Es ist in der Verkehrspolitik wie in der Energiepolitik - den Entscheidern in Deutschland fällt es schwer, sich von ihren gewohnten Konzepten zu verabschieden. Damit verhindern sie aber Veränderungen, die dringend notwendig sind. Auch im Stadtverkehr von Leipzig. Nur auf den ersten Blick ist ein neues Parkhaus in der Westvorstadt eine gute Idee.

Voraussichtlich Mitte 2012 soll die für den beabsichtigten Bau eines weiteren Medizinischen Versorgungszentrums, kombiniert mit einem Vollsortimenter sowie einem rund 350 Stellplätze umfassenden Parkhaus an der Ecke Käthe-Kollwitz-Straße/Thomasiusstraße notwendige Änderung des Bebauungsplanes Friedrich-Ebert-Straße öffentlich ausgelegt werden. Aber schon im Vorfeld dazu, will die Stadt mit dem Investor einen Vertrag zum Parkhaus abschließen. Da maximal 290 Stellplätze künftig öffentlich sein sollen, will die Stadt das Bauvorhaben “Parkhaus” mit bis zu 1,2 Millionen Euro aus der zweckgebundenen Rücklage “Stellplatzablösebeiträge” unterstützen. Bevor der Verwaltungsausschuss darüber Anfang Juni 2012 endgültig entscheiden soll, wurde die Vorlage des Oberbürgermeisters auf der letzten Sitzung des Stadtbezirksbeirates Mitte beraten.

Da kann der Stadtrat hundertmal beschließen, der Umweltverbund solle im Leipziger Verkehr künftig die Priorität bekommen – stets taucht wie der Kaspar in der Puppenbühne das große “ABER!”-Schild auf. Und der motorisierte Verkehr treibt die Stadtplaner zu höchster Besorgnisstufe.

Die Stadt begründet die finanzielle Unterstützung des Bauvorhabens damit, dass der “hohe Parksuchdruck” im Umfeld der Kneipenmeile Gottschedstraße, der Kultureinrichtungen Scala und Centraltheater sowie der Medica-Klinik durch die Bereitstellung von bis zu 290 öffentlichen Stellflächen im Parkhaus abgebaut werden könne.

Weshalb die Stadt die Notwendigkeit von 290 öffentlicher Stellplätze neuerdings erkennen mag, erschließt sich Tim Elschner, Mitglied des Stadtbezirksbeirates Mitte von Bündnis 90/Die Grünen, trotzdem nicht: “Ich vermisse belastbares Datenmaterial für diese Annahme. Ein Bedarfsgutachen, dass diese Behauptung stützen würde, konnte nicht vorgelegt werden.”
Elschner hält es in diesem Zusammenhang zwingend notwendig, die ganztägige Auslastung der Parkhäuser und Tiefgaragen insbesondere im Umfeld der Gottsched- und Bosestraße bei den jeweiligen Betreibern abzufragen und zu analysieren. Er verweist auf die dort vorhandenen zahlreichen Parkmöglichkeiten im Radius von 600 Metern.

Elschner moniert außerdem, dass es des Weiteren keine konkrete Aussagen hinsichtlich einer etwaigen Parkraumbewirtschaftung im Umfeld des geplanten Parkhauses gibt. Denn bekanntlich könne nur mit einem zielgerichteten Konzept zur Parkraumbewirtschaftung der Parksuchverkehr auch wirksam abgebaut werden und gegebenenfalls in das Parkhaus gelenkt werden. Elschner: “Ein Parkhaus in das nachher keiner fährt, ist auch keine finanzielle Unterstützung seitens der Stadt wert.”

Elschner zeigt sich darüber hinaus mehr als verwundert über die konkreten Festlegungen im Vertragstext hinsichtlich öffentlicher Stellplätze und insbesondere Stellplätzen, die dauerhaft an Anwohner vermietet werden sollen. Vertraglich soll dem Bauherrn eine Dauervermietung von nun nur noch 58 Stellplätzen erlaubt werden. Die vertraglichen Angaben stehen in offensichtlichen Widerspruch zum Bauantrag, zum Lärmschutzgutachten vom Mai 2011 und zu den Aussagen des Investors auf dem Bürgerforum vom 10. November 2011.

Elschners Frage dabei: “Wollte der Investor Johann Wagnermeyer mit dem geplanten Parkhaus nicht insbesondere Stellplätze für Anwohner schaffen? Bauantrag und Lärmschutzgutachten vom Mai 2011 gehen jedenfalls von 274 Stellplätzen allein für Anwohner aus.”

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Die Investitionsbeihilfe der Stadt wäre also mit 1,2 Millionen Euro völlig überhöht.

Auch auf dem Bürgerforum vom 10. November 2011 bekräftigte Johann Wagnermeyer nochmals sein Ansinnen und warb dementsprechend für das geplante Bauvorhaben. Der Bedarf an Anwohnerparkplätzen im Umfeld des Bauvorhabens sei groß, ließ er interessierte Bürgerinnen und Bürger wissen. Er unterlegte dies in der Veranstaltung außerdem mit konkreten Zahlen: Die 84 Stellplätze auf dem Bauareal seien derzeit komplett vermietet. Bereits weitere 72 Interessenten hätten sich für einen Stellplatz zudem auf ein Warteliste setzen lassen.

Für Elschner sind deshalb die jetzt im Vertragstext gemachten konkreten Festlegungen schlicht nicht nachvollziehbar. Eine Antwort auf seine Nachfrage, weshalb mit dem Parkhausbau nun andere Ziele verfolgt werden, bekam er auf der letzten Sitzung des Stadtbezirksbeirates Mitte nicht.

Elschner kritisiert, dass es für den Bereich des Bebauungsplanes Friedrich-Ebert-Straße sowie im Umfeld des Bauvorhabens bis zum heutigen Tag keine aktuellen und damit belastbaren Erhebungen zum Parkverhalten und zum Kfz-Bestand der Anwohner gibt. “Das Lärmschutz-Gutachten dürfte damit fehlerhaft sein, denn indem nun das Parkhaus vor allem öffentliche Stellplätze bereithält, erhöht sich die Anzahl der Umlaufbewegungen hinsichtlich der Einfahrt in und bei Fahrt aus dem Parkhaus signifikant,” befindet Elschner.

Zusammen mit den zwei Vertretern der SPD votierten die Grünen-Stadtbezirksbeiräte Tim Elschner und Alrun Tauché gegen die Vorlage. Die beiden Mitglieder des Beirates von der Links-Partei enthielten sich. Die beiden CDU-Vertreter stimmten der Vorlage zu.
Die neue Begründung der Stadt als PDF zum download.

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