Bei der kommenden Bundestagswahl entscheidet sich, was bei weltpolitischen Themen wie Migration und Klimakrise von Deutschland zu erwarten ist. Die Wahl hat aber auch Einfluss auf vieles, was für Kommunen wie Leipzig relevant ist. Die Leipziger Zeitung (LZ) hat sich einige Themenfelder herausgegriffen und fasst zusammen, was dazu in den Wahlprogrammen von Union, SPD, AfD, FDP, Linkspartei und Grünen steht.
Welche Rolle spielt Ostdeutschland in den Wahlprogrammen?
Die Union möchte weitere Bundesbehörden in Ostdeutschland ansiedeln – vor allem im ländlichen Raum; Ähnliches planen die Grünen, die vor allem Forschungseinrichtungen im Blick haben. Während „Ostdeutschland“ in den Programmen von SPD, AfD und FDP nicht namentlich genannt wird, widmet die Linke dem „selbstbewussten Osten“ ein eigenes Kapitel. Darin geht es unter anderem darum, Lohnunterschiede und die Renten anzugleichen sowie die Treuhand-Vergangenheit aufzuarbeiten. In diesem Jahrzehnt wird Mobilität in Städten wie Leipzig eines der größten Themen sein. Welche Rolle sollen Fuß-, Rad- und Autoverkehr sowie der ÖPNV künftig spielen?
Die Union fordert „mehr Miteinander“ der Fortbewegungsarten. Kommunen sollen „mehr Spielräume“ erhalten und beispielsweise Fahrrad-Vorrangrouten ausweisen können. Auch Fahrassistenzsysteme zur Vermeidung von Verkehrstoten stehen auf der Agenda der Union. Die SPD träumt derweil vom „modernsten Mobilitätssystem Europas“.
Wichtig sei „klimaneutrale Mobilität für alle“. Die SPD unterstützt Modellprojekte wie das 365-Euro-Ticket oder ticketfreien Nahverkehr. Auch die AfD skizziert eine Art Verkehrswende in Deutschland, möchte aber lieber Automobilindustrie und Flugwirtschaft stärken. Von der „unwissenschaftlichen Klima-Hysterie“ wolle man sich nichts vorschreiben lassen.
Zumindest „ohne ideologische Scheuklappen“ möchte die FDP die Herausforderungen bei der Mobilität der Zukunft angehen. Wichtig seien vor allem technische Innovationen und ein funktionierender Emissionshandel. Tempolimits oder Fahrverbote lehnt man ab. Die Linke möchte den Nahverkehr „schrittweise“ kostenlos machen, Schwarzfahren entkriminalisieren und den ÖPNV barrierefrei ausbauen.
Zusätzlich 100 Milliarden Euro pro Jahr soll nach den Vorstellungen der Grünen bis 2035 in Schienennetz und Bahnhöfe investiert werden. Auch Themen wie Lärmschutz und Barrierefreiheit spielen für die Grünen eine wichtige Rolle. Bis 2030 sollen sich die Fahrgastzahlen im ÖPNV verdoppeln.
Die 16 Länder haben viel Einfluss auf die Hochschulpolitik. Einige Entscheidungen fallen jedoch auf Bundesebene. Was fordern die Parteien?
Die Union wünscht sich unter anderem Kooperationen mit den Kommunen bei der Kinderbetreuung, um „mehr junge Menschen für eine wissenschaftliche Karriere zu gewinnen“. Die SPD möchte die Digitalisierung vorantreiben, die „Exzellenzstrategie“ weiterentwickeln und die Befristungen im Wissenschaftsbetrieb reduzieren. Die AfD plant, die Abhängigkeit von Drittmitteln zu reduzieren, und alle Fördermittel für „auf der Gender-Ideologie beruhende Lehre und Forschung“ zu streichen.
Die FDP möchte einen geringeren Bafög-Sockelbeitrag unabhängig vom Einkommen der Eltern und bei Bedarf zusätzlich ein Darlehen, das „erst bei gutem Einkommen“ zurückgezahlt werden muss. Die Linkspartei fordert, Hochschulen für weitere Personenkreise zu öffnen, ein Bafög, das nicht zurückgezahlt werden muss, und mehr Mitbestimmung von Studierenden und Mitarbeiter/-innen in Hochschulgremien. Die Grünen sprechen sich gegen Studiengebühren aus und wünschen sich, dass bis 2025 mindestens 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung in Forschung und Entwicklung investiert werden.
Die Coronakrise hat jüngst die Schwachstellen des deutschen Bildungssystems aufgezeigt. Auch in Leipzig und Sachsen sah man sich Defiziten, beispielsweise bei der Digitalisierung, gegenüber. Wie gehen die Parteien auf die Schulpolitik ein?
