Wรคhrend einer Rede vor Tausenden in Grimma wurde Sachsens Ministerprรคsident am Dienstag ausgebuht, erhielt aber auch Applaus. Die โ€žFreien Sachsenโ€œ veranstalteten vor Ort ihren eigenen Protest, nachdem ein vermeintlich neutrales โ€žBรผrger-Bรผndnis ohne Ideologieโ€œ eine Demo gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung angekรผndigt und sich von ihnen abgegrenzt hatte. Auf und vor der Bรผhne geriet dann so manches aus dem Lot.

Kretschmers erster Auftritt bei einer angemeldeten Demonstration seit langer Zeit

Sachsens Ministerprรคsident Michael Kretschmer (CDU) hat am Dienstag auf einer Demonstration in Grimma unter dauerhaften Buhrufen die Sanktionen gegen Russland verteidigt und fรผr Vertrauen in die Bundesregierung geworben. Dabei teilte er deutlich gegen die rechtsextremen โ€žFreien Sachsenโ€œ aus, die ebenfalls auf dem Grimmaer Markt vertreten waren. Laut mehreren Medienberichten hatten sich insgesamt bis zu 3.000 Menschen in Grimma versammelt.

Den Protest hatte der Dachdeckermeister Johannes Heine angemeldet, der fรผr die Freien Wรคhler im Stadtrat von Grimma sitzt. Ein riesiges Plakat mit der Aufschrift โ€žEnergie statt Ideologieโ€œ zierte die Bรผhne und manifestierte das Kernanliegen der Redner/-innen.

โ€žAuf die ideologiegetriebenen Experimente der Regierung kรถnnen wir in Sachsen verzichten, denn wir wissen, wie sowas ausgehen kannโ€œ, sagte etwa der Prรคsident der Leipziger Handwerkskammer, Matthias ForรŸbohm, unter Applaus.

Neben dem Handwerkskammerchef konnte Lokalpolitiker Heine zahlreiche weitere Vertreter/-innen der ansรคssigen Politik und Wirtschaft fรผr seinen โ€žBรผrger-Protestโ€œ zusammentrommeln.

Auf der Bรผhne sprachen neben Grimmas Oberbรผrgermeister Matthias Berger (parteilos) und CDU-Landrat Henry Graichen auch Sachsens ehemaliger Bauernprรคsident Wolfgang Vogel, Sachsens Ex-Grรผnen-Chefin Antje Hermenau, Wurzens neuer Oberbรผrgermeister Marcel Buchta (parteilos) und der Prรคsident der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig, Kristian Kirpal.

Ein Livestream vom 18. Oktober 2022 aus Grimma

Halbwahrheiten und Panikmache

Insbesondere Antje Hermenau hatte dann jedoch eher keine Lust, sich an das Veranstaltungsmotto zu halten. Unter groรŸem Applaus teilte sie ihre Kenntnisse รผber die aktuelle Energiepolitik und damit Halbwahrheiten mit, die weitere Angst schรผren sollten.

So erklรคrte sie, dass das Stromnetz in Deutschland kurz vor dem Zusammenbruch stรผnde, wann der Zusammenbruch kรคme, war nicht zu hรถren. AnschlieรŸend ging die heutige Wirtschaftsberaterin auf eine einzige Gas-Liefervereinbarung ein, welche in den letzten Wochen Thema war: die mit Saudi-Arabien. Zur hierbei vereinbarten, geringen Liefermenge sagte sie: โ€žWissen Sie wie viel das ist, ein Tag. Die haben nichts im Griff und Sie mรผssen sich vorbereitenโ€œ.

Dass es weitere Liefervereinbarungen mit anderen Lรคndern gibt, vergaรŸ die ehemalige Grรผnen-Politikerin zu erwรคhnen, auch die aktuelle Laufzeitverlรคngerung fรผr deutsche Atomkraftwerke spielte fรผr die heutige Lobbyistin des BVMW e.V. bei dieser Panikmache keine Rolle.

