Während einer Rede vor Tausenden in Grimma wurde Sachsens Ministerpräsident am Dienstag ausgebuht, erhielt aber auch Applaus. Die „Freien Sachsen“ veranstalteten vor Ort ihren eigenen Protest, nachdem ein vermeintlich neutrales „Bürger-Bündnis ohne Ideologie“ eine Demo gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung angekündigt und sich von ihnen abgegrenzt hatte. Auf und vor der Bühne geriet dann so manches aus dem Lot.

Kretschmers erster Auftritt bei einer angemeldeten Demonstration seit langer Zeit

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat am Dienstag auf einer Demonstration in Grimma unter dauerhaften Buhrufen die Sanktionen gegen Russland verteidigt und für Vertrauen in die Bundesregierung geworben. Dabei teilte er deutlich gegen die rechtsextremen „Freien Sachsen“ aus, die ebenfalls auf dem Grimmaer Markt vertreten waren. Laut mehreren Medienberichten hatten sich insgesamt bis zu 3.000 Menschen in Grimma versammelt.

Den Protest hatte der Dachdeckermeister Johannes Heine angemeldet, der für die Freien Wähler im Stadtrat von Grimma sitzt. Ein riesiges Plakat mit der Aufschrift „Energie statt Ideologie“ zierte die Bühne und manifestierte das Kernanliegen der Redner/-innen.

„Auf die ideologiegetriebenen Experimente der Regierung können wir in Sachsen verzichten, denn wir wissen, wie sowas ausgehen kann“, sagte etwa der Präsident der Leipziger Handwerkskammer, Matthias Forßbohm, unter Applaus.

Neben dem Handwerkskammerchef konnte Lokalpolitiker Heine zahlreiche weitere Vertreter/-innen der ansässigen Politik und Wirtschaft für seinen „Bürger-Protest“ zusammentrommeln.

Auf der Bühne sprachen neben Grimmas Oberbürgermeister Matthias Berger (parteilos) und CDU-Landrat Henry Graichen auch Sachsens ehemaliger Bauernpräsident Wolfgang Vogel, Sachsens Ex-Grünen-Chefin Antje Hermenau, Wurzens neuer Oberbürgermeister Marcel Buchta (parteilos) und der Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig, Kristian Kirpal.

Ein Livestream vom 18. Oktober 2022 aus Grimma

Halbwahrheiten und Panikmache

Insbesondere Antje Hermenau hatte dann jedoch eher keine Lust, sich an das Veranstaltungsmotto zu halten. Unter großem Applaus teilte sie ihre Kenntnisse über die aktuelle Energiepolitik und damit Halbwahrheiten mit, die weitere Angst schüren sollten.

So erklärte sie, dass das Stromnetz in Deutschland kurz vor dem Zusammenbruch stünde, wann der Zusammenbruch käme, war nicht zu hören. Anschließend ging die heutige Wirtschaftsberaterin auf eine einzige Gas-Liefervereinbarung ein, welche in den letzten Wochen Thema war: die mit Saudi-Arabien. Zur hierbei vereinbarten, geringen Liefermenge sagte sie: „Wissen Sie wie viel das ist, ein Tag. Die haben nichts im Griff und Sie müssen sich vorbereiten“.

Dass es weitere Liefervereinbarungen mit anderen Ländern gibt, vergaß die ehemalige Grünen-Politikerin zu erwähnen, auch die aktuelle Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke spielte für die heutige Lobbyistin des BVMW e.V. bei dieser Panikmache keine Rolle.

Laut Zahlen der ENBW ist Deutschland vor Italien der größte Gasspeicher Europas. Bereits ohne den forcierten LNG-Zubau im Jahr 2022 heißt es hier, Deutschland verfüge über „insgesamt 47 Untertagegasspeicher“, welche „rund 24,6 Milliarden Kubikmeter Erdgas lagern. Das entspricht einer jährlich nutzbaren Erdgasmenge von rund 230 Milliarden Kilowattstunden (Arbeitsgasvolumen). Das sind rund 25 Prozent der 2018 in Deutschland verbrauchten Erdgasmenge.“

In Vorbereitung auf die Wintermonate hat die Bundesregierung mit Stand 18. Oktober 2022 bei den deutschen Gasreserven einen Füllstand von mindestens 95 Prozent und seit dem 12.10.2022 einen weiteren Import aus Frankreich vermeldet, wonach von einer preislich sicher teuren, aber dennoch vorhandenen Verbrauchsmenge für etwa drei bis vier Monate und nicht wie laut Hermenau von einem Tag auszugehen ist.

