Nach einem Motorradunfall wurde John McFall mit 19 Jahren sein rechtes Bein oberhalb des Knies amputiert. Seitdem hat der Brite eindrucksvoll gezeigt, was mit moderner Hilfsmittelversorgung alles möglich ist. Er gilt als einer der schnellsten Männer der Welt über 100 Meter und 200 Meter in der Klasse der Oberschenkelamputierten.
Er ist Facharzt für Traumatologie und Orthopädie. Und mit seiner Aufnahme als Projekt-Astronaut im November 2022 bei der Europäischen Weltraumorganisation (European Space Agency – ESA) könnte er vielleicht der erste Mensch mit einer körperlichen Einschränkung sein, der in den Weltraum fliegt. Zur Eröffnung der OTWorld 2024 spricht John McFall am 14. Mai 2024, 16:45 Uhr, über seine „Mission Possible“.
Nach Amputation in den Spitzensport
Nach seinem Unfall und der Amputation im Jahr 2000 stieg John 2003 wieder ins professionelle Lauftraining ein. Seine Prothese war zunächst nicht für diesen Zweck konzipiert und wurde häufig beschädigt. Im Jahr 2003 ließ er sich jedoch eine Sprintprothese anfertigen, mit der er auf höchstem Niveau trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen konnte.
Bei seinem ersten internationalen Wettkampf, den Europameisterschaften des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) in Finnland, holte er 2005 Bronze im 200-Meter-Lauf und wurde danach in ein Förderprogramm aufgenommen, das es ihm ermöglichte, Vollzeitsportler zu werden. Dem folgten zahlreiche Medaillengewinne, darunter Silber für seine persönliche Bestzeit über 100 Meter von 12,70 Sekunden beim Internationalen Bayer-Leichtathletik-Wettbewerb in Leverkusen 2006.
Zwei Weltmeistertitel holte er 2007 bei der World Wheelchair and Amputee Sports Federation über 100 Meter und 200 Meter. 2008 trat er zudem für Großbritannien bei den Sommer-Paralympics 2008 in Peking in der Klasse der Läufer mit Amputationen oberhalb des Knies an und brachte für seine Leistungen über 100 Meter Bronze mit nach Hause.
Auch beruflich ist John McFall durchgestartet: Seinem Sportstudium schloss er noch ein Medizinstudium an. Von 2014 bis 2016 arbeitete er als Foundation Doctor im britischen National Health Service in verschiedenen medizinischen und chirurgischen Fachbereichen in Südost-Wales. Danach absolvierte er bis 2018 eine chirurgische Grundausbildung in Allgemeinchirurgie, Urologie sowie Traumatologie und Orthopädie.
Im Jahr 2018 sicherte er sich einen Platz im nationalen Trauma- und Orthopädie-Facharztausbildungsprogramm des Vereinigten Königreichs und ist heute Facharzt für Traumatologie und Orthopädie.
Nächstes Ziel: Eine Langzeitmission auf der ISS
Dass er gerne außergewöhnliche Reisen unternimmt und dass es kaum Grenzen gibt, was er mit seiner Prothese erreichen kann, bewies John 2008. Nach den nächsten Zielen gefragt, sagt er damals, er wolle irgendwann die Sahara durchqueren, den Atlantik mit dem Ruderboot überqueren und eine Lizenz für den freien Fall erwerben.
Seit kurzem steht die Raumfahrt auf Johns ehrgeiziger To-do-Liste: Im November 2022 wurde John als Mitglied der ESA-Astronautenreserve 2 ausgewählt, um an der ESA-Machbarkeitsstudie „Fly!“ teilzunehmen. Damit will die ESA Hindernisse für Astronauten mit körperlichen Einschränkungen in der Raumfahrt verstehen und überwinden.
Das Ziel dieser Studie ist es, sich auf Johns vielfältiges Fachwissen zu stützen, um Möglichkeiten zu erforschen, wie Menschen mit körperlichen Behinderungen – insbesondere mit einer Amputation der unteren Gliedmaßen – als voll integrierte Mitglieder einer Astronautencrew während einer Langzeitmission zur Internationalen Raumstation (ISS) aufgenommen werden können.
Mit der Ausschreibung hat die ESA anerkannt, dass es Menschen geben könnte, die geistig und mental für den Job qualifiziert sind, aber bisher aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen nicht ausgewählt worden wären. Für die Erforschung des Weltraums gibt Johns einzigartiger Hintergrund, in Verbindung mit der ESA Fly! Durchführbarkeitsstudie, neue Impulse für die Überwindung der Hindernisse für angehende Astronauten mit körperlicher Einschränkung.
Außergewöhnliche Belastungen für Mensch und Prothese
Damit stellt sich John nun gänzlich neuen Herausforderungen: ein Überlebenstraining auf der Ostsee, die Anprobe eines Raumanzuges, der Ein- und Ausstieg in eine Raumkapsel, Zentrifugen-Training. Durch John und gemeinsam mit dem Hersteller Ottobock unterzieht die ESA derzeit Prothesentechnologien intensiven Tests. In einem ZEIT-Interview danach gefragt, ob sein Handicap im All nicht sogar ein Vorteil wäre, antwortet John: „Im Weltraum ist jeder behindert. Jeder Mensch muss mit dieser Umgebung erst mal klarkommen.“
Auf seinen Motorradunfall angesprochen, sagte John zudem, es sei „in gewisser Weise das Beste gewesen, was mir je passiert ist. Er hat mir einen Fokus gegeben, einen Antrieb, jeder Tag ist eine neue Herausforderung. … Ich hatte immer eine Liste von Zielen und Wünschen, die sich nach meinem Unfall nicht geändert haben – sie haben nur die Richtung gewechselt. Der Verlust meines Beins hat mein Leben verändert, aber er hat nicht verändert, wer ich bin.“
Wie Menschen nach Amputation wie John McFall in Zukunft weltweit versorgt werden können, zeigen Experten aus Medizin, Orthopädie-Technik und Physiotherapie sowie Hersteller zu Weltkongress und internationaler Fachmesse OTWorld vom 14. bis 17. Mai 2024 in Leipzig.
Amputationen, Arm- und Beinprothesen – Zahlen und Fakten
Über das DRG-Vergütungssystem, das die Vergütung im System der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) nach diagnosebezogen Fallpauschalen regelt, wurden in Krankenhäusern in Deutschland im Jahr 2022 insgesamt knapp 73.000 Amputationen abgerechnet. Davon entfielen fast 51.000 auf die Exartikulation von Füßen, gut 16.000 auf die untere Extremität, rund 5.100 auf Handamputationen sowie 237 auf Fälle von Exartikulation der oberen Extremität.
Menschen nach Amputationen werden in der Regel mit individuellen Prothesen versorgt. Laut Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) bezahlten die gesetzlichen Krankenkassen 2022 knapp 1.700 Armprothesen und etwa 63.000 Beinprothesen.
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