Laut Zahlen der ENBW ist Deutschland vor Italien der grรถรŸte Gasspeicher Europas. Bereits ohne den forcierten LNG-Zubau im Jahr 2022 heiรŸt es hier, Deutschland verfรผge รผber โ€žinsgesamt 47 Untertagegasspeicherโ€œ, welche โ€žrund 24,6 Milliarden Kubikmeter Erdgas lagern. Das entspricht einer jรคhrlich nutzbaren Erdgasmenge von rund 230 Milliarden Kilowattstunden (Arbeitsgasvolumen). Das sind rund 25 Prozent der 2018 in Deutschland verbrauchten Erdgasmenge.โ€œ

In Vorbereitung auf die Wintermonate hat die Bundesregierung mit Stand 18. Oktober 2022 bei den deutschen Gasreserven einen Fรผllstand von mindestens 95 Prozent und seit dem 12.10.2022 einen weiteren Import aus Frankreich vermeldet, wonach von einer preislich sicher teuren, aber dennoch vorhandenen Verbrauchsmenge fรผr etwa drei bis vier Monate und nicht wie laut Hermenau von einem Tag auszugehen ist.

Weitere lokale Vereinbarungen, wie den weiteren Wรคrmebezug der Stadt Leipzig aus dem Kohlekraftwerk Lippendorf auch im kommenden Jahr erwรคhnte die Ex-Politikerin nicht.

IHK-Prรคsident Kristian Kirpal forderte hingegen deutlich neutraler einen โ€žfundamentierten Planโ€œ, um den Kohleausstieg 2030 und die kommende Beendigung der Atomkraft nachvollziehbar zu machen. Fรผr ihn selbst mรผssten derzeit alle fossilen und erneuerbaren Energieformen genutzt werden, die aktuell zur Verfรผgung stehen.

Veranstalter distanzieren sich klar von โ€žFreien Sachsenโ€œ

Vorab hatte Anmelder Heine sich mehrmals von den โ€žFreien Sachsenโ€œ distanziert, die in ganz Sachsen seit Wochen zu โ€žMontagsspaziergรคngenโ€œ aufrufen โ€“ allein am Montag dieser Woche an mehr als 150 Orten, darunter auch Leipzig โ€“ und dabei ein von Verschwรถrungsmythen durchsetztes Weltbild verbreiten. Der Verfassungsschutz stuft die Kleinstpartei als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung ein.

Die Demonstration am Dienstag sollte laut den Veranstalter/-innen ein โ€žBรผndnis der Mitteโ€œ auf die StraรŸe bringen, vorab wurde die Versammlung als โ€žneutral organisierterโ€œ Protest beworben.

Anmelder Heine hatte die Demonstration zudem bewusst auf einen Dienstag gelegt, um sich von den montรคglichen Aufzรผgen der โ€žFreien Sachsenโ€œ abzugrenzen, so erklรคrte er es gegenรผber der LVZ.

Das hielt die โ€žFreien Sachsenโ€œ jedoch nicht davon ab, den Protest fรผr sich vereinnahmen zu wollen. Sie meldeten fรผr Dienstag ihre eigene Veranstaltung mit dem Titel โ€žAktuelle Energiepolitikโ€œ in Grimma an.

รœber den Kรถpfen der Demonstrierenden auf dem Grimmaer Markt prangte schlieรŸlich ein riesiges Banner der โ€žFreien Sachsenโ€œ mit der Aufschrift โ€žRegierung entfernenโ€œ. Mehrere Menschen schwenkten โ€žFreie Sachsenโ€œ-Fahnen, in einem Livestream eines offenbar privat filmenden Grimmaer Bรผrgers (siehe Video) ist ein Stand der Rechtsextremisten auf dem Marktplatz zu sehen. Und ein Schild, wo die Extremisten โ€žKretschmer verhaftenโ€œ fordern.

