Stadtteilgeschichte ist auch Sportgeschichte. Deshalb zählt die "Turn- und Sportbewegung" zu den zehn Themen, von denen die aktuelle Ausstellung "Leipziger Westen. Aufstieg und Glanz um 1900" erzählt. Im Mittelpunkt steht Turnvater und Armenarzt Ferdinand Goetz, sein Wohnhaus in der Lützner Straße 11 darf auf Wiederbelebung hoffen.

Seit dem 2. Oktober 2012 wird in den Räumen des Ökumenischen Kirchencafés in der Karl-Heine-Straße 110 in Lindenau die Ausstellung “Leipziger Westen. Aufstieg und Glanz um 1900” gezeigt. Lindenau und Plagwitz glänzten damals in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Zu diesem großen Panorama einer Stadtlandschaft, die die Ausstellungsmacher um Projektleiterin Angelika Pohler gemeinsam mit vielen Partnern zeichnen will, gehört auch der Sport.

Deshalb dankte Dr. Gerlinde Rohr, Leiterin des Leipziger Sportmuseums, bei der Ausstellungseröffnung, “dass Turnen und Sport in der Stadtteilgeschichte nicht vergessen werden”. Dann würde ja auch etwas Wesentliches fehlen. Das ausgehende 19. und das beginnende 20. Jahrhundert charakterisierte Gerlinde Rohr als die “Zeit, wo sich die Turn- und Sportbewegung erst etabliert hat”. Dass sich schrittweise modernisierende und urbanisierende Lindenau ist ein Beispiel für diese gesellschaftliche Neuerung, so Rohr weiter.Im Mittelpunkt des Geschehens steht Ferdinand Goetz (1826 – 1915). Der Mediziner war ein Zeitgenosse und wohl auch Freund des örtlichen Industriepioniers Karl Heine, des – wenn man so will – Gründungsvaters des Leipziger Westens. Doch Goetz ging es nicht nur um die Gesundheit seiner überwiegend nicht so gut betuchten Lindenauer Patienten. Der “Töpfchen-Doktor” sorgte sich um Hygiene, auskömmliche Ernährung und angemessene Lebensverhältnisse.

Darüber hinaus hatte sich Goetz schon früh der im 19. Jahrhundert aufkommenden Turnbewegung verschrieben. Eine “Instanz des deutschen Turnens” nannte ihn die Sporthistorikerin Rohr.

Turner brauchten auch damals vor allem eines, nämlich Platz, wie Gerlinde Rohr betonte. Da traf es sich, dass bei der Erschließung des Leipziger Westens ein Turnenthusiast zu den örtlichen Entscheidern zählte. Im Jahre 1861 konnte dank des Goetzschen Engagements in Lindenau an der heutigen Endersstraße eine Turnhalle eingeweiht werden. Das war insofern eine Novität, weil es die erste Turnhalle in einer Landgemeinde war. Denn Lindenau lag damals noch vor den Toren Leipzigs.Nutzer dieser Halle war der Männerturnverein Lindenau, kurz MTV. Dessen Ursprünge gehen bis auf 1848 zurück, als im Revolutionsjahr Vereinsgründungen gerade wieder einmal erlaubt waren.

Diese Vereinstradition lebt bis heute fort: in Gestalt des SV Lindenau 1848. Insofern sind die Blau-Weißen vom Charlottenhof nach dem Allgemeinen Turnverein von 1845 (ATV) der zweitälteste Verein Leipzigs.

Goetz-Haus darf auf Wiederbelebung hoffen

Goetzens ehemaliges Wohnhaus in der Lützner Straße 11 dämmert hingegen schon seit einiger Zeit in einem Dornröschenschlaf vor sich hin. Die hoffnungsvolle Neueröffnung zum Deutschen Turnfest 2002 trug nicht auf Dauer.

Derzeit gebe es “ernsthafte Überlegungen in der Stadt Leipzig, das Goetz-Haus zu beleben und auch die Sportgeschichte dort zu etablieren”, so Gerlinde Rohr am Dienstagabend zu L-IZ.
Fußball am Cottaweg: Meisterschaft und DFB-Gründung

Doch Lindenau gehört nicht nur des Turnens wegen zu den wichtigen Orten aus der Frühgeschichte des deutschen Sports. Auch davon berichtet die Ausstellung.

Seit 1892 wurde das Areal westlich des Cottawegs sportlich genutzt. Alles begann mit einer Radrennbahn auf dem heutigen Kleinmessegelände. Später kamen Fußball- und Hockey-Felder hinzu. Betrieben wurde das Areal von dem “Verein Sportplatz Leipzig”.

Das war kein Sportverein im eigentlichen Sinn, sondern so etwas wie die Betreibergesellschaft für das Gelände. Die Nutzung stand jedem Leipziger Verein offen. “Die Leipziger konnten immer über den Tellerrand hinausschauen”, lobte Gerlinde Rohr das damalige Handeln ohne Vereinsegoismen.

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Zu den frühen Nutzern des Areals am Cottaweg zählte übrigens auch der VfB Leipzig. Der wurde im Jahre 1903 erster deutscher Fußballmeister. Dessen Tradition führte heute in Probstheida der 1. FC Lokomotive fort.

Bekanntermaßen war Leipzig auch der Gründungsort des Deutschen Fußball-Bundes. Am 28. Januar 1900 fand das historische Ereignis im Restaurant Mariengarten statt. Nach den Nachforschungen von Gerlinde Rohr wurde die Verbandsgründung 1899 am Cottaweg verabredet: zwischen dem Deutschen Patriotenbund und der deutschen Sportbehörde, und zwar am Rande eines Turniers zur Unterstützung des zu errichtenden Völkerschlachtdenkmals. Da war die Zeit also schon vorbei, als Fußball der Spleen polyglotter und anglophiler Freigeister war, die der nationalistischen Enge im Kaiserreich sportlich etwas entgegensetzen wollten.

www.kirchencafe.net

www.sportmuseum-leipzig.de

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