Ein Band aus 21 großformatigen Lichtinstallationen zog sich am Abend des 9. Oktober um Leipzigs Innenstadtring. Der 35. Jahrestag der entscheidenden Montagsdemo der Friedlichen Revolution war Anlass, mit Licht und zehntausenden Kerzen zu erinnern.
Aber nicht nur erinnern, sondern auch erzählen und berühren wollen die internationalen Kunstprojekte – und das tun sie auch. Reflektieren doch alle auf eigene Weise einen Bezug zum Herbst `89 und verweisen zugleich in die Gegenwart. Sei es die großformatige „Ode an die Demokratie“, eine kraftvolle, audiovisuelle Installation aus Leipzigs Partnerstadt Frankfurt am Main oder seien es nur scheinbar leisere Projekte wie „Reflexion“ (Heelemann & Scheibe/Weimar) oder „Where did the hero come from?“ (Eunjin Park/Köln).
Nahezu magisch, wie sich die riesigen Lichtstrahlen von Philip Ross‘ „Barriere“ durch Berührung von den Besuchern öffneten und Durchgang gewährten. Ob filigran und durch Doppeldeutigkeit überzeugend wie „Freiheit?“ (Loomaland/Berlin) und „Stringed“ (Gijs von Bon/Niederlande) oder energiegeladen wie die Tänzerinnen und Tänzer der trinationalen Performance „(De)konstruieren“ (Partnerstadt Lyon) vor dem Hauptbahnhof – sie alle begeisterten die Besucher.
Marit Schulz, Leiterin Lichtfest, zog am Veranstaltungsabend ein positives Resümee: „Beeindruckend, wie viele Menschen den Augustusplatz bei der Eröffnung füllten und dann gemeinsam zum Rundgang über den Ring aufbrachen. Für viele Besucherinnen und Besucher ist dies auch und gerade nach 35 Jahren wieder ein berührender Moment: Heute leuchteten Installationen an der Strecke, wo am 9. Oktober `89 der Schießbefehl drohte und die Angst da war, aber der Mut der Menschen gewann.
Ein Tag, der die ganze Welt veränderte
Die Besonderheit dieses 9. Oktober 1989 in Leipzig wurde auch bei den Grußworten auf dem Augustusplatz betont. Burkhard Jung, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, stand die Freude über die vielen Besucherinnen und Besucher des Lichtfestes, die er auf dem Augustplatz begrüßte, ins Gesicht geschrieben. Ganz ausdrücklich bedankte er sich „bei all den Menschen, die 1989 mit ganz heißem Herzen und unglaublichen Mut dafür gesorgt haben, dass wir heute hier in der Freiheit und Demokratie stehen können.“
Jung nahm den 9. Oktober zum Anlass, „an die Botschaft zu erinnern, die Freiheit und die Selbstbestimmung zu verteidigen, für die Menschenwürde und die Demokratie als unantastbare Güter zu streiten und zu kämpfen.“
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der am Nachmittag beim Festakt im Gewandhaus die „Rede zur Demokratie“ gehalten hatte, wandte sich auf dem Augustusplatz an die Besucher und Besucherinnen: „Es steht da stolz ‚89‘ an dem Turm“, sagte er mit Blick auf die riesige 89 an der Fassade des City-Hochhauses. „Das ist eine Botschaft. Eine Botschaft, dass es möglich ist, die Freiheit friedlich zu erkämpfen.“
Auch Scholz erinnerte an die mutigen Demonstranten von 1989. „Die Diktatur der SED, der DDR-Staat mit all seiner Macht und Gewalt ist zurückgewichen. Und damit war nicht nur Leipzig, war nicht nur die DDR, war nicht nur Deutschland, war nicht nur Europa verändert, sondern die ganze Welt.“
Eine sehr persönliche Erinnerung an den Herbst 89 brachte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer mit: „In meiner Heimatstadt Görlitz bin ich als 14-Jähriger zu den Montagsdemos gegangen. So alt wie mein Sohn heute ist. Und heute habe ich gedacht: Wie großartig, dass Kinder und Jugendliche das erleben können – gemeinsam mit ihren Eltern. Sie machen das möglich“, bedankte sich Kretschmer bei den Leipzigerinnen und Leipzigern: „Ich kenne keinen anderen geschichtsträchtigen Tag in der Bundesrepublik Deutschland, der so lebendig 35 Jahre danach noch begangen wird. Sie sind zu Recht die Stadt der Friedlichen Revolution.“
Dass trotz aller Herausforderungen in einer Demokratie dieser Tag gefeiert werden sollte, betonte auch Elke Urban, Bürgerrechtlerin der ehemaligen DDR: „Wir haben allen Grund zur Freude“.
Vier Lichtinstallationen noch bis zum Wochenende erlebbar (10.–12. Oktober)
Anlässlich des 35. Jahrestages der Friedlichen Revolution werden einige Lichtprojekte nicht nur am 9. Oktober, sondern bis zum Wochenende gezeigt: Vom 10. bis 12. Oktober, 19 bis 23 Uhr, laden Lichtinstallationen am Nikolaikirchhof (Where did the hero come from?), Augustusplatz (Stringed), Burgplatz (Freiheit?) und Wilhelm-Leuschner-Platz (Passage) zum Besuch ein.
Zum Hintergrund: Friedliche Revolution 1989
Mit dem Lichtfest Leipzig, dem Friedensgebet und der „Rede zur Demokratie“ erinnert die Stadt Leipzig alljährlich am 9. Oktober an die Ereignisse der Friedlichen Revolution im Herbst 1989. Bereits seit 1982 hatten Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen regelmäßig zu Friedensgebeten in die Nikolaikirche eingeladen. Von hier gingen im September 1989 die Montagsdemonstrationen aus.
Nach den Friedensgebeten in mehreren Kirchen versammelten sich am 9. Oktober in der Leipziger Innenstadt schließlich mehr als 70.000 Menschen, um gewaltfrei zu demonstrieren – der Durchbruch für die Friedliche Revolution und ein Schlüsselereignis der deutschen und europäischen Geschichte. Der 9. Oktober 1989 gilt als Voraussetzung für den Fall der Mauer am 9. November und die deutsche Wiedervereinigung.
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