Auf der Bรผhne distanzierte sich schlieรŸlich allen voran Ministerprรคsident Kretschmer deutlich von den โ€žFreien Sachsenโ€œ. Er hatte auch den triftigsten Grund, denn wรคhrend seiner zehnminรผtigen Rede hallten stรคndig Buhrufe, Pfiffe und โ€žHau abโ€œ-Rufe รผber den Marktplatz. Die anderen Redner/-innen bekamen keine solche deutlichen Ablehnungsbekundungen zu hรถren. Kretschmer war der Einladung von Grimmas OB Berger gefolgt.

Kretschmer weist โ€žFreie Sachsenโ€œ wรผtend zurรผck

Kretschmer war sicht- und hรถrbar verรคrgert รผber die โ€žFreien Sachsenโ€œ, die er als โ€žSchreihรคlseโ€œ bezeichnete. Sie hรคtten nichts mit den โ€žanstรคndigen Menschenโ€œ zu tun, die sich am Dienstag in Grimma versammelt hatten, und tรคten โ€ždiesem Land und dieser Diskussion keinen guten Dienstโ€œ.

โ€žDie Freien Sachsen haben den ganzen Tag behauptet, dass die Menschen, die heute hier ihre Sorgen artikulieren wollen, wie zu DDR-Zeiten von der SED herangebracht wรผrdenโ€œ, sagte Kretschmer in Bezug auf die Verschwรถrungstheorien der Kleinstpartei. โ€žIch finde das unsรคglich.โ€œ

โ€žDies ist ein freies Landโ€œ, fรผhrte der Ministerprรคsident fort, โ€žund ich finde es in Ordnung, dass die Freien Sachsen ihre Flaggen dabeihaben, damit wir wissen, wer wo wie steht.โ€œ Die Mehrheit der Demonstrierenden seien โ€žanstรคndige Menschenโ€œ, die โ€žFreien Sachsenโ€œ eine โ€žkleine Minderheitโ€œ, manifestierte Kretschmer mit Blick auf die Menge.

Auf die durchgehenden Buhrufe reagierte Kretschmer mit Unverstรคndnis. โ€žSchreien hilft รผberhaupt nichts, wenn wir uns mit so zentralen Fragen wie in der jetzigen Zeit auseinandersetzen mรผssen.โ€œ

Wie viele Unterstรผtzer/-innen der โ€žFreien Sachsenโ€œ sich auf dem Marktplatz in Grimma befanden und wie viele Menschen den Ministerprรคsidenten ausbuhten, lรคsst sich schwer beurteilen. Laut Deutschlandfunk-Reporter Alexander Moritz, der vor Ort war, war der Anteil der Rechtsextremen am Protest schwer zu schรคtzen.

Kretschmer: โ€žGeben Sie der Bundesregierung eine Chanceโ€œ

In seiner Rede verurteilte Kretschmer auรŸerdem den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als โ€žriesiges Unrechtโ€œ und bezeichnete Russland als den Aggressor. โ€žJeder, der an dieser Stelle buht, setzt sich sowas von ins Unrecht, setzt sich auรŸerhalb jeglicher Diskussion.โ€œ

Er bezeichnete Sanktionen und Solidaritรคt als den richtigen Weg. Die Frage sei aber, ob die Sanktionen richtig aufgezogen seien und die Aggressoren tatsรคchlich trรคfen. โ€žWir mรผssen darรผber diskutieren, ob durch diese MaรŸnahmen die wirtschaftliche Kraft unseres Landes an der einen oder anderen Stelle leidet.โ€œ

Die nach langem Hin und Her angekรผndigte Gas- und Strompreisbremse verkaufte Kretschmer als ein Zeichen dafรผr, dass Bund und Lรคnder die Sorgen der kleinen Unternehmen ernst nehmen. โ€žWir sollten der Bundesregierung eine Chance geben, diese auf den Weg zu bringen.โ€œ

Am Ende wurde Kretschmers Auftritt sowohl mit Applaus als auch mit Buhrufen quittiert.

Grimmas OB hetzt gegen Medien

Nicht nur Anmelder Heine und Ministerprรคsident Kretschmer distanzierten sich im Zusammenhang mit der Demonstration von den โ€žFreien Sachsenโ€œ, auch Grimmas OB Matthias Berger machte deutlich, dass er die Kleinstpartei nicht auf der Veranstaltung haben will.

