Die kommende Bundestagswahl dürfte spannend werden – auch in den beiden Leipziger Wahlkreisen. Etwas mehr als zwei Monate vor der Wahl hat sich die Leipziger Zeitung (LZ) mit Kandidat/-innen aus dem nördlichen Wahlkreis 152 zum Gespräch getroffen. Im ersten Teil des Interviews mit Marie Müser spricht die Kandidatin der Grünen über ihre Motivation, in die etablierte Politik zu gehen, über ihre Vorstellung eines neuen Wachstumsmodells für die Wirtschaft und über ihre Bilanz der Wirtschaftspolitik seit Beginn der Pandemie.
Viele junge Politiker/-innen fangen auf Kommunal- oder Landesebene an, bevor sie in das höchste deutsche Parlament streben. Wodurch reifte die Überlegung, für den Bundestag zu kandidieren?Ich habe 2018 mit der Parteipolitik angefangen, mich bei Wahlkämpfen eingebracht und innerhalb der Partei organisiert. Gleichzeitig habe ich mich bei „Leipzig nimmt Platz“ auf der Straße gegen Rechts engagiert, das war mir immer wichtig. Über „Leipzig nimmt Platz“ habe ich mich auch politisiert. Das war 2015/16, als es mit Pegida und Legida losging.
Durch mein Studium der Politik- und Wirtschaftswissenschaft war ich immer interessiert an den großen ordnungspolitischen Fragen auf Bundesebene, beispielsweise soziale Gerechtigkeit, Steuerpolitik und Klimapolitik.
Letztes Jahr haben mich dann ein paar Leute aus der Partei gefragt, ob ich mir eine Bundestagskandidatur vorstellen könnte. Da habe ich gedacht: warum denn eigentlich nicht? Ich konnte es mir gut vorstellen, weil ich für diese Themen brenne. Die Entscheidung war daher eher intuitiv als strategisch durchdacht.
Du hast in der Grünen Jugend und im Landesparteirat der sächsischen Grünen bereits Erfahrung mit politischer Gremienarbeit gesammelt. Wie bereitest Du Dich auf die potenzielle Arbeit in Berlin vor?
In der Bundespolitik ist Erfahrung nicht irrelevant, aber eine gute Bundestagskandidatin machen eben auch viele andere Dinge aus. Das sind vor allem die Bereitschaft, Menschen allen Alters zuzuhören, und die Bereitschaft, sich in Themen einzuarbeiten. Außerdem ist es wichtig, ein Gespür dafür zu haben, welche Themen gerade in der Gesellschaft brennen. Ich würde sagen, das bringe ich mit. Alles Weitere wird sich dann zeigen.
Du forderst ein „neues Wirtschafts- und Wachstumsmodell“ und willst „Wirtschaftspolitik neu denken“. Welche konkreten Eigenschaften soll dieses Wirtschaftsmodell haben?
Wir brauchen ein Wachstumsmodell, das vom exzessiven Ressourcenverbrauch und vom Raubbau an der Natur entkoppelt ist. Das heißt, dass wir zwar ein gewisses Wachstum brauchen, da global immer noch viele Menschen in Armut leben. Doch die Wirtschaft muss nachhaltig gestaltet sein, beispielsweise mit Kreislaufwirtschaftsmodellen. So können wir Rohstoffkreisläufe schließen. Und wir müssen Technologien auf den Markt bringen, die klimafreundlich sind.
Beim Thema Klimapolitik betonst Du, dass die Klima- und Gerechtigkeitsfrage miteinander verbunden werden müssen. Was genau meinst Du damit?
Wir brauchen für jede Klimaschutzmaßnahme ein Instrument, das soziale Gerechtigkeit schafft. Wenn es beispielsweise eine CO2-Bepreisung gibt, dann ist ein Energiegeld nötig, um es den Menschen wieder zurückzugeben.
Klimaschutz wird erstmal viel Geld kosten, gewisse Produkte und Dienstleistungen werden teurer. Wichtig ist, dass wir die unteren und mittleren Einkommensgruppen durch eine umverteilende Steuerpolitik entlasten. Die Einkommenssteuer zum Beispiel muss für Gering- und Mittelverdienende gesenkt werden. Wir müssen außerdem vom Hartz-IV-Sanktionsmechanismus wegkommen und Hartz IV dringend erhöhen.
Wenn ich betone, dass die Klima- und Gerechtigkeitsfrage zusammengedacht werden müssen, geht es mir um die Gleichzeitigkeit. Erst radikalen Klimaschutz machen und dann mal gucken, was bei den sozialen Themen noch gegengesteuert werden kann – das funktioniert nicht.
Nina Treu von der Linkspartei ist im Wahlkreis Leipzig-Nord wahrscheinlich die Kandidatin, die thematisch die größten Schnittmengen mit Dir hat. Treus wichtigste Forderung ist ebenfalls eine Wirtschaft, die sozial- und klimagerecht ist, ihre Lösung die Abschaffung des kapitalistischen Systems. Vertrittst Du denselben Lösungsansatz?
Wir brauchen definitiv ein anderes Wirtschaftsmodell, das hatte ich ja gesagt. Doch ich halte es nicht für zielführend, mit politischen Kampfbegriffen um sich zu werfen. Natürlich produziert der Kapitalismus – vor allem der entfesselte Finanzkapitalismus, den wir global gerade haben – extreme Ungleichheit. Wir müssen massiv gegensteuern, um Klimagerechtigkeit zu erreichen.
Ich glaube, es ist wichtiger, konkrete Maßnahmen in den Vordergrund zu stellen, beispielsweise eine umverteilende Steuerpolitik. Das ist nicht abstrakt, sondern hat einen konkreten Bezug zur Lebensrealität vieler Menschen. Häufig können die Leute mit abstrakten Diskussionen über die Form unseres Wirtschaftsmodells nicht viel anfangen. Hinzu kommt, dass es gerade in den neuen Bundesländern schwierig ist, mit dem Begriff „Sozialismus“ zu punkten.
Was hätte in der Wirtschaftspolitik seit Beginn der Pandemie besser laufen müssen?
Es ist richtig und wichtig, dass Unternehmen finanzielle Hilfen vom Staat bekommen haben, wobei ich mir gewünscht hätte, dass kleine und mittelständische Unternehmen stärkere Hilfen erhalten hätten. Gestört hat mich, dass große Unternehmen, die international Gewinne einfahren, Wirtschaftshilfen bekommen haben, während sie Arbeitnehmer/-innenrechte missachtet und nicht in nachhaltige Technologien investiert haben. Wirtschaftshilfen in und nach einer Pandemie müssen an ökologische und soziale Standards geknüpft werden.
Der zweite Teil des Interviews erscheint am Freitag, dem 13. August.
Auf dieser Seite sammeln wir alle Interviews mit den Kandidat/-innen.
In der aktuellen Print-Ausgabe der Leipziger Zeitung (LZ) (erhältlich seit Freitag, dem 30. Juli) finden Sie einen Schwerpunkt zur Bundestagswahl.
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