81 Orte allein in Sachsen, von denen aus die rechte Szene im Freistaat, aber auch bundesweit agiert und mobilisiert. Das ist die Bilanz des „Sachsen rechts unten 2021”-Berichtes des Kulturbüro Sachsen e. V. Die mittlerweile 7. Jahrespublikation schärft in diesem Jahr den zivilgesellschaftlichen Blick für ein zunehmend wichtiges Thema: Immobilien der extremen Rechten und die damit einhergehende Raumnahme.

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung, die das Kulturbüro bei diesem Projekt finanziell und ideell unterstützt, erklärt: „Die rechtsextreme Szene hat aus ihren Erfolgen im digitalen Raum gelernt, dass es darum geht, Räume zu greifen. Dafür braucht man Immobilien. Diese sind nicht nur ein Ort für Propaganda. Sie sind sozialer Treffpunkt und wichtig zur Planung rechter Übergriffe sowie für den Aufbau betrieblicher Infrastrukturnetze.“ Natürlich spiele dabei oft auch Kriminalität eine Rolle. Aber Reinfrank merkt an: „Ignorieren ist keine Lösung!“ Denn die Immobilien werden in den sächsischen Kommunen zu einem echten Problem, das mit Polarisierung und Unfrieden einhergeht. Auch im bundesweiten Überblick nimmt Sachsen eine traurige Führungsrolle ein bei der Vernetzung rechter Milieus.

Wie Grit Hanneforth, Geschäftsführerin des Kulturbüros, erklärt, wurde für den Bericht der Zeitraum von Januar 2018 bis Dezember 2020 betrachtet. Dabei wurde festgestellt, dass es in Sachsen keinen Landkreis ohne Objekte oder Liegenschaften der extrem rechten Szene gibt.

Ein flächendeckendes Problem, dessen Spitze der Bericht ankratzt, so Hanneforth: „Wir gehen in unserer Einschätzung davon aus, dass es deutlich mehr als diese 81 Orte sind.“ Einige der Räume seien im Besitz rechtsextremer Akteur/-innen, andere gepachtet oder gemietet.

Mindestens 19 dieser Orte werden als Gewerbefläche genutzt, also zur Herstellung und für den Vertrieb nationalsozialistischer Kleidung, von Tonträgern und Literatur. „Dadurch wird die Identifikation mit der rechten Szene erleichtert und vorangetrieben. Außerdem werden neue Zielgruppen angesprochen“, so Hanneforth. 30 weitere Räumlichkeiten dienen der Veranstaltung von Konzerten, Vorträgen und Kampfsportevents.

Einige Objekte dienen der Inszenierung: „Diese Orte zeichnet eine große Diskrepanz zwischen Sein und Schein aus“, erklärt die Geschäftsführerin des Kulturbüros. Neonazis wollen hier den Anschein von Nachbarschaftszentren erwecken, die das Gemeinwesen stärken sollen; in Realität dienen diese Räume aber der rechten Szene als Treffpunkte.

So auch das Bürgerzentrum von Pro Chemnitz: Mit einem bürgerlichen Anstrich versucht die Neonazi-Szene hier eine breitere Gesellschaft anzusprechen, die sich (zunächst) nicht rechts verortet. Doch die Recherchen für „Sachsen rechts unten 2021“ malen ein noch erschreckenderes Bild: Neben dem Bürgerzentrum und dem schon länger bekannten Objekt in der Markersdorfer Straße (Chemnitz), das für Veranstaltungen dient, tritt nun eine unsichtbare Schaltzentrale auf den Plan.

Anfang des Jahres wurde diese Räumlichkeit in der Frankenberger Straße (Chemnitz) bekannt. Hier scheinen viele rechte Vereine und Organisationen ihren Sitz zu haben. Auch eine Immobilienfirma, deren Hauptgesellschafter Martin Kohlmann, Kopf von Pro Chemnitz und wichtiger Akteur der Freien Sachsen, ist, hat sich hier angesiedelt.

In Chemnitz findet somit eine Art Arbeitsteilung statt, die zeigt, wie gefährlich die Immobilien bei der Stabilisierung der Netzwerke sind, so Steven Seiffert vom Mobilen Beratungsteam Mitte-Süd. Das Bürgerzentrum wirkt in die Gesellschaft hinein, das Objekt in der Markersdorfer Straße generiert Einnahmen und in der Frankenberger Straße laufen die Fäden zusammen, um eine großflächige Planung zu ermöglichen.

Völkische Siedler/-innen in Mittelsachsen

Für den „Sachsen rechts unten“-Bericht wurden keine rein privaten Räume analysiert. Doch laut Franz Hammer vom Mobilen Beratungsteam Nordwest mit Sitz in Leipzig tragen vor allem diese zum Aufbau rechter Treffpunkte bei. In seinem Artikel beschäftigt sich Hammer mit den völkischen Siedler/-innen in Mittelsachsen – vor allem in der Region rund um Leisnig.