Als zu Beginn ein lautes โ€žStรผrzt die Regierung!โ€œ in die Stille zwischen dem Verlesen der Demo-Auflagen und dem ersten Redebeitrag gerufen wurde, wurde Berger deutlich: โ€žGenau das wollen wir nichtโ€œ. Man wolle sich im Rahmen der demokratischen Grundordnung bewegen. Das Problem sei, dass โ€žein Schreihals tausend Schweigendeโ€œ รผbertรถne, erklรคrte Berger von der Bรผhne aus. Dabei stellte er klar, was er von den โ€žFreien Sachsenโ€œ hรคlt: โ€žDer lauteste Rufer hat oft die leiseste Ahnung.โ€œ

Berger hatte den Kurs der Bundesregierung im Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiepolitik zuletzt als โ€žideologisch programmiertโ€œ verurteilt. Die Ampel betreibe โ€žKriegstreibereiโ€œ, die Grรผnen verrieten sich mit Waffenlieferungen an die Ukraine selbst. Der deutschen Presse unterstellte er, Kriegspropaganda fรผr die Ukraine zu verbreiten.

Vom โ€žLรผgenpresseโ€œ-Narrativ von Pegida, โ€žFreie Sachsenโ€œ und den Parolen auch auf den Leipziger โ€žMontagsdemonstrationenโ€œ ist das nicht weit weg.

Kurswechsel bei Sachsens Ministerprรคsident

Das politische Terrain, auf das Kretschmer sich am Dienstagabend in Grimma bewegte, war kein leicht begehbares und auch keines mit einem deutlich markierten Weg. Seit Beginn der Corona-Pandemie bemรผht sich Kretschmer vehement um ein โ€žbรผrgernahesโ€œ Auftreten und wurde fรผr seine stetigen Versuche, mit rechten Verschwรถrungsideolog/-innen รผber Corona-MaรŸnahmen ins Gesprรคch zu kommen, stark kritisiert.

Noch im Januar ging Kretschmer beispielsweise am Rande einer Veranstaltung in Frankenberg auf die โ€žHau abโ€œ-skandierenden โ€žFreien Sachsenโ€œ zu und versuchte, mit ihnen zu sprechen. Das Gesprรคchsangebot nahmen die Rechtsextremen nicht an, sie pfiffen ihn stattdessen weiter aus. Kretschmer brach seinen Diskussionsversuch schlieรŸlich ab.

Im Laufe des Jahres รคnderte Kretschmer seinen Kurs und sieht mittlerweile ein, dass Gesprรคche mit Rechtsextremen nicht prinzipiell angebracht und sinnvoll sind. โ€žIch wรผrde es wahrscheinlich nicht noch mal machenโ€œ, erklรคrte der Ministerprรคsident auf einer Veranstaltung der โ€žFreien Presseโ€œ im Juli 2022 mit Bezug auf Frankenberg. โ€žAuch, weil ich gesehen habe, wie mein Handeln gesehen wurde.โ€œ

In der Energiekrise versucht Kretschmer vor dem Hintergrund der teils groรŸen rechtsoffenen Demonstrationen in Sachsen nun offenbar erneut, Bรผrger/-innen dort abzuholen, wo sie an der Schwelle zur Tรผr von AfD und โ€žFreien Sachsenโ€œ stehen. In Grimma ist das โ€“ wie die vernehmbare Ablehnung auf dem Marktplatz gegen ihn belegt โ€“ nicht eindeutig gelungen, jedoch auch nicht eindeutig gescheitert.

