Die Medizinerin Prof. Dr. Bahriye Aktas von der Universitätsmedizin Leipzig sowie die Biophysiker Prof. Dr. Josef Alfons Käs von der Universität Leipzig und Prof. Dr. Jochen Guck vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen erhalten den Greve‐Preis der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2024. Damit werden ihre grundlegenden Erkenntnisse über die Ausbreitung von Tumorzellen im Körper gewürdigt. Die mit 250.000 Euro dotierte Auszeichnung wird am Freitag, 6. Dezember 2024, in Hamburg verliehen.

Da mehr als 90 Prozent der Krebstodesfälle durch Metastasen verursacht werden, ist ein besseres Verständnis der Mechanismen, durch die sich Krebszellen im Körper verbreiten, entscheidend. Dies könnte zu genaueren diagnostischen Verfahren und neuen Therapieansätzen führen. Die Mechanik von Zellen und Gewebe bietet hierfür wertvolle Einsichten, da auch Krebs den Gesetzen der Physik folgt.

Josef Käs und Jochen Guck gehören weltweit zu den führenden Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Krebsphysik, das sie maßgeblich mitbegründet haben. Ihre frühen gemeinsamen Forschungen konzentrierten sich auf die physikalischen Eigenschaften von Zellen und deren Wechselwirkung mit Gewebe. Sie entdeckten, dass Tumorzellen und Zellaggregate aktiv zwischen festen, steifen und flüssigen, weichen Zuständen wechseln können, um sich durch dichtes Körpergewebe zu bewegen und Metastasen zu bilden.

Diese Erkenntnisse führten zu einem Paradigmenwechsel im Verständnis der Metastasierung. Die Zusammenarbeit von Josef Käs und Bahriye Aktas ermöglichte darüber hinaus eine präzisere Einschätzung des Metastasierungsrisikos bei Krebserkrankungen.

Metastasierungspotenzial eines Tumors durch Zellform erkennen

Die Untersuchung von menschlichen Tumorproben direkt nach der Operation durch Aktas und Käs mithilfe der Lebendzellmikroskopie zeigte, dass längliche Krebszellen mobiler sind. Diese Zellen können sich durch Gewebe quetschen und dienen somit als Marker für Zellbeweglichkeit und Metastasierungspotenzial. Aktas stellte die entscheidende Frage, wie gut Tumorränder definiert sein müssen, wenn sich Tumorzellen bewegen können.

„Bahriye Aktas, Jochen Guck und Josef Käs zeigen auf beeindruckende Weise, wie interdisziplinäre Grundlagenforschung das Verständnis von Krebserkrankungen maßgeblich erweitern kann“, sagt Leopoldina-Präsident Prof. Dr. Gerald Haug. „Der physikalische Blick auf das Verhalten von Tumorzellen, verbunden mit direkten Erkenntnissen aus der Klinik hat das Potenzial, völlig neue Behandlungskonzepte gegen Krebs zu entwickeln.“

Eine klinische Studie mit über 1.000 Brustkrebspatientinnen verdeutlicht bereits das Potenzial dieser Forschung für die Krebsbehandlung. Entscheidend für die Therapieentscheidungen ist, ob der Krebs metastasiert oder nicht – eine Frage, die bisher oft schwer vorherzusagen war. Dank der Zusammenarbeit von Käs, Aktas und dem Hamburger Pathologen Prof. Niendorf konnte die Form von gequetschten Zellen als histologischer Tumormarker für Zellbeweglichkeit identifiziert werden.

Dieser Marker, der die bisherigen Kriterien ergänzt, weist zuverlässiger auf das Metastasierungspotenzial eines Tumors hin. Die weicheren, beweglicheren Krebszellen zeichnen sich durch ihre längliche Form und deformierte Zellkerne aus, was ihnen ermöglicht, sich durch Gewebe zu drängen. „Unser neuer histologischer Tumormarker, basierend auf der Physik von Krebs, ist ein wichtiger Schritt hin zu individuelleren Krebsbehandlungen, da er eine präzisere Vorhersage des Metastasierungsrisikos erlaubt“, erklärt Käs.

