Der Briefwechsel zwischen den Schweizer Gelehrten Johann Georg Sulzer und Johann Jakob Bodmer gilt als wichtiges Zeugnis der europäischen Aufklärung. Aufklärungsforscherinnen und -forscher der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) haben die zwischen 1744 und 1779 geführte Korrespondenz nun als Online-Edition zugänglich gemacht. Sie umfasst neben 454 Briefen eine umfangreiche Kommentierung mit mehreren Tausend Verweisen auf Personen, Werke, Orte und Ereignisse der damaligen Zeit.
Wenn von deutschsprachigen Vertretern der Aufklärung die Rede ist, dann fallen einem zunächst Namen wie Kant, Lessing oder Herder ein. Johann Georg Sulzer ist weniger bekannt, wenngleich nicht weniger bedeutend: „Mit seiner Aufklärungsphilosophie ging er weit über den für die frühe Aufklärung typischen Ansatz der rationalen Vernunft hinaus“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Elisabeth Décultot, Humboldt-Professorin an der MLU und Direktorin des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA).
Seine „Allgemeine Theorie der Schönen Künste“ war das erste deutschsprachige Lexikon, das zentrale Gebiete der Ästhetik wie Literatur, Rhetorik, bildende Künste oder Architektur systematisch behandelte.
„Sulzers besonderes Gespür für das Sinnliche verband ihn mit einem weiteren Schweizer Vertreter der literarischen Epoche der Aufklärung, Johann Jakob Bodmer, der als Dichter, Literaturtheoretiker und Professor für helvetische Geschichte in Zürich wirkte und nicht zuletzt wegen seiner Arbeiten zum Nibelungenlied als Vater der Germanistik gilt“, sagt Dr. Jana Kittelmann, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am IZEA tätig ist. In über 450 Briefen pflegten Sulzer und Bodmer einen intensiven Austausch über die literarischen, gesellschaftlichen und politischen Ereignisse und Entwicklungen ihrer Zeit.
„Die sich über 35 Jahre erstreckende Korrespondenz zwischen Sulzer, der seit 1743 erst in Magdeburg und dann in Berlin lebte, und Bodmer ist ein besonderes Stück Zeitgeschichte aus der Epoche der Aufklärung. Sie erlaubt einen unverstellten Blick hinter die Kulissen, wie ihn rein wissenschaftliche Werke nicht bieten. Man hat hier fast das gesamte 18. Jahrhundert im Briefformat“, betont Elisabeth Décultot. Bereits 2020 veröffentlichten Décultot und Kittelmann unter Mitarbeit von Baptiste Baumann von der MLU den Briefwechsel als zehnten Band der Edition der „Gesammelten Schriften“ Johann Georg Sulzers.
Vorausgegangen waren fünf Jahre intensiver Recherche-, Transkriptions- und Kommentierungsarbeit an dem Briefwechsel, der nahezu vollständig erhalten geblieben ist und im Nachlass Bodmers in der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrt wird.
Die nun vorliegende Online-Edition der Sulzer-Bodmer-Korrespondenz wurde in Zusammenarbeit mit dem Informatiker Dr. Christoph Wernhard von der Universität Potsdam erstellt. Sie folgt der Struktur der Printausgabe, bietet jedoch weitere Funktionen und diverse Einstiegsmöglichkeiten: Die Nutzerinnen und Nutzer haben die Möglichkeit, per Mausklick unter anderem zu in der Korrespondenz erwähnten Personen, Werken, Orten, Ereignissen und Sachbegriffen zu gelangen und in die intensive Kommentierung jedes einzelnen Briefes einzutauchen.
Dabei kommen interessante Aspekte zutage: So erfährt man etwa, dass der Dichter Christoph Martin Wieland am häufigsten in den Briefhalen Erwähnung findet und dass sowohl Sulzer als auch Bodmer der jungen Generation um Goethe und Herder überaus kritisch gegenüber standen. Etwa 35.000 dieser Verweise enthält die Edition auf insgesamt knapp 2.400 HTML-Seiten. Sie bietet nicht nur Forschenden einen einfachen Zugang zum Schaffen Sulzers und Bodmers, sondern gibt auch interessierten Laien einen Einblick in Sprache, Kultur, Gesellschaft, Debatten und Kontroversen des Aufklärungszeitalters.
Die Online-Edition des Briefwechsels zwischen Johann Georg Sulzer (1720-1779) und Johann Jakob Bodmer (1698-1783) ist unter https://www.sulzer-briefe.uni-halle.de/sb zu finden.
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