Mit steigenden Temperaturen nimmt auch die Gefahr einer Infektion mit dem durch Stechmücken übertragenen West-Nil-Virus zu. Neben Bayern gehört der Osten Deutschlands zu den Infektions-Hotspots. Bereits 2019 war Leipzig Epizentrum des Infektionsgeschehens. Mit den Verbreitungswegen des zoonotischen Krankheitserregers, der Tier und Mensch infizieren kann sowie wirksamen Schutzmaßnahmen befasst sich der diesjährige Leipziger Tierärztekongresses vom 7. bis 9. Juli 2022.
„2018 wurde das West-Nil-Virus erstmals in Deutschland festgestellt, betroffen waren damals zwei Pferde, zwölf Vögel sowie ein Mensch. Es handelte sich um einen Kollegen, der einen Greifvogel seziert und sich dabei infiziert hat“, berichtet Prof. Dr. Martin Pfeffer vom Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig und Mitorganisator der Vortragsveranstaltung zu Tierseuchen und Zoonosen auf dem Leipziger Tierärztekongress.
Bereits 2019 sei ein Anstieg der Fälle festzustellen gewesen: „Das Virus wurde bei 32 Pferde- und 58 Vogelhaltungen sowie etlichen Wildvögeln nachgewiesen sowie bei fünf Menschen. Leipzig war Epizentrum des Infektionsgeschehens, dort gab es zudem den ersten menschlichen Todesfall im Jahr 2020.“
Bedrohungsprofile erstellen
Welche Spezies vom West-Nil-Virus besonders bedroht sind und unter welchen Umständen – daran forscht Prof. Pfeffer, unter anderem gefördert vom Bundesforschungsministerium (BMBF). „Verschiedene wissenschaftliche Projekte arbeiten die Infektionswege aus tiermedizinischer Sicht auf. Wir möchten herausfinden, wie schnell sich diese Zoonose ausbreitet“, so der Wissenschaftler.
Eine gute Nachricht sei in diesem Zusammenhang, dass die Verbreitung in Deutschland langsam stattfinde und 2021 die Infektionsfälle bei Pferden zurückgegangen seien: „Für Pferde gibt es mehrere Impfstoffe. Das hat sich bei Tierärzten, Pferdebesitzern und Humanmedizinern herumgesprochen, sodass immer mehr geimpft wird und sich die Zahl der potenziell gefährdeten Pferde verkleinert.“
Infektions-Hotspots erkennen
Nach wie vor gehöre Leipzig zu den Infektions-Hotspots, ebenso wie die Region nördlich Leipzigs bis Berlin, so Prof. Pfeffer. Erste West-Nil-Fälle habe es außerdem in Thüringen und Bayern gegeben. Schwere Erkrankungen bei Menschen seien nach wie vor selten. Er geht davon aus, dass jeder fünfte Mensch, der von einer infektiösen Stechmücke gestochen werde, tatsächlich infiziert werde – und jeder hundertste eine schwere Erkrankung entwickle.
„Während man in den USA, wo das Virus 1999 erstmals auftrat, die für Infektionen besonders anfälligen und damit für die Übertragung maßgeblichen Vogelarten inzwischen kennt, wissen wir das in Deutschland noch nicht. Auf dem Leipziger Tierärztekongress werden aktuelle Erkenntnisse mit dem Fachpublikum diskutiert.“
Bewusstsein schaffen
Bis eine Infektionswelle erst bei Pferden und dann beim Menschen ankomme, „dauert es von April, wenn die Mücken aus ihrem Winterlager kommen und die erste Blutmahlzeit aufnehmen, bis weit in den Sommer hinein“, erklärt Prof. Pfeffer. Bislang gebe es keine Möglichkeit, die Infektion von Wildvögeln als Überträger zu verhindern.
