In diesem Jahr feiert das Transplantationszentrum am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) 30 Jahre seines Bestehens. Doch die Organspendezahlen in Deutschland sind niedrig, sie sanken im Vorjahr sogar noch einmal gegenüber 2021.
Immer wichtiger werden daher Lebendspenden. Ohne sie wäre der Mangel an Organen ein noch höherer. Die erste Nieren-Lebendspende des Jahres 2023 am UKL zeigt auf eindrucksvolle Weise, was diese Entscheidung für Spender und Empfänger bedeuten kann.
Marcel Arnold aus Thalheim im Erzgebirge ist wieder frei, frei in seinen Entscheidungen. Denn der 33-Jährige hat im Januar eine neue Niere erhalten – gespendet von seiner Mutter Ina. Durch ihre Entscheidung hat sie ihrem Sohn die Möglichkeit zurückgegeben, selbst über sein Leben zu bestimmen.
Zu einem Nachsorgetermin Anfang Februar trafen beide am UKL noch einmal auf alle beteiligten Ärzt/-innen am UKL. „Eine Nieren-Transplantation ist Teamwork“, sagt denn auch Prof. Daniel Seehofer, Geschäftsführender Direktor der Klinik und Poliklinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Seehofer steht auch dem Transplantationszentrum des UKL vor. Es wurde 1993 gegründet und besteht somit seit 30 Jahren.
Organtransplantation ist Teamarbeit
Neben ihm als Transplanteur waren an der Verpflanzung der Niere innerhalb der Familie Arnold auch Urologie-Direktor Prof. Jens-Uwe Stolzenburg, der die Niere bei Ina Arnold mittels des da Vinci-Roboters minimal invasiv entnahm, sowie die Nephrologin Dr. Anette Bachmann für die Vorbereitung und Dr. Antje Weimann für die Nachbereitung beteiligt – und natürlich unzählige weitere Mitarbeiter:innen des UKL, angefangen von den Transplantationskoordinatorinnen bis hin zum immunologischen Labor.
Mit den Oberärztinnen Bachmann und Weimann trafen sich Ina und Marcel Arnold nun zu einer der obligatorischen Nachsorgeuntersuchungen.
Spende durch Elternteil immunologisch von Vorteil
Rückblick: Im Januar 2020 sucht Marcel Arnold die Notaufnahme in Chemnitz auf. Er leidet an Herzrasen. Dort stellen die Ärzt:innen jedoch plötzlich die Diagnose einer fortschreitenden Vernarbung der Nierenkörperchen, eine nicht seltene primäre Nierenerkrankung. Wahrscheinlich leidet er daran schon jahrelang, ohne es zu wissen. Bereits seit jenem Moment weiß Familie Arnold, dass bei Marcel über kurz oder lang eine Transplantation nötig sein wird. Noch bis April 2022 schafft er es, ohne Dialyse auszukommen, dann ging auch das nicht mehr.
Für Mutter Ina war von Anfang an klar, dass sie es sein wird, die ihrem Sohn eine Niere spenden wird. „Immunologisch ist das wegen der engen Verwandtschaft sogar ein Vorteil, wenn ein Elternteil spendet. Und bei den Arnolds passte sogar noch die Blutgruppe, auch wenn das kein Hinderungsgrund mehr ist heutzutage“, sagt Nephrologin Dr. Bachmann. Nach ihrer Entscheidung folgen viele aufwändige, aber notwendige Vorab-Untersuchungen für Ina Arnold.
„Es darf absolut kein Restrisiko für die Spender/-innen geben“, betont Dr. Weimann von der UKL-Transplantationsambulanz. „Es ist wichtig und sinnvoll, dass dieser Prozess einen gewissen Zeitraum dauert“, ergänzt Dr. Bachmann. „Der Spender oder die Spenderin müssen sich sehr sicher sein.“ Ina Arnold war sich sicher. Die 52-Jährige bezeichnet sich selbst als „Kämpfer-Natur“, womit sie sicher richtigliegen dürfte als ehemalige DDR-Meisterin im Siebenkampf.
