere Fraktion die Notwendigkeit, der Werbeflut in der Leipziger City durch neue Paragraphen nun Tür und Tor zu öffnen.
Die Stadtspitze gesteht zu, dass man durchaus auch auf die Veränderung in heutigen Werbeformaten – wie eben großen Displays reagieren könne. Aber sie schlägt zu einer Novellierungs-Debatte der Werbesatzung für die City ein geregeltes Verfahren vor.
Stufe 1: Erfassung des Ist-Zustandes der vorhandenen Werbeanlagen im Leipziger Stadtzentrum
Stufe 2: eine Werkstatt mit Stadträten, Architektenkammer, Stadtforum, Denkmalpflege, IHK, City e.V., Wirtschaftsförderung und Werbewirtschaft im 1. Halbjahr 2013. Diskussionsgrundlage bilden die Vorstellung des Ist-Zustandes sowie Szenarien für die zukünftige Steuerung.
Stufe 3: Erarbeitung der Werbesatzung auf Grundlage der Ergebnisse der Werkstatt im 2. Halbjahr.
Stufe 4: Öffentliche Auslegung und Satzungsbeschluss durch Ratsversammlung Ende 2013.
Vorher müsste freilich die Mehrheit des Stadtrates davon überzeugt werden, dass eine Novellierung der Werbesatzung notwendig ist. Wer freilich Las Vegas in Leipzig haben will, stimmt dann mit “Ja”. Wem das Flair dieser Stadt am Herzen liegt, der stimmt dann wohl eher mit “Nein”.
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