Aktionsbรผndnis โ€žGrimma zeigt Kanteโ€œ: Mangelnde Lรถsungsvorschlรคge und misslungene Abgrenzung

Das Aktionsbรผndnis โ€žGrimma zeigt Kanteโ€œ nahm an dieser Demonstration bewusst nicht teil und gab stattdessen am heutigen Mittwoch, 19. Oktober, ein Statement ab. In diesem heiรŸt es unter anderem, dass auch dem Aktionsbรผndnis โ€ždie Anliegen der Bรผrgerinnen und Bรผrger in Zeiten der Inflation und der steigenden Lebenshaltungs-, sowie Energiekosten am Herzen liegen wรผrden.โ€œ

Doch โ€žinhaltliche Lรถsungsvorschlรคge zur Bewรคltigung der Krise wurden bei der Veranstaltung ebenso vermisst, wie eine Abgrenzung nach rechts auรŸen.โ€œ

Bereits das Motto der Versammlung sei kritisch zu bewerten. Denn โ€žSolidaritรคt mit der Ukraine und daraus folgende Unterstรผtzung hat mit Ideologie nichts zu tun. Einem Land, welches Opfer eines vรถlkerrechtswidrigen Angriffskrieges geworden ist und zahlreiche zivile Opfer und zerstรถrte Existenzen zu beklagen hat, Unterstรผtzung zu leisten, sendet klare Zeichen an den Aggressor Putin, welchen es in seinem Krieg zu stoppen gilt.โ€œ

Zwar habe sich โ€žOBM Berger (โ€ฆ) zu Beginn des Krieges noch รถffentlichkeitswirksam mit einer Ukraine-Fahne abbilden lassenโ€œ, doch plรถtzlich forderte er dazu auf, โ€žmit Russland einen Frieden zu verhandeln โ€“ einem Land, dem von der UN Kriegsverbrechen nachgewiesen wurden.โ€œ

Grundsรคtzlich habe โ€žsich das Bรผndnis aktiv gegen eine Teilnahme an der Demonstration vom 18.10.2022 entschieden, weil wir nicht gemeinsam mit Rechtsextremen demonstrieren. Leider ist die Fรผhrungsebene der Stadt da anderer Ansichtโ€œ und habe โ€žtrotz des lรถblichen vorherigen Versuchs der Abgrenzung, keine zufriedenstellende Reaktion gezeigt.โ€œ

โ€žInsbesondere das groรŸe โ€šRegierung Entfernenโ€˜-Banner der Freien Sachsen gilt es deutlich zu verurteilen.โ€œ So ebne man unter anderem den Weg fรผr Rechtsextremisten, so Sven Uhl vom Aktionsbรผndnis.

Nachtrag der Redaktion (21.10.2022)Der filmende Youtuber Thomas Kleint ist selber regelmรครŸig und schon seit โ€žCorona-Zeitenโ€œ auf den Montagsdemos unterwegs und hat einen (ungรผltigen) โ€žPresseausweisโ€œ der Freien Sachsen.

Eigene Aufnahmen sind fรผr die LZ in Grimma in diesem Personenumfeld nur noch schwer realisierbar, weshalb wir leider auf solche Quellen per Verlinkung verweisen mรผssen.

Zu Herrn Kleint bei Chronic LE im Umfeld der โ€žDemonstrationenโ€œ vor dem Privathaus von Sozialministerin Petra Kรถpping.

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Es gibt 15 Kommentare

Lieber Michael,
2015 ist das vermutete Jahr des Beginns meines kontinuierlichen Abos โ€“ nicht mehr und nicht weniger. Mein initialer Kommentar sollte einfach nur darauf hinweisen, dass es journ. unlauter ist, eine berichtende Augenscheinwiedergabe durch รœberschrift und letzten Absatz zu framen.
Als Reaktion wird ausschlieรŸlich die Norm mit der Ausnahme gerechtfertigt oder wortreich geโ€ฆ โ€“ ich habe nicht recht verstanden, was Sie mir genau sagen wollen.
Dass ich eventuell recht haben kรถnnte, zieht keiner in Betracht. Das ist nicht mehr die L-IZ, die ich mit Genuss las. Die Wirksamkeit in Leipzig hรคlt sich auch in Grenzen.
Ciao
Ich werde mein Blut nicht weiter beschmutzen und mich aus Diskussion und vielleicht auch mehr zurรผckziehen. โ€žOssietzkyโ€œ hat auch ein Abo verdient.

