„Bei der geplanten Novelle des Verfassungsschutzgesetzes war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz vom April 2022 zu berücksichtigen, welches erheblichen Anpassungsbedarf bei den Verfassungsschutzgesetzen von Bund und Ländern aufgezeigt hat“, so Innenminister Armin Schuster zum heutigen Kabinettsbeschluss, die sächsische Verfassungsschutzrechtsnovelle in den Landtag einzubringen.
„Dabei haben wir auch die Ergebnisse einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe berücksichtigt“, erklärt Schuster und ergänzt: „Der Einsatz besonders eingriffsintensiver nachrichtendienstlicher Mittel und verdeckter Ermittlungsmaßnahmen darf künftig nur auf richterliche Anordnung erfolgen. Ein weiterer Kernpunkt ist die Normierung besonderer Voraussetzungen für die Übermittlung von personenbezogenen Daten, die das Landesamt für Verfassungsschutz aus dem Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln erlangt hat.“
Unabhängige Prüfung des Einsatzes eingriffsintensiver nachrichtendienstlicher Mittel
Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend, sind eingriffstiefe nachrichtendienstliche Mittel – wie bspw. besondere, längerfristige Einsätze von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern, ebenso wie längerfristige Observationen oder Bewegungsüberwachungen – vorab von einer unabhängigen Stelle anzuordnen. Durch den Gesetzentwurf wird dem Amtsgericht Dresden diese Aufgabe übertragen.
Weitere wichtige Gesetzesanpassungen im Überblick
Einsatz von IMSI-Catchern erlaubt: Verfassungsschützer können künftig auf IMSI-Catcher zurückgreifen, um den Standort eines Mobilfunkendgerätes, die Nummer des Geräts oder der SIM-Karte zu ermitteln. Sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als auch die meisten Verfassungsschutzbehörden der Länder verfügten bereits über eine solche Befugnis.
Bestandsdaten bei Telemediendiensten einholbar: Künftig kann das Landesamt für Verfassungsschutz Bestandsdaten bei Telemediendienste-Anbietern einholen. So können bspw. Kundendaten bei Internetauktionshäusern und -tauschbörsen – etwa im Fall von Handel und Vertrieb volksverhetzender Propagandamaterialien – erhoben werden. Das war bisher nicht möglich.
Im Bereich der Spionageabwehr kann eine solche Auskunft beispielsweise dienlich sein, wenn im Internet Patente und technische Zeichnungen zur Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Waffensystemen angeboten werden.
Abfrage von Kontostammdaten beim Bundeszentralamt für Steuern: So soll außerdem die Abfrage von Kontostammdaten wie etwa Konto- oder Depot-Nummern oder Personendaten des Inhabers beim Bundeszentralamt für Steuern möglich werden. Diese Daten sind die Voraussetzung, um eine schon bisher bestehende Befugnis zielgenauer und effektiv nutzen zu können.
Bei dieser geht es um die Abfrage von Daten zu Geldbewegungen und Geldanlagen bei Kreditinstituten oder Finanzunternehmen. Eine solche Abfrage konnte bisher in Ermangelung der Kenntnis der Kontostammdaten häufig nicht gestellt werden.
Wohnraumüberwachung nur, wenn polizeiliche Gefahrenabwehr nicht erreichbar: Künftig gilt für die Wohnraumüberwachung Subsidiarität gegenüber polizeilichen Maßnahmen – auch dies ist eine Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts. Der Wohnraum darf nur überwacht werden, wenn geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nicht oder nicht rechtzeitig erlangt werden kann.
Auskunft von Privatunternehmen auch bei inlandsbezogen Aufgaben des Verfassungsschutzes: Das Landesamt für Verfassungsschutz soll künftig Auskünfte von Privatunternehmen auch bei inlandsbezogenen Aufgaben einholen können.
Gemeint sind Auskünfte z. B. bei Kreditinstituten über Geldbewegungen oder Geldanlagen, bei Luftfahrtunternehmen zu Kundendaten und der Inanspruchnahme von Transportleistungen, bei Erbringern von Telekommunikationsdiensten zu Telekommunikationsverkehrsdaten und bei Erbringern von Telemediendiensten über Nutzungsdaten ihrer Kunden.
