Die Außenstelle Leipzig des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat im November 2020 einen negativen Asylbescheid ausgestellt, ohne die im Rahmen der Anhörung klar benannte Transidentität einer Antragstellerin zu berücksichtigen. Eine Beschwerde beim BAMF zur Erwirkung einer vollumfänglichen Würdigung der angegebenen Fluchtgründe wurde abgelehnt.
C. ist trans-feminin, kommt aus Kamerun, einem Land, in welchem homosexuelle Handlungen gesetzlich unter Strafe stehen, und ist vor homo- und transfeindlicher Gewalt nach Deutschland geflohen.
C. beschrieb in ihrer Asylanhörung eine sich durch ihr Leben ziehende Geschlechtsidentität, welche bereits seit der Kindheit klar fassbar und bewusst war: „Ich war eine Frau im Körper eines Mannes.“ Auch der Wunsch nach einer körperlichen Transition wurde in der Anhörung klar benannt: „Wenn ich zur Toilette gehe, mache ich es wie eine Frau. Mein Geschlecht ist ein Problem. Ich fühle mich wie eine Frau. Das hat mir Gott gegeben. Ich habe mehrere Ideen im Kopf bezüglich meines Aussehens in der Zukunft.“ Im Rahmen der Asylanhörung berichtete C. außerdem von romantisch-sexuellen Beziehungen zu Männern. Detailliert beschrieb sie eigene Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen, gab an, beleidigt und verprügelt worden zu sein. Sie schilderte traumatische Erlebnisse, inklusive Foltererfahrungen und den homofeindlichen Mord an ihrem Partner in Kamerun. Als öffentlich wurde, dass C. Beziehungen mit Männern führte, wurde Anzeige wegen homosexuellen Verhaltens gegen sie gestellt.
Das BAMF Leipzig lehnte den Asylantrag von C. mit der Begründung ab, die in neun Stunden vorgetragenen Fluchtgründe seien „durch Vagheit, mangelnde Details und fehlende Lebensechtheit gekennzeichnet“. Außerdem wurde festgestellt, dass C. ihre „Sexualität jahrelang unbehelligt ausleben konnte“.
Rasha Azur Haneefa vom Queer Refugees Network des Vereins „RosaLinde“ ist von der verständnislosen Sichtweise des BAMF enttäuscht: „Das BAMF geht davon aus, dass queere Personen im Kamerun trotz existierender Strafgesetze sicher leben können. Nicht nur in Bezug auf Kamerun findet sich immer wieder die Argumentation, dass Strafgesetze, welche queere Personen kriminalisieren, nicht oft oder flächendeckend genug angewandt werden und – so die Schlussfolgerung – die einzelne queere Person damit keine hohe Wahrscheinlichkeit hat, selber Opfer einer Kriminalisierung zu werden.“
Doch allein die Existenz von Strafgesetzen, die daraus resultierende Angst vor einem Outing und vor allem auch die Unmöglichkeit, sich im Falle von Diskriminierung oder Gewalt Schutz bei staatlichen Behörden zu suchen, stelle für queere Personen gravierende, existentielle Folgen dar.
C.s Asylanhörung wurde bei einer Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfolgung beim BAMF durchgeführt, welche für die Anhörung homosexueller oder transgeschlechtlicher Asylantragsteller/-innen besonders geschult ist. Dennoch fand die klar formulierte Geschlechtsidentität in der Entscheidung über C.s Asylverfahren keinerlei Beachtung.
Gemeinsam mit der Beratungsstelle Queer Refugees Network legte C. im Dezember 2020 Beschwerde beim BAMF ein, um zu erwirken, dass ihre angegebene Transidentität im Rahmen des Asylverfahrens Würdigung erhält. Das BAMF lehnte dies im Frühjahr 2021 ab und führte aus: „Ihr Schreiben zu dem Asylverfahren, einschließlich des Schreibens des Vereins Rosalinde Leipzig, wurde dem Verwaltungsgericht Leipzig zur Kenntnisnahme weitergeleitet.“ Hier zeigt sich deutlich, dass das BAMF Leipzig eigene Kernaufgaben, nämlich die vollumfängliche Prüfung der vorgetragenen Fluchtgründe, auf eine andere Instanz, das Verwaltungsgericht Leipzig, auslagert.