Lieber Thomas,

da ich Ihre โ€œAnnahmenโ€ von 2015 nicht kenne, weiรŸ ich nur insofern zu antworten, dass ich nun alle Jahre bei LZ Online wie Print beteiligt war und bin. Ich stelle fest, dass bei gleichlaufender, schon IMMER einordnender Art meiner Berichte/Kommentare und Beitrรคge die Leser/-innenmeinungen bei gleichzeitigem Anstieg derselben, zunehmende, teils radikalisierte Spreizungen aufweisen.

Ich stelle das auch als derjenige fest, der am meisten von Leser/-innen auf der L-IZ.de kommentiert wurde bislang.

Eine besondere Beobachtung der vergangenen Jahre ist dabei, wie selbstgewiss oft Leser/-innen auftreten, ohne dabei zu bemerken, dass wir alle tรคglich dazulernen und damit unsere Haltungen reflektieren sollten. Wรคhrend ich selbst also weiรŸ, dass ich nichts weiรŸ, stรถรŸt mir regelmรครŸig auf, wie unversรถnlich, persรถnlich und nicht an der Sache orientiert, Meinungen in die Welt geblasen werden.

Da bleibt mir in meiner Perspektive dann nur, bei dem zu bleiben, was stets der einzige Ausweg im Journalismus ist: Aufrichtigkeit in der Wiedergabe jener Fakten, die ich prรผfen kann, klar in der Einordnung derselben und bereit zur Debatte mit Menschen (die oft nicht dabei waren oder bei gleichem Betrachtungsobjekt eine gรคnzlich gegensรคtzliche Wahrnehmung haben).

Schwierig, ja. Aber alles andere wรผrde ich offen gesagt als entweder langweilig oder gegebenenfalls auch als feige vor der Herausforderung unserer Gilde betrachten. Und irgendwie kann ich in der Arbeit von Frau Mosig und anderer Kolleg/-innen hier tatsรคchlich das gleiche Mรผhen erkennen.

Sie merken vielleicht, noch immer mรผhen wir uns hier an Augenhรถhe mit der Leserschaft, beruflich weiรŸ ich, mehr als viele andere Medien. Das schlieรŸt aber immer ein, dass sich auch das Gegenรผber daran beteiligt. Das ist auch ein Wert an sich, im Wissen darum, dass der โ€œFrontalunterrichtโ€ im Journalismus fรผr mich zumindest schon mit Grรผndung der L-IZ.de vorbei war.

LG M.F.

Es gibt auch Mischformen unter den journalistischen Darstellungsformenโ€ฆ

Sind Sie da sicher, Thomas? Der letzte Satz ist eindeutig kommentierend. Also kein Bericht.

@ Matthias: auch im Journalismus gibt es Textsorten โ€“ Frau Mosig hat einen Bericht geschrieben โ€“ da gibt es kein โ€žEinordnenโ€œ usw. โ€“ deshalb ist die Rechtfertigung zur ordentlichen Recherche auch so drollig
@ M. Freitag: weiรŸ ich โ€“ schรคtz(t)e ich โ€“ Vorsicht!: Abonnent mit 150-Nummer seit 2015? โ€“ gelegentlich รผberprรผfe ich aber die Geschรคftsgrundlage meiner Annahmen und Gewissheiten ๐Ÿ˜‰

โ€œDas ist genau, was ich bemรคngele โ€“ rausplatzen, ohne die Hausaufgaben gemacht zu haben.โ€ Wen oder was meinen Sie genau?
โ€œSie geben zunehmend nicht nur ein Ereignis wieder, sondern kommentieren es auch und normieren zumindest indirekt die Interpretation des Lesers. Das ist kein Journalismus.โ€ Das ist nicht richtig! Ganz im Gegenteil, โ€œobjektiverโ€ Journalismus wรคre keiner. Denn Journalisten dรผrfen und sollen einordnen, kommentieren, interpretieren. Gerade in einer Zeit, in der die Ereignisse doch fรผr alle als bekannt vorausgesetzt sind. Der einzelne Vorgang, der lediglich berichtet wird, ist uninteressant. Der Leser mag die Effektivitรคt der Argumentation, Exposition etc bewerten.
Davon abgesehen kann man sich als (auch journalistisches) Subjekt kaum objektivieren.