Mit „Nach Corona durchstarten“ betitelt die Union ihr Kapitel zur Bildungspolitik der kommenden Jahre. Sie verspricht ein Unterstützungsprogramm in Höhe von einer Milliarde Euro, um Lerndefizite aufzuholen. Auch die digitale Kompetenz von Lehrkräften und Schüler/-innen soll gefördert werden. Die SPD geht noch einen Schritt weiter und möchte jedem Schüler und jeder Schülerin ein digitales Endgerät zur Verfügung stellen. Außerdem soll ein Programm für „Chancengleichheit in der Bildung“ initiiert und eine Ganztagsbetreuung angeboten werden.
Neben der Digitalisierung, Bildungsgerechtigkeit und einem Recht auf einen Ganztagsplatz wollen die Grünen das Thema Klimaschutz auch vermehrt im Schulunterricht verankern. Das UNESCO-Bildungsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ müsse „in alle Bildungsnetzwerke und auf kommunaler Ebene“ integriert werden. Die Linke fordert derweil ein inklusives Schulsystem, den barrierefreien Ausbau aller Einrichtungen und die bessere Förderung geflüchteter und zugewanderter Kinder und Jugendlicher.
Die AfD fordert derweil die ausschließliche Vermittlung „deutschen Kulturguts“. Die FDP möchte bundesweite, vergleichbare Abschlussprüfungen einführen und die „Autonomie der Schulen stärken“.
In den vergangenen Jahren hat sich auch die Situation auf dem Leipziger Wohnungsmarkt verschärft. Leerstand, steigende Mieten und die Übernahme durch börsennotierte Unternehmen prägen das Stadtbild. Wie gehen die Parteien auf diese Problemfelder ein?
Laut der Union ist der beste Mieterschutz „ausreichender Wohnraum“. Auf „rechtlich fragwürdige und ungeeignete Eingriffe, wie den Mietendeckel“ wolle man verzichten. Die SPD möchte den sozialen Wohnungsbau vorantreiben und jährlich 100.000 Sozialwohnungen schaffen. Die Linke versprechen sogar 250.000 Wohnungen. Und auch die Grünen legen ihren Schwerpunkt auf den sozialen Wohnungsbau.
Die AfD benennt als Gründe für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum fehlenden Neubau, Landflucht sowie „ungezügelte und gesetzeswidrige Migration“. Daher will man Immobilienkäufe für Nicht-Deutsche erschweren. Genau wie die AfD positionieren sich auch die Freien Demokraten gegen eine Mietpreisbremse oder einen Mietendeckel. Stattdessen solle man Bauvorhaben steuerlich mehr fördern.
Leipzig gilt als Schauplatz der „Friedlichen Revolution“ und seit einigen Jahren auch als „Hochburg“ des „Linksextremismus“. Was findet sich in den Wahlprogrammen zu Themen wie Zivilgesellschaft und „Extremismus“?
Im Wahlprogramm der Union taucht das Wort „Zivilgesellschaft“ im Zusammenhang mit Sportvereinen auf, die einen Beitrag dafür leisten würden. Außerdem benennt die Union den „Rechtsextremismus“ als „größte Bedrohung für unsere offene Gesellschaft und freiheitlich-demokratische Grundordnung“. Dem „gewaltbereiten Linksextremismus“ müsse „konsequent begegnet werden“.
Auch Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Islamismus werden benannt. Die SPD möchte die Zivilgesellschaft unter anderem dadurch stärken, dass mehr Vereine als gemeinnützig anerkannt werden. Im Gegensatz zu „Rechtsextremismus“ und religiösem Fanatismus wird „Linksextremismus“ im Programm nicht explizit erwähnt.
Ganz anders die Lage bei der AfD: Dort taucht das Wort „Rechtsextremismus“ nicht auf; stattdessen findet man „Ausländerkriminalität“ und „Linke Gewalt“. Der „Linksextremismus“ müsse unter anderem durch ein Verbot von Indymedia bekämpft werden – und indem Gruppen, die „der sogenannten Antifa zuzuordnen sind“, als terroristische Vereinigung eingestuft werden.