Diese suchen für ihre rechten Ideologien einen Rückzugsort. Ein antimodernes Selbstversorger-Leben führen, abseits von interkulturellen Gesellschaften – das Idealbild der völkischen Gruppierungen in den sächsischen Kommunen. Das bestätigt ein von Hammer vorgelesenes Zitat eines Siedlers: „Die Kinder wachsen ordentlich auf, wenn hier Treffen sind – ohne kilometerweit fahren zu müssen. Da sind viele Kinder, die mit Schild und Schwert über die Wiese rennen, und viele Mädchen, die Blumen pflücken.“

Auch der Kontakt der eigenen Kinder mit Personen mit Migrationshintergrund wird in den rassistischen Ideologien als Gefahr angesehen und oft als Grund für den Rückzug in ländliche Gegenden genannt.

„Diese Leute kommen meist aus den alten Bundesländern und haben erfahren, was es bedeutet, als extrem rechter oder völkischer Akteur im Licht der Öffentlichkeit zu stehen“, erklärt Hammer. „Es gibt eine aktive Zivilgesellschaft, die das Leben durchaus schwerer macht, wenn man beispielsweise eine Rolle im Elternrat spielen will, bei der Arbeitsplatzsuche, beim Wirken ins Gemeinwesen.“

In Sachsen sei die Toleranz von rechten Ideologien größer als in anderen, vor allem westlichen Bundesländern. Neonazis und extrem Rechte aus diesen Gegenden können sich im Freistaat in Ruhe ansiedeln und organisieren. Hammer benennt als Beispiel Michael Brück, deutscher Rechtsextremist und ehemaliger, stellvertretender NRW-Landesvorsitzender der Kleinpartei „Die Rechte“. Der Dortmunder begrüßte in einem Beitrag die sächsische Offenheit für rechts. In den neuen Bundesländern müsse man als Neonazi nicht die Antihaltung einnehmen, wie es beispielsweise in seiner Heimatstadt der Fall sei, wo ein eigener Dortmunder „Nazikiez“ entstanden ist.

Bei diesen Ansiedlungen im ländlichen Sachsen und der Organisation rechter Strukturen spielt auch die Initiative „Zusammenrücken“ eine große Rolle. Diese ist seit 2020 medial aktiv und ermuntert extrem Rechte zum Umzug in ostdeutsche Provinzen. Dort vermittelt „Zusammenrücken“ Arbeitsplätze, gibt Einschätzungen für ideale Standorte und bildet durch Podcasts und Telegramgruppen nachbarschaftliche Netzwerke.

„Diese Netzwerke etablieren sich und werden über die eigenen Grenzen hinaus wirksam“, so Hammer zu den vermeintlich „friedlichen“ Rückzugsgedanken. „Und dann kommt es langsam zu Normalisierungen – in der Schule, auf der Arbeit. Wenn wir das nicht ansprechen, dienen wir den Interessen dieser rechten Netzwerke.“

Daher müssen sowohl die Zivilgesellschaft als auch die Kommunalverwaltungen und die Ordnungsbehörden bei jeder Möglichkeit intervenieren. Sich und andere für das Thema sensibilisieren, aktiv gegen rechte Ideologien aufstehen. Grit Hanneforth appelliert vor allem an die Kommunen: „Die Verwaltungen verfügen über ein breites Repertoire an Maßnahmen, um Nutzungsart und Kaufrechte zu prüfen.“

Diese Möglichkeiten wurden von den sächsischen Provinzen bisher jedoch nicht ausgeschöpft, so Franz Hammer. Er verstehe, dass man das Problem erst einmal intern klären möchte und ein gesellschaftlicher Diskurs über eine rechte Szene im eigenen Ort einige Bürgermeister/-innen mit Scham erfüllt. Doch keiner kann etwas für diese Ansiedlung; sie aber nicht anpacken, ist erst recht keine Lösung.

Ein positives Beispiel für die Verdrängung von extrem rechten Immobiliennutzern ist die geplante rechte „Gedächtnisstätte“ in Borna, die durch ein Zusammenspiel aus zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteur/-innen verhindert wurde. An solchen Vorbildern können sich Kommunen orientieren.

Letztlich wirbt Grit Hanneforth auch bei den Ordnungsbehörden für eine Sensibilisierung: „Die Gefahr, die von rechten Räumen ausgeht, kann in Sachsen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.“ Die Anzahl der rechten Szeneorte sei seit langer Zeit auf einem sehr hohen Niveau – deutlich über dem Bundesdurchschnitt. In den vergangenen Jahren habe sich aber die Qualität der Verankerung deutlich gesteigert – auch und vor allem durch den Erwerb von Wohn-, Geschäfts- und Arbeitsräumen.

Die Publikation „Sachsen rechts unten 2021“ kann gegen Rückporto kostenfrei beim Kulturbüro Sachsen e. V. bestellt werden. 

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