Hin und wieder gibt es aus Sachsens Wirtschaft auch schlechte Meldungen, die für die Betroffenen persönlich tragisch sind, für Städte und Regionen strukturell schwierig und über Wochen hinweg die regionale Berichterstattung bestimmen: etwa die Schließungspläne der VW-Tochter MAN (ehemals Neoplan) für die Bus-Sonderanfertigung im Herbst 2020 in Plauen, die Schließung des Freiberger Automobilzulieferers Mahle im April 2022 oder das Aus für die Freiberger Standorte des Photovoltaik-Konzerns Solarworld im Jahr 2017.
Insolvenzen stellen die Beschäftigten vor eine ungewisse Zukunft und können sogar die Leistungskraft ganzer Regionen schwächen. Eine Auswertung des sächsischen Wirtschaftsministeriums ergab jedoch, dass es in zahlreichen Fällen gelungen ist, die Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu retten sowie den Industriestandorten selbst eine neue Perspektive für die Zukunft zu geben.
Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Dulig: „Wenn wir uns bemühen, entsprechende Nachfolgeregelungen zu finden, geht es nicht nur darum, ob es eine Perspektive für den Erhalt von Arbeitsplätzen gibt. Es geht auch immer um die Frage, welche Perspektive eine industrielle Region in Zukunft hat. Die ausgezeichneten Rahmenbedingungen in Sachsen, die gute Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das hohe Engagement der Betriebsvertretungen ermöglichten unmittelbare Standortübernahmen – und damit die Fortsetzung der industriellen Produktion sowie den Erhalt und auch die Schaffung vieler Arbeitsplätze. Viele positive Beispiele zeigen: Da wo Schatten ist, scheint später oft auch wieder Licht!“
Leider gelingt dies nicht immer, wie das Beispiel Haribo in Wilkau-Haßlau bisher zeigt. Jedoch überwiegen deutlich die positiven Entwicklungen.
Plauen: BINZ führt Sonderfahrzeugbau auf MAN-Gelände fort
Der Sonderfahrzeugbauer BINZ Ambulance- und Umwelttechnik GmbH hat den Industriestandort von MAN mit seiner langen „Neoplan“-Tradition im April 2021 übernommen. Von 120 Arbeitsplätzen konnten damals 80 gerettet werden. Einige ehemalige Mitarbeiter wechselten innerhalb des VW-Konzerns ins nahe Fahrzeugwerk Zwickau. Heute hat BINZ bereits wieder 100 Arbeitsplätze – ein weiteres Wachstum ist absehbar. Erst jüngst konnte BINZ-Geschäftsführerin Cathrin Wilhelm einen weiteren Erfolg verkünden: Der Sonderfahrzeugbauer schloss vor wenigen Tagen einen Großauftrag zur Fertigung von Einsatzfahrzeugen für das Technische Hilfswerk (THW) ab.
Wirtschaftsminister Martin Dulig hatte sich gemeinsam mit den ehemaligen MAN-Beschäftigten, dem Betriebsrat und den Gewerkschaften seit Herbst 2020 für den Erhalt des Plauener Werks eingesetzt. Der Minister traf sich mehrfach mit dem MAN-Vorstand und der Geschäftsführung – unter anderem in München –, um über den Erhalt des Werkes zu sprechen. Er suchte gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Sachsen (WFS) Investoren und führte im Zuge dessen erfolgreiche Gespräche mit BINZ.
„Ich bin dankbar, dass es in unserem Land solche mittelständischen Unternehmen wie BINZ gibt, die wirtschaftliche und soziale Verantwortung übernehmen und in die Zukunft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und in den Standort investieren wollen“, so Dulig.
Die BINZ Ambulance- und Umwelttechnik mit Sitz in Ilmenau (Thüringen) ist eines der führenden Unternehmen im Sonderfahrzeugbau. Das Familienunternehmen bietet seinen Kunden Lösungen und Services rund um Rettung und Mobilität. Ob Ambulanz, Feuerwehr, Polizei oder mobile Medizintechnik: Innovative Spezialfahrzeuge sind deutschland- und weltweit gefragt. Der MAN-Traditionsstandort im Vogtlandkreis hatte sich in den vergangenen Jahren bereits erfolgreich auf den Umbau von Bussen, Transportern und Spezialfahrzeugen spezialisiert und passte damit ins Portfolio von BINZ.
Freiberg: ACTech kauft Mahle-Areal und erweitert Produktion
Die 1995 gegründete ACTech GmbH mit Sitz in Freiberg (380 Beschäftigte) hat im Juli 2022 angekündigt, in den kommenden Jahren mehr als 23 Millionen Euro in die Erweiterung ihrer Produktionskapazitäten zu investieren. Der Spezialist für Prototypen-Gussteile hat dafür eine Bestandsimmobilie im Gewerbegebiet Freiberg Ost in der Gemeinde Bobritzsch-Hilbersdorf (Landkreis Mittelsachsen) erworben.