Im Dezember des vergangenen Jahres erfährt Marcel, dass es nach Abschluss aller Untersuchungen und Vorlage aller Genehmigungen einen Termin im Januar 2023 geben wird – seinen Termin! „Das musste ich erst einmal in meinem Kopf einordnen“, erzählt er, „dann war da eine große Erleichterung.“
Am 11. Januar erfolgten Entnahme und Transplantation des Organs. „Alles lief perfekt, die Niere fing sofort an zu funktionieren“, erinnert sich Dr. Weimann. Als Marcel Arnold aus der Narkose erwacht, bemerkt er sofort und unmittelbar den Unterschied: „Ich spürte vorher ständig ein unangenehmes Kribbeln in den Fingerspitzen, das war einfach weg.“
Man könne das durchaus vergleichen mit dem Gefühl des Ausgeruhtseins nach gutem Schlaf, meint Dr. Bachmann. Lebensenergie sei wieder da oder auch die Fähigkeit, sich gut zu konzentrieren. „Solche Bestätigungen empfinden wir als Lohn für unsere Arbeit.“
Die komplette Familie stand hinter der mütterlichen Entscheidung. „Man wächst in dieser Zeit eng zusammen“, berichtet Ina Arnold, „aber nun soll Marcel auch wieder sein Leben leben.“ Und das hat er auch vor und freut sich: „Nicht mehr drei Mal in der Woche zur Dialyse! Ich bin frei und kann selbst entscheiden, wann ich wohin gehen möchte.“
Nur die Minimalzeit von fünf Tagen (Mutter) und elf Tagen (Sohn) mussten beide stationär liegen. „Nach der ersten Euphorie kam auch schnell ein kleiner Tiefpunkt”, weiß Marcel: „Gut, dass meine Mutter an meiner Seite war“, sagt er.
Blick auf Spender/-innen wichtig
Weil der Fokus bei Transplantationen oft allzu sehr auf den Empfänger gerichtet ist, erläutert Oberärztin Dr. Weimann, wie wichtig ein umsorgender Blick auch auf Spender oder Spenderin ist. „Langfristig wird es keine Einschränkungen für die Mutter geben“, erklärt sie, „aber genau deswegen ist auch für sie als Spenderin eine Reha-Maßnahme notwendig.“ Die Nachsorge für den Organempfänger wird lebenslang notwendig sein. Im ersten Jahr zwei Mal verpflichtend am UKL als Transplantations-Klinik, anschließend mindestens einmal pro Jahr, zusätzlich zu Verlaufskontrollen näher am Heimatort.
30 Jahre Transplantationszentrum am UKL
Wie wichtig Lebendspenden sind, macht Prof. Daniel Seehofer deutlich: „Sie haben mittlerweile in Deutschland einen Anteil von 25 bis 30 Prozent. Ohne sie wäre der Mangel an Organen noch größer.“ In den schwierigen Corona-Jahren sei die Lebendspende phasenweise am UKL fast zum Erliegen gekommen. „Nun hoffen wir wieder in ruhiges Fahrwasser zurückzukehren“, so Prof. Seehofer.
2013 erfolgte die erste robotische Nierenentnahme am UKL, seitdem sind etwa 90 erfolgreiche und robotisch assistierte hinzugekommen.
Die drei Jahrzehnte Transplantationszentrum am UKL erfüllen ihn mit großer Freude: „In dieser Zeit haben unsere Vorgänger und wir über 2000 Menschen, die eine Niere oder Leber brauchten, ein neues Organ und teilweise ein neues Leben schenken können“, erklärt Prof. Daniel Seehofer.
Zahlen zur Organspende
Im Jahr 2022 haben in Deutschland 869 Menschen Organe nach ihrem Tod gespendet, so die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Das sind 64 Organspender:innen weniger als im Jahr zuvor. Auch die Anzahl der entnommenen Organe sank von 2905 im Jahr 2021 auf 2662 im Jahr 2022.
Derzeit stünden 8500 Menschen auf der Warteliste für ein Organ. 2022 konnte 2695 Menschen durch die Transplantation eines oder mehrerer Organe medizinisch geholfen werden. 2021 seien es 2853 Patient:innen gewesen, die ein oder mehrere Organtransplantate bekamen, so die DSO.
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