@Thomas: Dann wird es Sie ja โ€“ informiert wie Sie sind ๐Ÿ˜‰ โ€“ sicher freuen zu erfahren, dass die L-IZ.de zuerst einmal den Leipziger Grรผnder/-innen gehรถrt. Diese sind vor allem reich an Erfahrung und ein groรŸer โ€œKonzernverlagโ€ hinter der Leipziger Zeitung existiert nicht.

Weshalb schon die Frage โ€œQui bonoโ€ ein wenig lustig im Angesicht des โ€œbonoโ€ ist. Oder haben Sie ein Abo abgeschlossen? ๐Ÿ˜‰

doch noch eins. โ€žLรผgenpresseโ€œ ist ein Totschlagargument, dass allenfalls Karl-Valentin-Argumentation auslรถsen kann. Hier โ€žlรผgtโ€œ kaum jemand โ€“ und schon gar nicht gleichgeschaltet. Der Einheitsbrei entsteht von selbst durch die Konzentration des Medieneigentums, die soziale Herkunft von Eignern und Journalisten, deren politischen Prรคferenzen und Kontakten, Karriereplanungen und -abhรคngigkeiten und der beabsichtigten Zielgruppe. Cui bono? war schon immer eine gute Frage โ€“ besonders in Leipzig

Matthias, das ist die Kriegsentwicklung 22! Der Konflikt ist heiรŸ seit โ€žMaidanโ€œ 2014 und selbst der hat eine farbene Vorgeschichte. Das ist genau, was ich bemรคngele โ€“ rausplatzen, ohne die Hausaufgaben gemacht zu haben.

zu mir โ€“ ich informiere mich sehr intensiv โ€“ neben vorwiegend englischen Zeitungs- und Hintergrundartikeln sind dies Telepolis, Overton und Nachdenkseiten. Bei letzterer sehe ich die Corona- und Impfnachrichten biased, nicht aber die politischen Texte. Das war mal bester SPD-Mainstream!

Ich bemerke aber etwas anderes. Mir scheint, Sie fรผhlen sich persรถnlich angegriffen. Nein, ich kritisiere aber Ihre Haltung als Journalisten. Sie geben zunehmend nicht nur ein Ereignis wieder, sondern kommentieren es auch und normieren zumindest indirekt die Interpretation des Lesers. Das ist kein Journalismus.

Frau Mosig, ich mache Ihnen nicht den Vorwurf der schlechten Recherche, sondern allenfalls den er Unbedarftheit und Radikalitรคt der Jugend. Ich bin 57. Wenn Sie einmal diesen Abstand erreicht haben, werden Sie verstehen, was ich meine. Als Persรถnlickeitsmerkmal ist dies neutral. Professionelles Schreiben kรถnnte hier bedeuten, sich als Autor bewusst zurรผckzunehmen oder einen Zweitleser mit anderer Aspektstruktur zurate zuziehen.

Ich fรผhle mich wieder an die letzten LVZ-Tage erinnert. Dort schrieb ich gegen Unsinn in der Berichterstattung รผber erneuerbare Energien an und erhielt schwarze neoliberale Textbausteine. Bei Ihnen sehe ich nun vor allem Haltung. Die L-IZ ist ein verdienstvolles Projekt. Wie รผblich streiten wir uns als gute Linke รผber die Nuancen. Ich kรถnnte jetzt noch etwas รผber Ideologie, โ€œSektierertumโ€ โ€“ mich inbegriffen โ€“ und Generationen sagen. Nun soll es aber genug sein.

Thomas, natรผrlich sehen wir alle die Tendenzen der medialen Berichterstattung. Aber DIE Presse, DIE Medien gibt es nicht. Sie haben schon die Mรถglichkeit, Differenzierungen oder gar gegenteilige Aussagen und Analysen zu finden. Und genau deshalb haben die Lรผgenpresserufer und Berger nicht recht.