Weitere lokale Vereinbarungen, wie den weiteren Wärmebezug der Stadt Leipzig aus dem Kohlekraftwerk Lippendorf auch im kommenden Jahr erwähnte die Ex-Politikerin nicht.

IHK-Präsident Kristian Kirpal forderte hingegen deutlich neutraler einen „fundamentierten Plan“, um den Kohleausstieg 2030 und die kommende Beendigung der Atomkraft nachvollziehbar zu machen. Für ihn selbst müssten derzeit alle fossilen und erneuerbaren Energieformen genutzt werden, die aktuell zur Verfügung stehen.

Veranstalter distanzieren sich klar von „Freien Sachsen“

Vorab hatte Anmelder Heine sich mehrmals von den „Freien Sachsen“ distanziert, die in ganz Sachsen seit Wochen zu „Montagsspaziergängen“ aufrufen – allein am Montag dieser Woche an mehr als 150 Orten, darunter auch Leipzig – und dabei ein von Verschwörungsmythen durchsetztes Weltbild verbreiten. Der Verfassungsschutz stuft die Kleinstpartei als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung ein.

Die Demonstration am Dienstag sollte laut den Veranstalter/-innen ein „Bündnis der Mitte“ auf die Straße bringen, vorab wurde die Versammlung als „neutral organisierter“ Protest beworben.

Anmelder Heine hatte die Demonstration zudem bewusst auf einen Dienstag gelegt, um sich von den montäglichen Aufzügen der „Freien Sachsen“ abzugrenzen, so erklärte er es gegenüber der LVZ.

Das hielt die „Freien Sachsen“ jedoch nicht davon ab, den Protest für sich vereinnahmen zu wollen. Sie meldeten für Dienstag ihre eigene Veranstaltung mit dem Titel „Aktuelle Energiepolitik“ in Grimma an.

Über den Köpfen der Demonstrierenden auf dem Grimmaer Markt prangte schließlich ein riesiges Banner der „Freien Sachsen“ mit der Aufschrift „Regierung entfernen“. Mehrere Menschen schwenkten „Freie Sachsen“-Fahnen, in einem Livestream eines offenbar privat filmenden Grimmaer Bürgers (siehe Video) ist ein Stand der Rechtsextremisten auf dem Marktplatz zu sehen. Und ein Schild, wo die Extremisten „Kretschmer verhaften“ fordern.

Auf der Bühne distanzierte sich schließlich allen voran Ministerpräsident Kretschmer deutlich von den „Freien Sachsen“. Er hatte auch den triftigsten Grund, denn während seiner zehnminütigen Rede hallten ständig Buhrufe, Pfiffe und „Hau ab“-Rufe über den Marktplatz. Die anderen Redner/-innen bekamen keine solche deutlichen Ablehnungsbekundungen zu hören. Kretschmer war der Einladung von Grimmas OB Berger gefolgt.

Kretschmer weist „Freie Sachsen“ wütend zurück

Kretschmer war sicht- und hörbar verärgert über die „Freien Sachsen“, die er als „Schreihälse“ bezeichnete. Sie hätten nichts mit den „anständigen Menschen“ zu tun, die sich am Dienstag in Grimma versammelt hatten, und täten „diesem Land und dieser Diskussion keinen guten Dienst“.

