Dem Zwang zum Töten und der Angst vor dem Sterben zu entfliehen, gehört im Krieg zu den menschlichsten Regungen und mutigsten Taten. Deserteure und Kriegsdienstverweigerer müssen in ihren Heimatländern drastische Strafen erwarten, ihnen Schutz zu gewähren, ist ein Gebot des Humanismus.
Trotz anderslautender Versprechungen gibt es zwei Jahre nach Beginn des Ukrainekriegs für Menschen, die sich nicht an diesem Krieg beteiligen wollen, nach wie vor keine legalen Fluchtwege nach Europa und kaum Aussicht auf Flüchtlingsschutz in der EU.
Nach Schätzungen von Connection e.V. sind seit Februar 2022 mindestens 250.000 Männer im wehrdienstfähigen Alter aus Russland geflohen, um sich der Rekrutierung für den Krieg in der Ukraine zu entziehen. 22.000 Männer haben nach Einschätzungen der Organisation Belarus verlassen, bei der Ukraine geht Connection e.V. von rund 325.000 Männern aus, die sich der Rekrutierung entzogen haben und in die EU geflohen sind.
Die aus Russland und Belarus geflohenen Menschen halten sich überwiegend in Drittstaaten auf, wo es für sie keine dauerhafte Perspektive gibt. Sie können mangels humanitärer Visa überwiegend nicht nach Europa flüchten.
Wenn es ihnen doch gelingt, die hochgerüsteten Grenzen der EU zu überwinden und einen Asylantrag zu stellen, sind ihre Aussichten auf einen Schutzstatus gering. In Deutschland hat das BAMF seit Beginn des Ukrainekriegs fast 4500 Asylanträge von russischen Männern im wehrdienstfähigen Alter zwischen 18 und 45 Jahren registriert. In rund 2500 Fällen hat die Behörde eine Entscheidung getroffen, doch nur 159 Personen wurden als schutzbedürftig anerkannt.
Gemessen an Hunderttausenden, die aus Russland geflohen sind, ist das eine grotesk niedrige Zahl. In rund 1900 Fällen hat das BAMF keine inhaltliche Ablehnung ausgesprochen, sondern sich der Betreffenden entledigt, indem es die Zuständigkeit eines anderen EU-Staates festgestellt hat.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im September 2022 versprochen, dass russische Staatsbürger, die sich nicht an dem völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine beteiligen wollen, in Deutschland Schutz bekommen sollen. Das Versprechen wurde gebrochen. In der Ukraine wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt. Die sich dem Militärdienst entziehenden und Deserteuren drohen mehrjährige Haftstrafen. Schätzungen zufolge sind ungefähr 100.000 militärdienstpflichtige ukrainische Männer nach Deutschland gekommen.
Momentan haben sie den vorübergehenden Schutzstatus. Sollte ihnen nach Auslaufen dieses Status bei Rückkehr in die Ukraine Strafverfolgung drohen, müssen sie in Deutschland Schutz bekommen.
Belarus beteiligt sich offiziell nicht mit der Entsendung von Soldaten am Krieg in der Ukraine. Allerdings wurde in dem Land das Militärgesetz verschärft. Alle männlichen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 58 Jahren wurden aufgefordert, sich bei den zuständigen Militärbehörden zu melden. Außerdem wird der Militärdienst in Belarus häufig als Repressionsinstrument gegen junge Aktivist*innen eingesetzt.
Die sich dem Militärdienst entziehenden und Deserteure aus Belarus, die in Deutschland oder der EU Asyl beantragen, brauchen Schutz. Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, das gerade in Zeiten des Krieges verteidigt werden muss. Die EU und die Bundesregierung müssen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus Russland, Belarus und der Ukraine die Einreise ermöglichen und sie durch das Asylrecht schützen.
Wir fordern:
- Russische Staatsbürger, die sich nicht am völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine beteiligen wollen, müssen in der EU und Deutschland Schutz bekommen. Die Bundesregierung muss das BAMF anweisen, die Entscheidungspraxis entsprechend abzuändern.
- Ein Großteil derer, die aus Angst vor der Einberufung zum Militär aus Russland geflüchtet sind, befindet sich in Drittstaaten, häufig ohne Aussicht auf eine sichere Perspektive. Für diese Menschen müssen humanitäre Visa zur Verfügung gestellt werden, damit sie nach Deutschland bzw. in die EU einreisen können, um hier Asyl zu beantragen.
- Auch außerhalb des Asylverfahrens müssen Möglichkeiten auf EU, Bundes- und Landesebene für ein Bleiberecht für russische Männer im wehrdienstfähigen Alter gestärkt werden. Das kann unter anderem die unbürokratische Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln zum Studium, zum Familiennachzug oder zu Ausbildung und Beschäftigung umfassen.
- Die Europäische Kommission und die Bundesregierung müssen sich gegenüber der ukrainischen Regierung dafür einsetzen, dass sie das Recht auf Kriegsdienstverweigerung respektiert und Menschen, die sich dem Militärdienst entziehen, die Ausreise ermöglicht.
- Oppositionelle, Menschenrechtsverteidiger*innen, Deserteure und Menschen, die sich dem Wehrdienst entziehen, die aus Belarus fliehen müssen, brauchen Zugang zu humanitären Visa und Schutz in der EU und Deutschland.
Gemeinsame Erklärung von den Vorsitzenden der Partei Die Linke, Janine Wissler & Martin Schirdewan, Cornelia Ernst (Europaabgeordnete), Heidi Reichinnek (Vorsitzende Bundestagsgruppe), Sören Pellmann (Vorsitzender Bundestagsgruppe), Clara Bünger (Bundestagsabgeordnete), Susanne Schaper (Landesvorsitzende Die Linke Sachsen), Stefan Hartmann (Landesvorsitzender Die Linke Sachsen), Juliane Nagel (Mitglied des Sächsischen Landtags) und Mirko Schultze (Mitglied des Sächsischen Landtags) anlässlich des zweiten Jahrestags des Einmarschs russischer Truppen in die Ukraine
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