Nebenher kann man gern behaupten, die Kriege der USA seit 1990 seien unrechtmรครŸig und vor allem unverhรคltnismรครŸig. Das behaupte ich auch. Nur ist eben auch Putins Krieg unrechtmรครŸig und unverhรคltnismรครŸig. Er hat auch nur insofern mit MInsk II zu tun, als dass die Separatistengebiete besetzt wurden. Aber auch hier muss stรคrker differenziert werden. Separatrechte in der Ukraine bedeuten nicht Anschluss an Russland, um nur einen Konflikt zu nennen.

Ich teile die Einschรคtzung Bergers. Die Berichterstattung erfolgt schon seit Jahren einseitig, sowohl was den Ukrainekonflikt an sich als auch die US-Aktionen seit 90 betrifft โ€“ neben den div. Kriegen nur 2 Punkte โ€“ Minsk II und Schleifung des internationale Vertragswerkes zur atomaren Abrรผstung.

Ich mรถchte auf die Kritik eingehen: Ja, ich bin im Vergleich zum Durchschnittsalter der LZ-Autor*innen jung, mรถchte die Unterstellung, dass ich aufgrund meines Alters nicht sorgfรคltig recherchiere oder einseitig schreibe, von mir weisen. Ich habe die Zwischenรผberschrift sehr gut durchdacht und bleibe bei meiner Interpretation, dass Bergers Aussagen zur Presse nah dran sind an der generellen Mediendiskreditierung ร  la โ€œLรผgenpresseโ€.
Zitiert habe ich aus der 37. โ€œOnline-Bรผrgersprechstundeโ€ von Muldental TV, ungefรคhr ab 2min50s: http://www.youtube.com/watch?v=0JBH8BSY1qQ
Berger sagt da generalisierend (โ€œwenn ich frรผh die Zeitung aufmacheโ€), dass die Presse hierzulande โ€œรผbelste Kriegspropagandaโ€ betreibe, und belegt diese Aussage mit sinngemรครŸen angeblichen Zitaten wie โ€œDie russische Armee ist in schlechtem Zustand und demotiviertโ€ und โ€œdie Helden der Ukraineโ€. Diese Berichterstattung erinnere ihn an โ€œirgendwelche Kriegsfilme aus dem Zweiten Weltkriegโ€. Nach diesen Aussagen รผber die Presse geht er โ€“ wie schon zuvor โ€“ auf die Bundesregierung ein. Er legt damit nahe, dass die Presse eh nur schreibt, was die Regierung will, und genau so bei der โ€œKriegstreibereiโ€ mitmache wie damals etwa Veit Harlan fรผr Goebbels. Das ist fรผr mich Hetze, da er auch nicht konkret auf bestimmte Medien oder Berichte eingeht.

Im Gegensatz zur LVZ kรถnnen Sie sich hier zumeist beigefรผgte Videos anschauen. So auch hier.

Warum also sprechen Sie anderen Menschen ihre Wahrnehmung ab? Schildern Sie doch mal, wie der Wortlaut Bergers auf Sie wirkt?

Liebe Frau Mosig,
man muss schon noch sehr jung und โ€“ oft damit verbunden โ€“ sehr selbstgewiss sein, wenn man die รœberschrift โ€žGrimmas OB hetzt gegen Medienโ€œ wรคhlt, um im darunter stehenden Kapitel dann den OB wegen seiner Aussage eine Nรคhe zur generellen Medienverteufelung als โ€žLรผgenpresseโ€œ zu unterstellen. Herr Juhlke wird einseitig, Herr Wolf war es schon immer und der Nachwuchs hรคlt den Tellerrand fรผr den Horizont. Das L-IZ- Lesen macht keinen SpaรŸ mehr. Ich vermisse die Dialektik der frรผheren Jahre und erinnere mich, dass mein Abschied von der LVZ mit รคhnlichen Eindrรผcken begann. Schade!

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