„Die Freien Sachsen haben den ganzen Tag behauptet, dass die Menschen, die heute hier ihre Sorgen artikulieren wollen, wie zu DDR-Zeiten von der SED herangebracht würden“, sagte Kretschmer in Bezug auf die Verschwörungstheorien der Kleinstpartei. „Ich finde das unsäglich.“

„Dies ist ein freies Land“, führte der Ministerpräsident fort, „und ich finde es in Ordnung, dass die Freien Sachsen ihre Flaggen dabeihaben, damit wir wissen, wer wo wie steht.“ Die Mehrheit der Demonstrierenden seien „anständige Menschen“, die „Freien Sachsen“ eine „kleine Minderheit“, manifestierte Kretschmer mit Blick auf die Menge.

Auf die durchgehenden Buhrufe reagierte Kretschmer mit Unverständnis. „Schreien hilft überhaupt nichts, wenn wir uns mit so zentralen Fragen wie in der jetzigen Zeit auseinandersetzen müssen.“

Wie viele Unterstützer/-innen der „Freien Sachsen“ sich auf dem Marktplatz in Grimma befanden und wie viele Menschen den Ministerpräsidenten ausbuhten, lässt sich schwer beurteilen. Laut Deutschlandfunk-Reporter Alexander Moritz, der vor Ort war, war der Anteil der Rechtsextremen am Protest schwer zu schätzen.

Kretschmer: „Geben Sie der Bundesregierung eine Chance“

In seiner Rede verurteilte Kretschmer außerdem den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als „riesiges Unrecht“ und bezeichnete Russland als den Aggressor. „Jeder, der an dieser Stelle buht, setzt sich sowas von ins Unrecht, setzt sich außerhalb jeglicher Diskussion.“

Er bezeichnete Sanktionen und Solidarität als den richtigen Weg. Die Frage sei aber, ob die Sanktionen richtig aufgezogen seien und die Aggressoren tatsächlich träfen. „Wir müssen darüber diskutieren, ob durch diese Maßnahmen die wirtschaftliche Kraft unseres Landes an der einen oder anderen Stelle leidet.“

Die nach langem Hin und Her angekündigte Gas- und Strompreisbremse verkaufte Kretschmer als ein Zeichen dafür, dass Bund und Länder die Sorgen der kleinen Unternehmen ernst nehmen. „Wir sollten der Bundesregierung eine Chance geben, diese auf den Weg zu bringen.“

Am Ende wurde Kretschmers Auftritt sowohl mit Applaus als auch mit Buhrufen quittiert.

Grimmas OB hetzt gegen Medien

Nicht nur Anmelder Heine und Ministerpräsident Kretschmer distanzierten sich im Zusammenhang mit der Demonstration von den „Freien Sachsen“, auch Grimmas OB Matthias Berger machte deutlich, dass er die Kleinstpartei nicht auf der Veranstaltung haben will.

Als zu Beginn ein lautes „Stürzt die Regierung!“ in die Stille zwischen dem Verlesen der Demo-Auflagen und dem ersten Redebeitrag gerufen wurde, wurde Berger deutlich: „Genau das wollen wir nicht“. Man wolle sich im Rahmen der demokratischen Grundordnung bewegen. Das Problem sei, dass „ein Schreihals tausend Schweigende“ übertöne, erklärte Berger von der Bühne aus. Dabei stellte er klar, was er von den „Freien Sachsen“ hält: „Der lauteste Rufer hat oft die leiseste Ahnung.“

Berger hatte den Kurs der Bundesregierung im Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiepolitik zuletzt als „ideologisch programmiert“ verurteilt. Die Ampel betreibe „Kriegstreiberei“, die Grünen verrieten sich mit Waffenlieferungen an die Ukraine selbst. Der deutschen Presse unterstellte er, Kriegspropaganda für die Ukraine zu verbreiten.

Vom „Lügenpresse“-Narrativ von Pegida, „Freie Sachsen“ und den Parolen auch auf den Leipziger „Montagsdemonstrationen“ ist das nicht weit weg.

Kurswechsel bei Sachsens Ministerpräsident

Das politische Terrain, auf das Kretschmer sich am Dienstagabend in Grimma bewegte, war kein leicht begehbares und auch keines mit einem deutlich markierten Weg. Seit Beginn der Corona-Pandemie bemüht sich Kretschmer vehement um ein „bürgernahes“ Auftreten und wurde für seine stetigen Versuche, mit rechten Verschwörungsideolog/-innen über Corona-Maßnahmen ins Gespräch zu kommen, stark kritisiert.