Weiterhin heißt es in der Antwort des BAMF: „Ich darf mitteilen, dass eine Beschwerde gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz nicht statthaft ist.“ In Deutschland kann in der Regel gegen jeden Verwaltungsakt Beschwerde eingelegt werden. Jedoch gibt es eine Ausnahmeregelung: der Asylprozess. Es ist nicht möglich, beim BAMF Beschwerde einzulegen. Überprüfungsmöglichkeiten von Verwaltungsakten im Asylbereich sind daher sehr eingeschränkt. Entscheidungen müssen somit stets auf Gerichte ausgelagert werden, die ohnehin schon überlastet sind.
„Für einen nicht unwesentlichen Teil der Entscheidungen kann vor Gericht eine Änderung erstritten werden“, so Rasha Azur Haneefa. In den vergangenen vier Jahren gingen Antragsteller/-innen gemeinsam mit dem Queer Refugees Network gegen abgelehnte Asylanträge vor. Wiederholt räumte das BAMF Leipzig im Anschluss Fehler ein und prüfte die erlassenen Bescheide erneut.
Doch so weit sollte es nicht immer kommen. Daher fordert das Queer Refugees Network eine Reform der Entscheidungspraxis am BAMF. „Es muss eine sachgerechte, vollumfängliche Prüfung der gestellten Asylanträge und eine adäquate Würdigung der Lebensumstände von homo-, bi-, asexuellen, trans und inter Personen in ihren Herkunftsländern geben“, so das Team des „RosaLinde“.
Bis dahin wolle man aber weiterhin öffentlichen Druck auf die Entscheidungsprozesse am BAMF ausüben. „Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit und das Interesse an queeren Schicksalen kann enorme Konsequenzen für die Existenz und das Bleiberecht einer Person haben. Viele Menschen haben von allein nicht die Möglichkeiten und die Ressourcen, um über sich und ihre Situation zu sprechen oder sie werden nicht gehört.“
So auch im Fall von C. „Sie nimmt regelmäßig an der psychosozialen Beratung des Queer Refugees Network, zur psychischen Stabilisierung, teil. In den Beratungsgesprächen berichtet C. von wiederkehrenden Flashbacks in Bezug auf vergangene Ereignisse in Kamerun und von der wiederkehrenden Angst, in den Kamerun abgeschoben zu werden. Auch nach einem Klinikaufenthalt und weiterführender psychiatrischer Behandlung ist C. latent suizidal und instabil“, heißt es seitens des Vereins.
Derzeit läuft ein Klageverfahren gegen den negativ entschiedenen Asylantrag des BAMF Leipzig, jedoch wurde der Antrag auf Rechtsschutz abgelehnt, sodass C. akut abschiebegefährdet ist. Wie es in C.s Fall auf rechtlicher Ebene weitergeht, wird Ende Juli vor dem Verwaltungsgericht Leipzig verhandelt.
Dass queeren Personen, die aus solchen Ländern fliehen, negative Asylbescheide ausgestellt werden, gliedert sich in ein noch größeres Problem ein. Seit 2016 arbeitet das BAMF nach genauso gnadenlosen „Effizienz“-Kriterien wie die Bundesagentur für Arbeit. Das hat mit einer von der Öffentlichkeit kaum wirklich bemerkten Änderung im Asylrecht, mit dem „Asylpaket II“ zu tun, das vor fünf Jahren in Kraft trat und seitdem systematisch abgelehnte Asylbewerber produziert. Ein „Abschiebe-Soll“ sozusagen, der dafür sorgte, dass die Zahl der positiven Asylbescheide noch im selben Jahr von 56 auf 19 Prozent abfiel.
Die Menge der Menschen, die aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden dürften, hat drastisch zugenommen. Doch die Union im Bund hat vieles versucht, um auch noch das letzte Bürgerkriegsland wieder zu einem „sicheren Herkunftsland“ zu erklären und die Betroffenen in die schlimmsten Katastrophengebiete abzuschieben – ob es nun um das von den Taliban terrorisierte Afghanistan oder das für Transmenschen gefährliche Kamerun geht.
„Transidentität als Fluchtgrund“ erschien erstmals am 30. April 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.
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