Die Zeiten ändern sich und deshalb muss sich auch unsere Erinnerungskultur ändern. Vor allem Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene werden heute nicht mehr in dem Maß von der Verfolgungsgeschichte der Juden erreicht wie noch vor 30 Jahren. Warum ist das so?
Für sie ist diese Geschichte eine vergangene Geschichte. Es betrifft ihre persönliche Lebensgeschichte nicht. Sie kennen niemanden mehr, der ihnen aus eigenem Erleben davon berichten kann. Die Tränen im Auge der Überlebenden versiegen und auch die Menschen, die sie persönlich kennen, waren – anders als noch vor 30 Jahren – nicht mehr Zeugen der Untaten der Nazis und der Unterlassung der Zivilgesellschaft. So entsteht der Eindruck, dass sie die feststehenden Meinungen und Erinnerungsrituale ihrer Eltern und Großeltern übernehmen sollen.
Welche neuen Wege der Erinnerung können wir „gehen“, damit die Geschichte von früher, wieder zur eigenen Geschichte wird und wir den „garstigen Graben“ (Lessing) zwischen damals und heute überwinden können? – Wir meinen: Zurück zu den Quellen sowie Mitwirken und selbst Teil der Erinnerung werden – wie beim Schneeblumen-Gedenkweg.
Der Weg in die Nacht
Beim Schneeblumen-Gedenkweg gehen wir gemeinsam einen Weg in die Nacht, bei dem jede/r ihren/seinen eigenen inneren Weg geht. So kann eine persönliche Erfahrung und Haltung entstehen. Wir können mitgehen, die Namen der Zwangsarbeiterinnen lesen, ihre Musik spielen, mitfühlen. Wie in der jüdischen Erinnerungskultur werden wir selbst ein Teil der Erinnerung.
Am 13. April 1945 wurden die Frauen des KZ-Buchenwald Außenlagers Markkleeberg in der Nacht durch die verdunkelten Straßen der Randbezirke Leipzigs getrieben: 1550 Zwangsarbeiterinnen – 1300 jüdische Ungarinnen und 250 Französinnen. Ihr Ziel war Theresienstadt. Für die meisten von ihnen war es kein „Todesmarsch“, sondern ein entbehrungsreicher Weg in ein neues Leben.
80 Jahre nach der Lagerräumung laden wir deshalb am 13. April dazu ein, den ersten Teil ihres Weges im Gedenken an die Gefangenen gemeinsam zu gehen. Keine von ihnen soll unter uns vergessen sein. Wir tragen sie in dieser Nacht bei uns, ihre Namen und ihre Worte, ihre Musik und ihre Gebete, ihre Klage und ihre Hoffnung. Wir leihen ihnen unsere Füße, Gedanken und Herzen. Wir gehen den Weg mit Zeichen und Gesten der Anteilnahme und Erinnerung. Ihr Vermächtnis tragen wir weiter: allen Menschen mit offenem Herzen zu begegnen und der Feindseligkeit keinen Raum zu geben.
Eine Überlebende, Zahava Szász Stessel hat ihre Erinnerungen in dem berührenden Buch „Schneeblumen“ zusammengetragen – herausgegeben 2021 vom Notenspur-Verein im Verlag Hentrich & Hentrich. Ihre Gedanken werden uns auch in diesem Jahr durch die Nacht begleiten.
Der Schneeblumen-Gedenkweg beginnt am Standort des ehemaligen KZ-Buchenwald Außenlagers Markkleeberg. Zum Abschluss unseres Gedenkweges in Probstheida drücken wir mit Symbolen – Kerzen, Steinen, Blumen – unsere Anteilnahme aus und teilen mit der jüdischen Gemeinde die Hoffnung, dass ein Neubeginn möglich ist.
„Mit einem äußeren zugleich einen inneren Weg zu gehen und dies mit Musik zu verbinden, um den Eindruck zu vertiefen, ist unser Anliegen“, unterstreicht Notenspur-Initiator Werner Schneider.
Aktuell werden noch ehrenamtliche Musikerinnen und Musiker, Sprecherinnen und Sprecher sowie organisatorisch-technische Helferinnen und Helfer für den Gedenkweg gesucht.
Anmeldungen und Auskunft unter E-Mail: schneeblumen@notenspur-leipzig.de
Zusammenfassende Information:
Beginn: 19.00 Uhr am Gelände des ehem. KZ-Buchenwald Außenlagers Markkleeberg, ASG-Bildungsstätte, Equipagenweg 15
Streckenlänge ca. 6,5 km, Teilstrecken sind möglich.
Ende: gegen 21.50 Uhr in Probstheida, Russenstraße 23
Anfahrt und Rückfahrt mit ÖPNV möglich
Organisation: Notenspur Leipzig e.V. und Werkbühne e.V.
Informationen: www.notenspur-leipzig.de/sbgw
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