Im „Herrenberg-Urteil“ (B 12 R 3/20 R) hat das Bundessozialgericht 2022 neue Maßstäbe für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Lehrberufen definiert. Im genannten Fall musste die Stadt Herrenberg für eine Lehrkraft an ihrer städtischen Musikschule rückwirkend Sozialabgaben abführen – für einen Zeitraum von fast fünfzehn Jahren. Die Honorarkraft erteilte Unterricht in den Räumen der Musikschule, trat aber als Unternehmerin nicht nach außen auf.
Die Sozialversicherungen weisen darauf hin, dass in solchen Fällen von einem Beschäftigungsverhältnis auszugehen ist. Der Verband deutscher Musikschulen empfahl in seinem Rundschreiben vom 1. Dezember 2023 allen Verbandsmusikschulen, den Einsatz von Honorarkräften nicht fortzusetzen und die Verträge in Anstellungsverhältnisse zu überführen. Die Musikschule Chemnitz meldete vergangene Woche, dass auch sie vor großen Problemen im kommenden Schuljahr steht.
Der kulturpolitische Sprecher der Linksfraktion, Franz Sodann, befürchtet schlimme Folgen für die Bildungseinrichtungen, insbesondere für die Musik- und Musikhochschulen:
„Kulturelle Bildung in Sachsen wird zu einem großen Teil von Honorarkräften erbracht. An den Musikschulen sind über 1.300 Honorarkräfte tätig. Sie erbringen im Schnitt 40 Prozent des Unterrichts, teilweise sogar 60-90 Prozent (Drucksache 7/11262). Sie sind oftmals langjährig an den Einrichtungen tätig, in den Lehrbetrieb fest eingegliedert und leisten wertvolle Arbeit.
An den Musikhochschulen müssen die über 600 Lehrbeauftragten Prüfungsleistungen für einen staatlichen Abschluss abnehmen und curriculare Inhalte vermitteln. Sie sind somit in ihrer unternehmerischen Tätigkeit nicht frei. Folglich sind sie von der Wirkung des Herrenberg-Urteils erfasst und als sozialversicherungspflichtig zu betrachten. Wenn jetzt in vielen Fällen Sozialbeiträge nachgezahlt werden müssten, gerieten viele Träger von Musikschulen und auch der Freistaat selbst in die Gefahr finanzieller Nöte. Einschnitte in Qualität und Quantität wären die Folge.
Wir fordern ein Soforthilfeprogramm, dass es den betroffenen Bildungseinrichtungen ermöglicht, Honorarverträge in tarifliche Beschäftigung zu überführen und Nachzahlungen zur Sozialversicherung zu leisten (Drucksache 7/15932). Das Staatsministerium für Wissenschaft und Kultur (SMWK) muss sie dabei beraten. Ich muss allerdings bezweifeln, dass der Staatsregierung der Ernst der Lage bewusst ist: Auf meine Anfrage hin (Drucksache 7/13921) stellte das SMWK fest, dass Lehrbeauftragte nicht von dem Urteil betroffen seien.
Das Landesrecht steht aber nicht über dem Bundesrecht. Die Staatsregierung muss den Kollaps der Einrichtungen verhindern und die prekäre, rechtsunsichere Honorarbeschäftigung endlich beenden. Sie muss auch die Folgen des Urteils für weitere Bereiche dringend in den Blick nehmen – da geht es etwa um private Bildungseinrichtungen, Integrationskurse, Volkshochschulen oder ähnliche Lehreinrichtungen.“
Zum Antrag der Linksfraktion hört der Ausschuss für Wissenschaft, Hochschule, Medien, Kultur und Tourismus am 27. Mai 2024 öffentlich Sachverständige.
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