Noch im Januar ging Kretschmer beispielsweise am Rande einer Veranstaltung in Frankenberg auf die „Hau ab“-skandierenden „Freien Sachsen“ zu und versuchte, mit ihnen zu sprechen. Das Gesprächsangebot nahmen die Rechtsextremen nicht an, sie pfiffen ihn stattdessen weiter aus. Kretschmer brach seinen Diskussionsversuch schließlich ab.

Im Laufe des Jahres änderte Kretschmer seinen Kurs und sieht mittlerweile ein, dass Gespräche mit Rechtsextremen nicht prinzipiell angebracht und sinnvoll sind. „Ich würde es wahrscheinlich nicht noch mal machen“, erklärte der Ministerpräsident auf einer Veranstaltung der „Freien Presse“ im Juli 2022 mit Bezug auf Frankenberg. „Auch, weil ich gesehen habe, wie mein Handeln gesehen wurde.“

In der Energiekrise versucht Kretschmer vor dem Hintergrund der teils großen rechtsoffenen Demonstrationen in Sachsen nun offenbar erneut, Bürger/-innen dort abzuholen, wo sie an der Schwelle zur Tür von AfD und „Freien Sachsen“ stehen. In Grimma ist das – wie die vernehmbare Ablehnung auf dem Marktplatz gegen ihn belegt – nicht eindeutig gelungen, jedoch auch nicht eindeutig gescheitert.

Aktionsbündnis „Grimma zeigt Kante“: Mangelnde Lösungsvorschläge und misslungene Abgrenzung

Das Aktionsbündnis „Grimma zeigt Kante“ nahm an dieser Demonstration bewusst nicht teil und gab stattdessen am heutigen Mittwoch, 19. Oktober, ein Statement ab. In diesem heißt es unter anderem, dass auch dem Aktionsbündnis „die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger in Zeiten der Inflation und der steigenden Lebenshaltungs-, sowie Energiekosten am Herzen liegen würden.“

Doch „inhaltliche Lösungsvorschläge zur Bewältigung der Krise wurden bei der Veranstaltung ebenso vermisst, wie eine Abgrenzung nach rechts außen.“

Bereits das Motto der Versammlung sei kritisch zu bewerten. Denn „Solidarität mit der Ukraine und daraus folgende Unterstützung hat mit Ideologie nichts zu tun. Einem Land, welches Opfer eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges geworden ist und zahlreiche zivile Opfer und zerstörte Existenzen zu beklagen hat, Unterstützung zu leisten, sendet klare Zeichen an den Aggressor Putin, welchen es in seinem Krieg zu stoppen gilt.“

Zwar habe sich „OBM Berger (…) zu Beginn des Krieges noch öffentlichkeitswirksam mit einer Ukraine-Fahne abbilden lassen“, doch plötzlich forderte er dazu auf, „mit Russland einen Frieden zu verhandeln – einem Land, dem von der UN Kriegsverbrechen nachgewiesen wurden.“

Grundsätzlich habe „sich das Bündnis aktiv gegen eine Teilnahme an der Demonstration vom 18.10.2022 entschieden, weil wir nicht gemeinsam mit Rechtsextremen demonstrieren. Leider ist die Führungsebene der Stadt da anderer Ansicht“ und habe „trotz des löblichen vorherigen Versuchs der Abgrenzung, keine zufriedenstellende Reaktion gezeigt.“

„Insbesondere das große ‚Regierung Entfernen‘-Banner der Freien Sachsen gilt es deutlich zu verurteilen.“ So ebne man unter anderem den Weg für Rechtsextremisten, so Sven Uhl vom Aktionsbündnis.

Nachtrag der Redaktion (21.10.2022)Der filmende Youtuber Thomas Kleint ist selber regelmäßig und schon seit „Corona-Zeiten“ auf den Montagsdemos unterwegs und hat einen (ungültigen) „Presseausweis“ der Freien Sachsen.