Connewitz wird übrigens nicht erwähnt. Ähnlich wie CDU und SPD sieht auch die FDP den „Rechtsextremismus“ und Rassismus als „besondere Herausforderung“. Unter anderem heißt es: „Für Menschen mit gefährlichen rechtsextremen Einstellungen ist im öffentlichen Dienst kein Platz.“
Wenig überraschend ist „Linksextremismus“ auch bei Linken und Grünen nicht explizit Thema. Letztere wünschen sich unabhängige Studien zu „Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus in den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden“. Die Linkspartei bezeichnet Antifaschismus als „Grundlage unserer Politik“ und glaubt, dass „der sogenannte Verfassungsschutz“ durch „antifaschistische Arbeit in der Zivilgesellschaft“ ersetzt werden könnte.
Als „Armutshochburg“ wird Leipzig zwar kaum noch bezeichnet, dennoch rangiert die Stadt mit über 40.000 Hartz IV-Empfänger/-innen, einer steigenden Obdachlosenrate und einem Pro-Kopf-Einkommen von 18.000 Euro pro Jahr unter den ärmsten Regionen Deutschlands. Wie gehen die Parteien auf die Themen „Armut“ und „Obdachlosigkeit“ ein?
„Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird es mit uns nicht geben.“ Auch die Sanktionsmechanismen des Arbeitslosengeldes will die Union beibehalten. Den „schrittweisen Ausstieg aus Hartz IV“ möchte sie durch bessere Rahmenbedingungen für die Ausbildung von geringqualifizierten Arbeitslosen schaffen. Die FDP verspricht unterdessen ein „liberales Bürgergeld“ und eine geringere Anrechnung von Einkommen auf Sozialleistungen. Weder bei der Union noch bei der FPD wird „Obdachlosigkeit“ erwähnt.
Anders bei der AfD: Diese sieht die Ursache für Obdachlosigkeit in der fehlenden Bedarfsermittlung beim Wohnungsbau und strebt daher eine „Erfassung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit“ an. Der gesetzliche Mindestlohn soll beibehalten und mehr Arbeitsanreize geschaffen werden. Die SPD möchte indessen die Grundsicherung „grundlegend überarbeiten“ und zu einem „Bürgergeld“ entwickeln.
Genau wie die SPD sprechen sich auch Grüne und Linke für eine flächendeckende Umsetzung von Housing-First-Konzepten aus. Die Linkspartei will außerdem ein „garantiertes Mindesteinkommen von 1.200 Euro in jeder Lebenssituation, in der es gebraucht wird“ einführen sowie Hartz IV abschaffen. Über das BGE wird im kommenden Jahr in einem Mitgliederentscheid abgestimmt. Die Grünen positionieren sich klarer für ein BGE. Außerdem wollen sie, wie die Linken, das Recht auf Wohnen im Grundgesetz verankern.
Leipzig ist bekannt als „Stadt der Dichter und Denker“. Daher nehmen die Kulturausgaben im Haushaltsplan eine prominente Rolle ein. Was fordern die Parteien in Bezug auf Kulturpolitik?
Neben der deutschen Sprache und traditionellen Bräuchen soll mit dem Programm „Neustart Kultur“ das Kulturleben nach der Pandemie gefördert werden, so die Union. Die Aufarbeitung der NS-Zeit und SED-Diktatur steht ebenfalls im Fokus. Außerdem will man einen „starken, unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Die SPD fordert den Ausbau der Bundeskulturfonds, damit Kommunen finanziell in die Lage versetzt werden, Kunst und Kultur fördern zu können.
Die FDP möchte den Bundeshaushalt für Kultur erhöhen und Selbständige in der Kultur- und Kreativwirtschaft stärken. Die Linke will wäjhremddessen ein eigenständiges Kulturministerium etablieren und die Vergabe von Fördermitteln an soziale Standards, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität knüpfen. Außerdem soll der Eintritt in staatliche Kunsteinrichtungen perspektivisch kostenfrei sein. Die Grünen wollen zumindest für Schüler/-innen und Geringverdiener/-innen einen kostenlosen Eintritt einführen. Sie fordern weiterhin die strikte Aufarbeitung des Nationalsozialismus, der SED-Diktatur und der Kolonialgeschichte Deutschlands. Vor allem im Osten Deutschlands müsse Sportförderung im Fokus stehen.
SPD, FDP, Grüne und Linke wollen Kultur als Staatsziel im Grundgesetz (GG) festschreiben. Die AfD hingegen möchte Deutsch als „Staatssprache“ im GG verankern. Unter der Überschrift „Deutsche Leitkultur statt ‚Multikulturalismus’“ plädiert man außerdem für die Würdigung der „Höhepunkte“ deutscher Geschichte und gegen die Schmähung des Deutschkaiserreichs und die Debatte um „Dekolonisierung“.
„Vom „selbstbewussten Osten“ bis zur „Klima-Hysterie““ erschien erstmals am 3. September 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 94 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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