Die zugrundeliegende Idee, an der auch Prof. Guck maßgeblich beteiligt war, besagt, dass metastasierende Krebszellen weicher sein müssen. Parallel zu den Leipziger Aktivitäten entwickelte Guck in Erlangen eine Hochdurchsatzmethode, die mechanische Deformierbarkeit von Zellen zu messen (real-time deformability cytometry, RT-DC). Diese Methode hat in der Zukunft besonderes Potenzial, um Wirkstoffe zu finden, die die Mechanik von Krebszellen verändern und so die Metastasierung verhindern könnten.

„Die Erkenntnisse sind nicht nur für die Prognoseeinschätzung von entscheidender Bedeutung, sondern auch für die Therapieplanung im klinischen Alltag. Die nächsten Schritte werden neben der Wirkstoffentwicklung angemessene operative Maßnahmen und die Untersuchung natürlicher Barrieren sein“, sagt Aktas. 

Über die Preisträger:innen

Bahriye Aktas (Jahrgang 1975) ist Klinikdirektorin an der Universitätsfrauenklinik Leipzig. Als Gynäkoonkologin liegen ihre Schwerpunkte neben der minimal-invasiven und roboterassistierten Chirurgie, die für schonende und präzise Operationen mit besseren Heilungschancen eingesetzt werden, insbesondere auf der Krebsfeldchirurgie. Aufbauend auf dem Arbeiten ihres Vorgängers Prof. Höckel, arbeitet sie an der internationalen Etablierung neuer Operationsmethoden, die auf der ontogenetisch bedingten Tumorzellausbreitung basieren.

Josef Käs (Jahrgang 1961) ist Leiter der Abteilung Physik der weichen Materie der Universität Leipzig. Er studierte Physik an der Columbia University in New York/USA und der Technischen Universität München. Nachdem er eine Professur an der University of Texas in Austin/USA innehatte, wechselte er an die Universität Leipzig. Eines seiner wichtigsten Forschungsfelder ist die Erforschung der physikalischen Eigenschaften von Krebszellen. Er entdeckte, wie Krebszellen verschiedene Festigkeits- und Flüssigkeitszustände annehmen und sorgte für einen Paradigmenwechsel beim Verständnis der Tumormechanik.

Jochen Guck (Jahrgang 1973) studierte Physik in Würzburg und promovierte an der University of Texas in Austin/USA bei Josef Käs. Gemeinsam entwickelten sie den Optical Cell Stretcher, um die Mechanik von Krebszellen zu untersuchen. Nach Forschungsstationen an der Universität Leipzig und der University of Cambridge/UK erhielt Guck 2012 die Alexander von Humboldt-Professur für zelluläre Maschinen am Biotechnologischen Zentrum der Technischen Universität Dresden und war dort leitender Direktor. Seit 2018 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts.

Greve-Preis wird alle zwei Jahre verliehen

Mit dem Greve-Preis ehrt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina zum zweiten Mal Wissenschaftler:innen oder Forschungsteams, die in Deutschland an Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder in Wirtschaftsunternehmen tätig sind. Die Auszeichnung wird alle zwei Jahre verliehen und würdigt besonders herausragende Forschungsleistungen in den Bereichen Naturwissenschaften/Medizin und Technikwissenschaften.

Der Greve-Preis wird themenspezifisch ausgeschrieben, in diesem Jahr zu Grundlagen neuer Krebstherapien. Die Auszeichnung wird von der Hamburgischen Stiftung für Wissenschaften, Entwicklung und Kultur Helmut und Hannelore Greve gestiftet. 

Als Nationale Akademie der Wissenschaften leistet die Leopoldina unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Fragen. Sie hat rund 1.700 Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und vereinigt Expertise aus nahezu allen Forschungsbereichen. 

Die Preisverleihung findet am Freitag, 6. Dezember 2024 um 11:00 Uhr im Rahmen eines Festakts im Hamburger Rathaus statt. 

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