Jugendliche aus Einwandererfamilien besuchen in Ostdeutschland deutlich häufiger das Gymnasium als im Westen. Ihr Anteil liegt mit 56 Prozent sogar deutlich über dem von Gleichaltrigen, deren Eltern in Deutschland geboren wurden – hier sind es rund 45 Prozent. Das zeigt eine repräsentative Auswertung zur Bildungssituation von jungen Menschen, die unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) durchgeführt wurde.
Im Westen lernen gerade einmal 28 Prozent der Jugendlichen aus Einwandererfamilien am Gymnasium. Dieser große Unterschied zwischen Ost und West ist auch auf die soziale Herkunft der Eltern zurückzuführen, wie die Forschenden in der „Zeitschrift für Soziologie”“schreiben.
Für die Untersuchung wertete das Team Daten von 107.717 Schülerinnen und Schülern aus, die die 9. Klasse besuchten. Dazu gehören Angaben zum familiären Umfeld, zur besuchten Schulform und auch Ergebnisse bundesweiter Tests zu den Deutsch- und Mathematikkenntnissen der Schülerinnen und Schüler. Erhoben wurden die Daten vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen der Humboldt-Universität zu Berlin, das ebenfalls an der Studie beteiligt war.
Die wichtigsten Ergebnisse: „Im Osten haben Jugendliche, deren Eltern nach Deutschland migriert und die selbst hier geboren sind, die höchste Bildungsbeteiligung: Sie besuchen am häufigsten ein Gymnasium – sogar noch etwas häufiger als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, deren Eltern in Deutschland geboren sind. Im Westen gibt es dagegen ein großes Gefälle zwischen Heranwachsenden mit und ohne Migrationserfahrungen“, sagt der Soziologe Dr. Oliver Winkler von der MLU.
Auch bei den Deutschkenntnissen fand das Team ähnliche Muster: Zwar schnitten im Osten migrantische Jugendliche etwas schlechter als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ohne Migrationshintergrund ab, allerdings waren die Unterschiede deutlich geringer als im Westen. Das ist ein wichtiges Ergebnis für die Politik, sagt Winkler: „Die Leseleistung und die Rechtschreibkompetenz gelten als wichtige Indikatoren für die sprachliche Integration.“
Die weitere Analyse der Daten zeigte zudem, dass die soziale Herkunft den Bildungserfolg der Jugendlichen am besten vorhersagen kann: „Leider ist es immer noch so, dass zum Beispiel der Bildungshintergrund und die finanzielle Situation der Eltern maßgeblich über den Bildungserfolg ihrer Kinder entscheiden. Das deutsche Bildungssystem ist nicht besonders durchlässig, was einen sozialen oder akademischen Aufstieg schwierig gestalten kann“, sagt Winkler.
Dass die Unterschiede beim Einkommen und bei der Bildung im Osten schwächer sind, sei zum Teil auf historische Gründe zurückzuführen: „Im Osten stammen viele Migrantinnen und Migranten aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion und verfügen über ähnliche Qualifikationen wie Ostdeutsche ohne Einwanderungsgeschichte“, sagt Winkler. Außerdem seien die Einkommensunterschiede in den neuen Bundesländern generell geringer als in den alten. Dort würden Migrantinnen und Migranten zudem immer noch häufig als niedrigqualifizierte Arbeitskräfte und eher selten in mittleren oder höheren Angestelltenpositionen arbeiten.
Zwei andere Erklärungen, warum Kinder aus eingewanderten Familien im Osten häufiger aufs Gymnasium gehen, scheiden dem Soziologen zufolge eher aus: „Die bildungspolitischen Maßnahmen unterscheiden sich über die Bundesländer hinweg eher wenig und sind daher keine überzeugende Erklärung“, sagt Winkler. Außerdem zeige die Studie, dass der Anteil der untersuchten Jugendlichen, die früher eine Kindertagesstätte besucht haben, in Ost und West nahezu gleich ist.
Studie: Winkler O., Jansen M. & Edele A.. Warum gibt es in Ostdeutschland weniger einwanderungsbezogene Bildungsungleichheit? Zeitschrift für Soziologie (2022). doi: 10.1515/zfsoz-2022-0012
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