Bisher war das nur in Bezug auf die auslandsbezogenen Aufgaben des Landesamts für Verfassungsschutz möglich. Damit wird das sächsische Verfassungsschutzgesetz an den Standard des Bundes und vieler anderer Länder angepasst.
Übermittlung verdeckt erhobener Daten an Behörden mit Exekutivbefugnissen strenger geregelt: Das Bundesverfassungsgericht forderte zudem, dass die Übermittlung nachrichtendienstlich, also verdeckt erhobener personenbezogener Daten, an Behörden, denen Eingriffsbefugnisse zustehen, grundsätzlich nur erfolgen darf, wenn sie zur Abwehr einer konkretisierten Gefahr für ein höchstrangiges Rechtsgut oder zur Verfolgung einer besonders schweren Straftat erforderlich ist.
Beobachtung von Einzelpersonen: Des Weiteren wird eine bundesrechtlich bindende Maßgabe (Bundesverfassungsschutzgesetz) nun klarstellend auch im sächsischen Verfassungsschutzgesetz geregelt. Danach ist die Beobachtung von Einzelpersonen bereits dann möglich, wenn ihr Verhalten auf die Verwirklichung verfassungsfeindlicher Ziele ausgerichtet ist. Auf eine Gewaltorientierung kommt es künftig nicht mehr an.
Klarstellung für Datenerhebung bei Prüffällen: Bei einem Prüffall untersucht das Landesamt für Verfassungsschutz, ob sein Zuständigkeitsbereich überhaupt eröffnet ist. Darin unterscheidet er sich von einem sog. Verdachtsfall, bei dem bereits erste tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen.
Bei der Vorstufe des Prüffalls dürfen zur weiteren Aufklärung noch keine nachrichtendienstlichen Mittel eingesetzt werden, d. h. die Erhebung von personenbezogenen Daten ist nur aus offen zugänglichen Quellen zulässig. Dies war schon bislang gängige Praxis im Landesamt für Verfassungsschutz, die aber nun gesetzlich fixiert wird.
Umsetzung der Maßgaben aus dem Koalitionsvertrag
Mit dem Gesetzentwurf werden auch Vorgaben des Koalitionsvertrages umgesetzt. So wird eine gesetzliche Regelung zu Auswahl und Einsatz von Vertrauenspersonen geschaffen. Dies wurde bislang nur durch eine Dienstvorschrift des Landesamts für Verfassungsschutz geregelt. Mit der gesetzlichen Normierung wird daneben auch eine wichtige Forderung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse und Expertengremien umgesetzt, welche sich mit der Aufarbeitung des Komplexes rund um die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) befassten.
Außerdem wird der Innenausschuss des Landtages künftig in den Grenzen des Geheimschutzes jährlich über Belange des Verfassungsschutzes informiert – auch hiermit wird eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt.
Gesetzentwurf stärkt parlamentarische Kontrolle
Durch den Gesetzentwurf wird auch die Ausübung der parlamentarischen Kontrolle gestärkt. So kann eine bestehende Pflicht zur Löschung von Daten befristet ausgesetzt werden, sofern andernfalls die Tätigkeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses beeinträchtigt würde. Dass Daten zum Zwecke der parlamentarischen Aufarbeitung eines Sachverhalts auch längerfristig vorgehalten werden müssen, haben die Untersuchungsausschüsse zur Terrorzelle NSU und zum islamistisch motivierten Breitscheidplatz-Attentat gezeigt.
Weitere Anpassungen
Erstmals konkret im Gesetz aufgeführt sind – entsprechend einer weiteren Forderung des Bundesverfassungsgerichts – alle nachrichtendienstlichen Mittel, die dem Landesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung stehen. Zuvor erfolgte eine parlamentarische Kontrolle der Mittel.
Der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung sowie von Berufsgeheimnissen wird nun auch gesetzlich fixiert. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen sich nicht gezielt auf die Erhebung solcher Daten richten. Wurden solche Daten trotz aller Schutzvorkehrungen dennoch vom Landesamt für Verfassungsschutz erhoben, so sind sie unverzüglich zu löschen. Entsprechendes war zuvor in Dienstvorschriften des Landesamts für Verfassungsschutz geregelt.
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