Immer mehr Menschen in Deutschland wählen die 112 – auch wenn kein Notfall vorliegt. Die Folgen: massiv steigende Einsatzzahlen, überfüllte Notaufnahmen, Rettungspersonal am Limit, frustrierte Patienten. Reformen sind dringend nötig. Wie die Notfallversorgung gerettet werden kann, haben die Johanniter am 2. Februar 2023 mit renommierten Fachleuten beim Symposium „Der Patient im Mittelpunkt“ in Heidenau diskutiert.
Unterstützung aus der Politik
In einem zu Beginn der Veranstaltung abgespielten Grußwort machte Petra Köppig, sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, ihre Unterstützung für die Initiative der Johanniter deutlich: „Ich stimme dem Pfund ihres Positionspapiers zu: Die Ressourcen unseres Gesundheitssystems dürfen nicht unnötig belastet werden, sei es durch Fehlsteuerungen oder Doppelstrukturen.“
Gesundheitsleitstelle als zentraler Anprechpartner
Wie die Johanniter das Rettungssystem refomieren möchten, konkretisierte anschließend Kevin Grigorian, Geschäftsbereichsleiter Rettung & Medizinische Dienste im Bundesverband. „Wir brauchen einen zentralen Ansprechpartner – ein Lotsensystem, das Patienten optimal lenkt, eine Gesundheitsleitstelle“, betonte Grigorian.
„Geschulte Disponenten nehmen die Anrufe entgegen, filtern Notrufe und schicken gegebenfalls Rettungsmittel los. Bagatellen hingegen muss die Leitstelle – ohne später juristische Auseinandersetzungen fürchten zu müssen – an anderen Strukturen, wie zum Beispiel den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst oder niedergelassene Ärzte verweisen dürfen.“
Auch müssten das zu entsendende Portfolio der Leitstellen erweitert und innovative Versorgungsansätze etabliert werden. Nur so könne die Lücke zwischen Bagatelle und lebensbedrohlichem Notfall geschlossen werden. „Diese Notruf-Alternativen müssen gestärkt werden, denn bei Versorgungsengpässen bleibt den Menschen oft nur der Rettungsdienst“, so Gregorian.
Auf diese Weise könnten Rettungsdienste, ambulante und stationäre Ressourcen effizienter genutzt werden. Jede Patientin und jeder Patient erhielte Hilfe – die Notfallrettung müsste aber Notfällen vorbehalten bleiben.
Potenzial der Retter voll ausschöpfen
Zumal die steigende Nachfrage nach Notfallversorgung auf ein System trifft, dem das Personal ausgeht. Oberarzt und Notarzt Patrick Swoboda vom Leipziger Klinikum St. Georg verwies auf den „notärztlichen Notstand“. Es gäbe schlicht nicht genug Notärzte. Das könne durch die Kompetenzen der Notfallsanitäter aufgefangen werden, denn diese seien umfassend ausgebildet.
Nur fehlte es oft an den entsprechenden Freigaben: „Die Notfallsanitäter können Patienten notfallmedizinisch voll versorgen, dürfen es aber nicht und müssen ins Krankenhaus fahren. Da geht auch Zeit verloren.“ Hier brauche es neue, einheitliche rechtliche Regelungen – auch für die Leitstellen, um bei offensichtlichen Bagatellen nicht den Rettungswagen schicken zu müssen, sondern auf Alternativen verweisen zu können.
Tony Opitz, Bereichsleiter Rettungsdienst des Johanniter-Kreisverbands Erzgebirge, betonte ebenfalls die hervorragende Ausbildung der Notfallsanitäter, denen aber die fehlenden Freigaben und zahlreichen Bagatelleinsätze zu schaffen machten.
„Der Patient steht bei uns immer im Mittelpunkt, aber wenn vor allem die Bagatelleinsätze derart zunehmen, sorgt das irgendwann für Frust bei den Mitarbeitern. Es ist eine Belastung, sich immer wieder neu zu motivieren, obwohl man ständig unter seinen fachlichen Möglichkeiten arbeiten muss.“ Das mache den Beruf auf Dauer unattraktiver. Hier würden die vorgeschlagenen Reformen der Johanniter bereits im Vorfeld gegensteuern.
Zustimmung kam von Alexander Krauß, Experte für Gesundheitspolitik, der für die Techniker Krankenkasse Sachsen auf dem Podium saß: „Ich verstehe die Frustration der Notfallsanitäter voll und ganz. Aber als Kostenträger müssen wir auch die Kosten betrachten: Volle notfallmedizinische Versorgung vor Ort – statt später im Krankenhaus – ist sehr aufwendig.
Derart teure Einsätze sind dem Beitragszahler auf Dauer schwer zu vermitteln. Ich bin aber optimistisch, dass wir auch dank der Initiative der Johanniter auf allen Ebenen vorankommen werden.“ Er unterstütze zudem die Forderung nach einer neuen zentralen Leitstelle, die Einsätze flexibler disponieren könne.
Patient muss wieder im Mittelpunkt stehen
Weitesgehend Einigkeit herrschte bei allen Beteiligten auch über das Ziel der Reformen: Der Patient muss wieder im Mittelpunkt stehen. Jede Patientin und jeder Patient muss zeitnah, angemessene und individuelle Hilfe erhalten. Dabei muss die Notfallrettung aber denen zur Verfügung stehen, die sie dringend brauchen. Gleichzeitig muss sich ein Gesundheits-Lotsen-System mit hohem Service-Potenzial bei sinkenden Kosten entwickeln. Dann wird die Notfallrettung fit für die Zukunft.
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