Rund 2.000 Industrie-Beschäftigte und ihre Betriebsräte haben heute vor dem Bundesfinanzministerium für einen Brückenstrompreis zum Schutz ihrer Arbeitsplätze demonstriert. Auf der gemeinsamen Kundgebung von IG Metall und IGBCE forderten sie Bundesfinanzminister Christian Lindner auf, die Haushaltsmittel für den grünen Umbau der energieintensiven Industrien frei zu geben. Eine Haushaltssperre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gefährde Arbeitsplätze, betonten IG Metall und IGBCE.
An der Kundgebung beteiligten sich Industrie-Arbeiter*innen aus den Branchen Metall, Stahl und Elektro sowie Chemie und Energie aus sieben nord- und ostdeutschen Bundesländern (Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg). Auch an vielen weiteren Orten in Deutschland gehen Beschäftigte an diesem Aktionstag von IG Metall und IGBCE für den Brückenstrompreis auf die Straße, so in Duisburg und im sächsischen Gröditz.
Jürgen Kerner, 2. Vorsitzender der IG Metall: „Wir befinden uns an einem historischen Wendepunkt. Jetzt entscheidet sich, ob Deutschland ein starkes Industrieland bleibt oder im internationalen Wettbewerb zurückfällt. Damit das nicht passiert, braucht es jetzt schnell einen zeitlich begrenzten Brückenstrompreis. Nur so kann die Grundstoffindustrie weiter in Deutschland produzieren und gleichzeitig in ihren Umbau hin zur Klimaneutralität investieren.
Und nur so erhalten wir geschlossene Wertschöpfungsketten und damit gute Arbeitsplätze weit über die Grundstoffindustrie hinaus. Die Frage der Finanzierung stellt sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit aller Härte. Langsam sollte auch dem letzten klar sein: Die Schuldenbremse ist eine Zukunftsbremse.
Der grüne Umbau unserer Industrie ist ein Jahrhundertprojekt, von dem nicht weniger als der Wohlstand in Deutschland abhängt. Alle politischen Kräfte müssen jetzt Verantwortung übernehmen und die Finanzierung der Transformation sicherstellen.“
Alexander Bercht, Vorstandsmitglied der IGBCE: „Eine klimagerechte Transformation unserer energieintensiven Industrien wird es ohne eine deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen und massive staatliche Investitionsanreize nicht geben. Der Markt allein regelt das nicht. Die Politik setzt die Ziele, dann muss die Politik auch ihren Teil zur Erreichung beisteuern.
Andere Industrienationen haben das längst verstanden und gewaltige Förderprogramme aufgelegt. Gleichzeitig zahlen die Unternehmen dort nur ein Bruchteil unserer Strompreise. Es wird höchste Zeit, dass auch der Finanzminister aufwacht. Die Unternehmen und ihre Beschäftigten brauchen jetzt schnell klare Signale: für wettbewerbsfähige Energiepreise, für finanzielle Unterstützung beim klimagerechten Umbau ihrer Standorte, für einen nachhaltigen Ausbau der Infrastruktur und der erneuerbaren Energien.
Das alles kostet viel Geld – aber es sind Investitionen in die nachhaltige Modernisierung des Standorts. Deshalb hat die Schuldenbremse, wie wir sie heute kennen, keine Zukunft. Investitionsvorhaben des Staates müssen ausgenommen werden. Sie sind schließlich kein verbranntes Geld, sondern werden sich langfristig auszahlen – sowohl für den Fiskus und die Sozialsysteme als auch für den Klimaschutz.“
Mike Böhlken, Betriebsratsvorsitzender ArcelorMittal Bremen: „Wir brauchen wettbewerbsfähige Strom- und Energiepreise, damit wir unseren Stahl am Markt verkaufen können. Es geht also um den Erhalt der Grundstoffindustrie und um die Absicherung unserer Arbeitsplätze. Deshalb sind wir heute hier.