Eigene Aufnahmen sind für die LZ in Grimma in diesem Personenumfeld nur noch schwer realisierbar, weshalb wir leider auf solche Quellen per Verlinkung verweisen müssen.

Zu Herrn Kleint bei Chronic LE im Umfeld der „Demonstrationen“ vor dem Privathaus von Sozialministerin Petra Köpping.

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Es gibt 15 Kommentare

Lieber Michael,
2015 ist das vermutete Jahr des Beginns meines kontinuierlichen Abos – nicht mehr und nicht weniger. Mein initialer Kommentar sollte einfach nur darauf hinweisen, dass es journ. unlauter ist, eine berichtende Augenscheinwiedergabe durch Überschrift und letzten Absatz zu framen.
Als Reaktion wird ausschließlich die Norm mit der Ausnahme gerechtfertigt oder wortreich ge… – ich habe nicht recht verstanden, was Sie mir genau sagen wollen.
Dass ich eventuell recht haben könnte, zieht keiner in Betracht. Das ist nicht mehr die L-IZ, die ich mit Genuss las. Die Wirksamkeit in Leipzig hält sich auch in Grenzen.
Ciao
Ich werde mein Blut nicht weiter beschmutzen und mich aus Diskussion und vielleicht auch mehr zurückziehen. „Ossietzky“ hat auch ein Abo verdient.

Lieber Thomas,

da ich Ihre “Annahmen” von 2015 nicht kenne, weiß ich nur insofern zu antworten, dass ich nun alle Jahre bei LZ Online wie Print beteiligt war und bin. Ich stelle fest, dass bei gleichlaufender, schon IMMER einordnender Art meiner Berichte/Kommentare und Beiträge die Leser/-innenmeinungen bei gleichzeitigem Anstieg derselben, zunehmende, teils radikalisierte Spreizungen aufweisen.

Ich stelle das auch als derjenige fest, der am meisten von Leser/-innen auf der L-IZ.de kommentiert wurde bislang.

Eine besondere Beobachtung der vergangenen Jahre ist dabei, wie selbstgewiss oft Leser/-innen auftreten, ohne dabei zu bemerken, dass wir alle täglich dazulernen und damit unsere Haltungen reflektieren sollten. Während ich selbst also weiß, dass ich nichts weiß, stößt mir regelmäßig auf, wie unversönlich, persönlich und nicht an der Sache orientiert, Meinungen in die Welt geblasen werden.

Da bleibt mir in meiner Perspektive dann nur, bei dem zu bleiben, was stets der einzige Ausweg im Journalismus ist: Aufrichtigkeit in der Wiedergabe jener Fakten, die ich prüfen kann, klar in der Einordnung derselben und bereit zur Debatte mit Menschen (die oft nicht dabei waren oder bei gleichem Betrachtungsobjekt eine gänzlich gegensätzliche Wahrnehmung haben).

Schwierig, ja. Aber alles andere würde ich offen gesagt als entweder langweilig oder gegebenenfalls auch als feige vor der Herausforderung unserer Gilde betrachten. Und irgendwie kann ich in der Arbeit von Frau Mosig und anderer Kolleg/-innen hier tatsächlich das gleiche Mühen erkennen.

Sie merken vielleicht, noch immer mühen wir uns hier an Augenhöhe mit der Leserschaft, beruflich weiß ich, mehr als viele andere Medien. Das schließt aber immer ein, dass sich auch das Gegenüber daran beteiligt. Das ist auch ein Wert an sich, im Wissen darum, dass der “Frontalunterricht” im Journalismus für mich zumindest schon mit Gründung der L-IZ.de vorbei war.

LG M.F.

Es gibt auch Mischformen unter den journalistischen Darstellungsformen…

Sind Sie da sicher, Thomas? Der letzte Satz ist eindeutig kommentierend. Also kein Bericht.