Dabei handelt es sich um das Gelände des viertgrößten deutschen Automobilzulieferers Mahle, der sein Werk mit 85 Mitarbeitenden im Frühjahr 2022 wegen „struktureller Anpassungen“ geschlossen hatte. Auf fast 9.000 Quadratmetern Fläche werden nun im „Werk 2“ die mechanische Bearbeitung und Messtechnik ein neues Zuhause finden.
Die ACTech GmbH will ihren Personalbestand mittelfristig um 150 Beschäftigte ausbauen. Kurzfristig sollen – laut Unternehmensangaben – am Standort Bobritzsch-Hilbersdorf 100, mittelfristig bis zu 200 Mitarbeitende tätig sein.
Freiberg: Meyer Burger belebt Solarworld-Standort neu
Der Schweizer Konzern Meyer Burger hat 2011 die Mehrheit am sächsischen Maschinenbauer Roth & Rau erworben und beschlossen, künftig die eigenen Maschinen selbst zur Produktion von Solartechnik zu nutzen. 2014 wurde die Roth & Rau AG zur Meyer Burger (Germany) GmbH umfirmiert. Unternehmenssitz ist weiterhin Hohenstein-Ernstthal im Landkreis Zwickau.
Meyer Burger ist dabei, eine Produktionsstätte für Solarzellen in Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) in der ehemaligen Sovello-Fabrik und zusätzlich eine Solarmodulfabrik in der 2017/18 insolvent gegangenen Solarworld-Fabrik im mittelsächsischen Freiberg stufenweise auszubauen. Das Unternehmen hat die Standorte strategisch ausgewählt, um stillgelegte Photovoltaik-Produktionsstätten wiederzubeleben, hochqualifizierte Arbeitsplätze zu nutzen und mit lokalen Forschungseinrichtungen zu kooperieren.
Mit der Solarworld-Pleite gingen mehr als 2.000 Arbeitsplätze in der Freiberger Photovoltaik-Industrie verloren. Meyer Burger startete in Freiberg mit rund 150 Beschäftigten neu und plant bis zu 3.500 Arbeitsplätze im Jahr 2027. Der Freistaat Sachsen unterstützte die 2021 erfolgte Wiederbelebung des Werkes mit einer Landesbürgschaft.
Weitere Beispiele für erfolgreiche Übernahmen seit 2018
- 2021 Insolvenz der Trompetter Guss Chemnitz GmbH, Übernahme durch die Gienanth-Gruppe (Erhalt von 400 Arbeitsplätzen)
- 2021 Insolvenz der Westfalia Presstechnik GmbH & Co. KG in Crimmitschau, Übernahme durch die Vollmann-Gruppe (Erhalt von 200 Arbeitsplätzen)
- 2021 Insolvenz der PWK IBEX GmbH in Gelenau, 2022 Übernahme durch die Winning Group (Erhalt von 115 Arbeitsplätzen)
- 2020 Insolvenz der Minda KTSN Plastic Solutions GmbH Pirna, 2021 Übernahme durch Eissmann Group Automotive (Erhalt von 400 Arbeitsplätzen)
- 2020 Insolvenz der Kübler & Niethammer Papierfabrik Kriebstein AG, Übernahme durch Fesco (Erhalt von 130 Arbeitsplätzen)
- 2018 Übernahme des in Schieflage geratenen Wurzener Standorts des Schüttguttechnik-Spezialisten Emde durch das Großzschepaer Bau- und Abbruchunternehmen Kafril (Erhalt von 100 Arbeitsplätzen)
„Unterschiedliche Gründe können in einer Marktwirtschaft zu Standortschließungen oder gar Insolvenzen führen: Falsche unternehmerische Strategien, sich rasant verändernde Märkte, Modernisierungs- und Innovationsstau oder Abwägungen der Unternehmen, Arbeit an Standorte in westdeutschen Konzernzentralen zu Lasten des Ostens zu verlagern“, so Wirtschaftsminister Martin Dulig.
„Der Freistaat hat die neuen Eigentümer und Nachnutzer häufig aktiv bei den sich anbahnenden Übernahmen unterstützt und stellt bei Bedarf wirksame und vielfältige Unterstützungsangebote aus Mitteln des Landes, des Bundes oder der EU zur Verfügung.“
Dulig: „Sachsen kann auf über 30 Jahre Transformationserfahrung und starke Kompetenzen bauen. Hunderttausende Menschen haben sich nach 1990 beruflich umorientiert, neue Unternehmen gegründet, neue Berufe erlernt. Das sind Erfahrungen, die wir in der ansehenden Transformation unserer Wirtschaft nutzen können – wir sind schnell und flexibler als andere. Wir haben jetzt die Chance, in einigen perspektivisch zentralen Wirtschaftsbereichen – etwa beim neuen Industriezweig Wasserstoffwirtschaft – die Spitze in Deutschland anzuführen. Diese Chance werden wir nutzen.“
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