Und seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es noch einen weiteren existentiellen Grund, warum wir nach Berlin gekommen sind: Wir fordern von der Bundespolitik die Zusage für die Fördergelder. Ohne diese Förderung wird es für unsere Werke keine grüne Zukunft geben. Daher erwarten wir, dass die Politik sich ihrer Verantwortung für den wirtschaftlichen Wandel stellt. Wir brauchen Lösungen, kein unwürdiges Parteiengeplänkel.“
Dirk Vogeler, Betriebsratsvorsitzender ArcelorMittal Eisenhüttenstadt: „Die aktuelle Entwicklung löst keines unserer Probleme. Die Politiker im Bundestag und in den Landesregierungen sind gefordert, dies zu ändern. Sie haben die Aufgabe, die Zukunft Deutschlands erfolgreich zu gestalten. Dazu müssen Investitionen auch mit Förderungen ermöglicht werden. Deshalb brauchen wir jetzt den Brückenstrompreis. Viele Beschäftigte aus Eisenhüttenstadt demonstrieren deshalb in Berlin für die Unterstützung und Förderung der Zukunftsinvestitionen in eine grüne Stahlproduktion.
Der Erhalt und die Stärkung der Wirtschaftskraft Deutschlands sichert Arbeitsplätze und die Zukunft der Menschen. Es muss in Wertschöpfung investiert und nicht die Abwanderung provoziert werden. Investitionen in Arbeit und Wertschöpfung sind besser als Arbeitslosigkeit zu fördern. Das sture Festhalten an der Schuldenbremse ist jetzt der falsche Weg. Das führt die deutsche Wirtschaft und die Menschen unweigerlich in die Krise.“
Peter Weiser, Betriebsratsvorsitzender Goodyear Fürstenwalde: „Vor einer Woche hat Goodyear die schockierende Nachricht veröffentlicht, unsere traditionsreichen deutschen Reifenproduktionsstandorte in Fürstenwalde und Fulda schließen zu wollen. Davon sind 1.800 gut bezahlte, tarifgebundene Arbeitsplätze betroffen. Die erste Schockstarre ist gewichen und wir machen jetzt richtig Rabatz.
Wir halten die Entscheidung für falsch und haben gemeinsam mit der IGBCE den Kampf um die Reifenwerke und die Arbeitsplätze aufgenommen! Dabei ist auch die Politik gefordert. Unser Unternehmen begründet seine Pläne auch mit den Wettbewerbsbedingungen in Deutschland und hohen Energiekosten. Deshalb sind wir heute hier und wir sind laut!“
Nils Knierim, IG Metall Vertrauenskörperleiter Salzgitter Flachstahl: „Die Folgen des Klimawandels sind weltweit spürbar. Die extremen Wetterlagen häufen sich. Dieser Entwicklung müssen wir entgegenwirken. Deshalb haben wir uns in Salzgitter für den Umbau auf CO2 freie Stahlproduktion entschieden. Diesen Weg gehen wir mit der Belegschaft und dem Vorstand der Salzgitter AG gemeinsam.
Es ist ein Weg in eine neue Zukunft, der aber auch mit Sorgen und Nöten bei den Menschen, die bei uns arbeiten, verbunden ist. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Politik durch ihre Haltung zum Brückenstrompreis diese Sorgen noch verstärkt. Wir brauchen eine Brücke beim Strompreis, bis genügend grüner Strom zur Verfügung steht. Hierzu müssen wir jetzt Geld anfassen.
Wer jetzt sparen will, gefährdet wichtige Investitionen in Zukunftstechnologien und damit den Industriestandort Deutschland. Die Schuldenbremse darf der Finanzierung des ökologischen Umbaus nicht im Wege stehen. Das ist gut investiertes Geld in die Zukunft kommender Generationen!“
Hintergrund zur Forderung: Die IG Metall und die IGBCE setzen sich dafür ein, den Industriestrompreis befristet durch staatliche Mittel auf ein Niveau zu senken, mit dem energieintensive Unternehmen im europäischen Wettbewerb bestehen können. Die Staatshilfe soll es nur für tarif-und standorttreue Unternehmen geben. Gedacht ist sie als Brücke, bis genügend erneuerbare Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen zur
Verfügung stehen. Das von der Koalition beschlossene Strompreispaket greift zu kurz. Zudem ist die Finanzierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse ungeklärt. IG Metall und IGBCE fordern eine Nachbesserung durch den Brückenstrompreis und eine gesicherte Finanzierung aus dem Bundeshaushalt.
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