@ Matthias: auch im Journalismus gibt es Textsorten – Frau Mosig hat einen Bericht geschrieben – da gibt es kein „Einordnen“ usw. – deshalb ist die Rechtfertigung zur ordentlichen Recherche auch so drollig
@ M. Freitag: weiß ich – schätz(t)e ich – Vorsicht!: Abonnent mit 150-Nummer seit 2015? – gelegentlich überprüfe ich aber die Geschäftsgrundlage meiner Annahmen und Gewissheiten 😉

“Das ist genau, was ich bemängele – rausplatzen, ohne die Hausaufgaben gemacht zu haben.” Wen oder was meinen Sie genau?
“Sie geben zunehmend nicht nur ein Ereignis wieder, sondern kommentieren es auch und normieren zumindest indirekt die Interpretation des Lesers. Das ist kein Journalismus.” Das ist nicht richtig! Ganz im Gegenteil, “objektiver” Journalismus wäre keiner. Denn Journalisten dürfen und sollen einordnen, kommentieren, interpretieren. Gerade in einer Zeit, in der die Ereignisse doch für alle als bekannt vorausgesetzt sind. Der einzelne Vorgang, der lediglich berichtet wird, ist uninteressant. Der Leser mag die Effektivität der Argumentation, Exposition etc bewerten.
Davon abgesehen kann man sich als (auch journalistisches) Subjekt kaum objektivieren.

@Thomas: Dann wird es Sie ja – informiert wie Sie sind 😉 – sicher freuen zu erfahren, dass die L-IZ.de zuerst einmal den Leipziger Gründer/-innen gehört. Diese sind vor allem reich an Erfahrung und ein großer “Konzernverlag” hinter der Leipziger Zeitung existiert nicht.

Weshalb schon die Frage “Qui bono” ein wenig lustig im Angesicht des “bono” ist. Oder haben Sie ein Abo abgeschlossen? 😉

doch noch eins. „Lügenpresse“ ist ein Totschlagargument, dass allenfalls Karl-Valentin-Argumentation auslösen kann. Hier „lügt“ kaum jemand – und schon gar nicht gleichgeschaltet. Der Einheitsbrei entsteht von selbst durch die Konzentration des Medieneigentums, die soziale Herkunft von Eignern und Journalisten, deren politischen Präferenzen und Kontakten, Karriereplanungen und -abhängigkeiten und der beabsichtigten Zielgruppe. Cui bono? war schon immer eine gute Frage – besonders in Leipzig

Matthias, das ist die Kriegsentwicklung 22! Der Konflikt ist heiß seit „Maidan“ 2014 und selbst der hat eine farbene Vorgeschichte. Das ist genau, was ich bemängele – rausplatzen, ohne die Hausaufgaben gemacht zu haben.

zu mir – ich informiere mich sehr intensiv – neben vorwiegend englischen Zeitungs- und Hintergrundartikeln sind dies Telepolis, Overton und Nachdenkseiten. Bei letzterer sehe ich die Corona- und Impfnachrichten biased, nicht aber die politischen Texte. Das war mal bester SPD-Mainstream!

Ich bemerke aber etwas anderes. Mir scheint, Sie fühlen sich persönlich angegriffen. Nein, ich kritisiere aber Ihre Haltung als Journalisten. Sie geben zunehmend nicht nur ein Ereignis wieder, sondern kommentieren es auch und normieren zumindest indirekt die Interpretation des Lesers. Das ist kein Journalismus.

Frau Mosig, ich mache Ihnen nicht den Vorwurf der schlechten Recherche, sondern allenfalls den er Unbedarftheit und Radikalität der Jugend. Ich bin 57. Wenn Sie einmal diesen Abstand erreicht haben, werden Sie verstehen, was ich meine. Als Persönlickeitsmerkmal ist dies neutral. Professionelles Schreiben könnte hier bedeuten, sich als Autor bewusst zurückzunehmen oder einen Zweitleser mit anderer Aspektstruktur zurate zuziehen.

Ich fühle mich wieder an die letzten LVZ-Tage erinnert. Dort schrieb ich gegen Unsinn in der Berichterstattung über erneuerbare Energien an und erhielt schwarze neoliberale Textbausteine. Bei Ihnen sehe ich nun vor allem Haltung. Die L-IZ ist ein verdienstvolles Projekt. Wie üblich streiten wir uns als gute Linke über die Nuancen. Ich könnte jetzt noch etwas über Ideologie, “Sektierertum” – mich inbegriffen – und Generationen sagen. Nun soll es aber genug sein.

