Die Bundesärztekammer hat den sogenannten Notarztindikationskatalog, kurz NAIK, überarbeiten und neu veröffentlichen lassen. Der NAIK bildet in Rettungsleitstellen und Notdienstzentralen die Grundlage für die Entscheidung, ob ein Notarzt zum Einsatz entsandt werden muss oder nicht.
Wichtige Impulse bei der Neufassung kamen dabei aus dem Universitätsklinikum Leipzig (UKL): Mit Prof. André Gries und Prof. Christian Kleber waren zwei UKL-Experten im nationalen Arbeitskreis „Aktualisierung NAIK“ der Bundesärztekammer (BÄK) vertreten.
Der Notarztindikationskatalog wurde erstmals 2001 veröffentlicht und 2013 angepasst. „Seitdem wurden neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Leitlinien veröffentlicht, das nicht-ärztliche Rettungsdienstpersonal verfügt mit einer nun dreijährigen Ausbildung von Notfallsanitäter:innen heute über eine deutlich höhere Qualifikation und auch die Möglichkeiten der telemedizinischen Unterstützung von Einsätzen sind weiterentwickelt worden.
Dies, aber auch die immer weiter steigende Zahl von häufig medizinisch nicht notwendigen Notarzteinsätzen, machte aus Sicht der Bundesärztekammer die Neufassung des Katalogs notwendig“, erläutert Prof. André Gries, Ärztlicher Leiter der Zentralen Notfallaufnahme (ZNA) des UKL.
Die BÄK bildete dann 2019 aus ausgewählten Expert:innen den Arbeitskreis, dem neben Gries unter anderem auch Prof. Christian Kleber, Bereichsleiter Unfallchirurgie und Leiter des überregionalen Traumazentrums der Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie des UKL, angehörte. Drei Jahre dauerte der gesamte Prozess. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie erzeugte jedoch Schwierigkeiten, waren doch etliche der Arbeitskreis-Mitglieder aktiv in die Bekämpfung der Pandemie eingebunden.
Sächsische Kooperationen bei Analyse von Unfalldaten
„Zur Beantwortung der Frage, wann braucht es einen Notarzt und wann nicht, lagen bisher für das deutsche Rettungsdienstsystem nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse vor“, sagt Prof. Gries.
Und so kam es zur besonderen Rolle der Vertreter Sachsens in diesem Gremium: Um an neue Daten zu gelangen, analysierte Prof. Kleber im Auftrag der Bundesärztekammer gemeinsam mit Dr. Michael Hetz und Prof. Klaus-Dieter Schaser vom UniversitätsCentrum für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums „Carl Gustav Carus“ Dresden und der Verkehrsunfallforschung Dresden (VUFO) aktuelle Daten von Verkehrsunfällen und Unfallszenarien mit schweren Verletzungen anhand der GIDAS-Datenbank, um Szenarien, welche einen Notarzt benötigen, sicher vorhersagen zu können.
GIDAS ist die Deutsche Studie zur vertieften Verkehrsunfalldatenerhebung und steht für „German In-Depth Accident Study“. Die daraus abgeleiteten Konstellationen wurden im Fach-Journal „Unfallchirurgie“ publiziert, sind dann in den neuen Katalog eingeflossen und können nun von Leitstellendisponenten abgefragt werden.
Die Arbeitsgruppe von Prof. Gries wiederum beschäftigte sich zusammen mit Yacin Keller von der Branddirektion der Dresdner Feuerwehr und Anne Schrimpf vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Leipzig mit der statistischen Auswertung von über 75.000 Rettungsdiensteinsätzen in der sächsischen Landeshauptstadt. Ihre Bewertungsgrundlage bildete dabei das internationale „Notfall-ABCDE“-Schema und die zur Abwicklung der Einsätze erforderliche fachliche Kompetenz.
Hieraus konnten sogenannte Patienten-Zustände herauskristallisiert werden, bei denen ein notärztlicher Einsatz erforderlich ist. ABCDE steht dabei für lebensbedrohliche Situationen der Atemwege beziehungsweise der Atmung selbst (A, B), des Kreislaufs (C), der neurologischen Funktionen (D) und für besondere Bedingungen bzw. Einsatzlagen (E).
„Durch die Auswertung tausender Einsätze haben wir Kriterien für die Entsendung von Notärzt:innen finden können, die in den neuen Katalog eingeflossen sind“, berichtet Prof. Gries.
Neue Sicht: Beispielsweise bei Verdacht auf Schlaganfall nun nicht immer Notarzt-Einsatz notwendig
Der Leiter der Zentralen Notfallaufnahme am UKL nennt zwei Beispiele, die den praktischen Nutzen deutlich machen: Im neuen NAIK entfallen sei beispielsweise der sehr unspezifische Zustand „keine normale Atmung“. Dieser Parameter wurde in der nun verabschiedeten und veröffentlichten Fassung des NAIK entfernt, sei der Begriff doch schwierig zu definieren und nur eingeschränkt durch Laien zu beurteilen.
„Oder nehmen wir als Beispiel den Verdacht auf Schlaganfall“, erläutert Prof. Gries, „durch die typischen Symptome wie halbseitige Lähmung oder Sprachstörungen ist laut altem Katalog ein Notarzteinsatz erforderlich gewesen“, erklärt er.
Die Neufassung mit ihrem Blick auf die ABCDE-Level gebe nun an, dass bei Schlaganfall-Symptomen (ausschließlich D-/neurologischer-Status, keine ABC-Problematik und somit ohne vitale Gefährdung), kein Notarzt benötigt werde. „Viel wichtiger ist es in diesen Fällen, die Betroffenen durch den Rettungsdienst – nach der notwenigen Versorgung vor Ort – möglichst schnell ins Krankenhaus einzuliefern“, hebt Gries hervor.
Am Ende des Prozesses gehörten beide UKL-Experten gleichfalls der nur noch fünfköpfigen Redaktionsgruppe an, die sämtliche Rechercheergebnisse zusammenführte, sichtete und die nun auch veröffentlichte Fassung erarbeitete. Die beiden sächsischen Studien stellten dabei eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für den neuen NAIK dar.
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