Thomas, natürlich sehen wir alle die Tendenzen der medialen Berichterstattung. Aber DIE Presse, DIE Medien gibt es nicht. Sie haben schon die Möglichkeit, Differenzierungen oder gar gegenteilige Aussagen und Analysen zu finden. Und genau deshalb haben die Lügenpresserufer und Berger nicht recht.

Nebenher kann man gern behaupten, die Kriege der USA seit 1990 seien unrechtmäßig und vor allem unverhältnismäßig. Das behaupte ich auch. Nur ist eben auch Putins Krieg unrechtmäßig und unverhältnismäßig. Er hat auch nur insofern mit MInsk II zu tun, als dass die Separatistengebiete besetzt wurden. Aber auch hier muss stärker differenziert werden. Separatrechte in der Ukraine bedeuten nicht Anschluss an Russland, um nur einen Konflikt zu nennen.

Ich teile die Einschätzung Bergers. Die Berichterstattung erfolgt schon seit Jahren einseitig, sowohl was den Ukrainekonflikt an sich als auch die US-Aktionen seit 90 betrifft – neben den div. Kriegen nur 2 Punkte – Minsk II und Schleifung des internationale Vertragswerkes zur atomaren Abrüstung.

Ich möchte auf die Kritik eingehen: Ja, ich bin im Vergleich zum Durchschnittsalter der LZ-Autor*innen jung, möchte die Unterstellung, dass ich aufgrund meines Alters nicht sorgfältig recherchiere oder einseitig schreibe, von mir weisen. Ich habe die Zwischenüberschrift sehr gut durchdacht und bleibe bei meiner Interpretation, dass Bergers Aussagen zur Presse nah dran sind an der generellen Mediendiskreditierung à la “Lügenpresse”.
Zitiert habe ich aus der 37. “Online-Bürgersprechstunde” von Muldental TV, ungefähr ab 2min50s: http://www.youtube.com/watch?v=0JBH8BSY1qQ
Berger sagt da generalisierend (“wenn ich früh die Zeitung aufmache”), dass die Presse hierzulande “übelste Kriegspropaganda” betreibe, und belegt diese Aussage mit sinngemäßen angeblichen Zitaten wie “Die russische Armee ist in schlechtem Zustand und demotiviert” und “die Helden der Ukraine”. Diese Berichterstattung erinnere ihn an “irgendwelche Kriegsfilme aus dem Zweiten Weltkrieg”. Nach diesen Aussagen über die Presse geht er – wie schon zuvor – auf die Bundesregierung ein. Er legt damit nahe, dass die Presse eh nur schreibt, was die Regierung will, und genau so bei der “Kriegstreiberei” mitmache wie damals etwa Veit Harlan für Goebbels. Das ist für mich Hetze, da er auch nicht konkret auf bestimmte Medien oder Berichte eingeht.

Im Gegensatz zur LVZ können Sie sich hier zumeist beigefügte Videos anschauen. So auch hier.

Warum also sprechen Sie anderen Menschen ihre Wahrnehmung ab? Schildern Sie doch mal, wie der Wortlaut Bergers auf Sie wirkt?

Liebe Frau Mosig,
man muss schon noch sehr jung und – oft damit verbunden – sehr selbstgewiss sein, wenn man die Überschrift „Grimmas OB hetzt gegen Medien“ wählt, um im darunter stehenden Kapitel dann den OB wegen seiner Aussage eine Nähe zur generellen Medienverteufelung als „Lügenpresse“ zu unterstellen. Herr Juhlke wird einseitig, Herr Wolf war es schon immer und der Nachwuchs hält den Tellerrand für den Horizont. Das L-IZ- Lesen macht keinen Spaß mehr. Ich vermisse die Dialektik der früheren Jahre und erinnere mich, dass mein Abschied von der LVZ mit ähnlichen Eindrücken begann. Schade!

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