„Deshalb müssen wir einen anderen Ansatz finden. Die Pferde lassen sich durch Impfung schützen, die Menschen durch Insektenschutz. Ein weiteres Mittel ist das Trockenlegen stehender Wasserplätze im Umkreis von Pferdeställen und Wohnungen, denn dort sind die Mückenlarven zuhause.“ Man müsse nicht gleich soweit gehen wie in Singapur, wo selbst stehendes Wasser im Blumenuntersetzer auf dem Balkon verboten und mit drakonischen Strafen belegt sei.
„Gegenwärtig untersuchen wir den Moskitoschutz in Pferdeställen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. In einer weiteren Studie, in die auch Sachsen eingebunden ist, durchleuchten wir bis nächstes Jahr die geografische Ausbreitung und Risikofaktoren bei Pferden für eine schwere Erkrankung. Insgesamt müssen wir mehr Bewusstsein dafür schaffen, dass eine neue Infektionskrankheit den Weg zu uns gefunden hat. Der Leipziger Tierärztekongress kann Impulse geben, unter anderem für eine engere Kooperation der Veterinär- sowie Gesundheitsämter.“
Update zum Virusgeschehen
Welche Verbreitungswege das West-Nil-Virus in Deutschland genommen hat, welche Symptome Pferde bei Erkrankung zeigen können und welche Präventions- sowie Behandlungsoptionen es gibt, beleuchtet Prof. Dr. Katharina Lohmann, Leiterin der Abteilung Innere Medizin und Reproduktionsmedizin der Klinik für Pferde der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig, die der Vortragsveranstaltung „Infektionskrankheiten I“ auf dem Leipziger Tierärztekongress vorsitzt.
„Eine durch das West-Nil-Virus verursachte Encephalomyelitis (Hirn- und Rückenmarksentzündung) tritt seit 2018 jährlich in Sommer und Herbst bei Pferden in Deutschland auf. Sie betrifft acht bis zehn Prozent der infizierten Pferde, wobei sich die Erkrankung bisher auf den mitteldeutschen Raum konzentriert“, erläutert Prof. Lohmann. Die Letalität betrage bei dieser Erkrankung 30 bis 40 Prozent, besonders festliegende Pferde wiesen eine schlechte Prognose auf. „Die Erkrankung ist zumindest in Mitteldeutschland mittlerweile als endemisch zu betrachten.“
Das West-Nil-Virus:
Das West-Nil-Virus stammt aus Afrika und wurde erstmals 1937 im damaligen West-Nil-Distrikt (Uganda) entdeckt sowie als Erreger des West-Nil-Fiebers identifiziert. Inzwischen ist es fast weltweit verbreitet. Es gehört wie Gelbfieber oder Dengue zu den Flaviviren. Der Krankheitserreger wird von blutsaugenden Mücken – vor allem Stechmücken der Gattung Culex – in einem Kreislauf Stechmücke-Vogel-Stechmücke-Vogel übertragen und vor allem über Wild- bzw. Zugvögel verbreitet.
Infektionen finden ebenfalls bei Zoovögeln wie Flamingos, Papageien oder Eulen statt. Darüber hinaus können sich vor allem Pferde und Menschen durch Mückenstiche infizieren. Da diese aufgrund geringer Viruslast jedoch keine Rücküberträger für Stechmücken darstellen noch Erreger ausscheiden, geben sie das Virus in der Regel nicht weiter. Allerdings sind Übertragungen per Bluttransfusion möglich. Für Tierärztinnen und Tierärzte besteht auch das Risiko einer Infektion beim Umgang mit infiziertem Gewebe, vor allem im Rahmen einer Sektion.
Veranstaltungen zum Thema West-Nil-Virus auf dem Leipziger Tierärztekongress:
Drei Vorträge zum Thema West-Nil-Virus umfasst die Session „Infektionskrankheiten I“ am 7. Juli 2022 (9.45 Uhr bis 11.15 Uhr) unter Vorsitz von Prof. Lohmann: „Aktuelles zum West-Nil-Virus“, „Seroprävalenz der West-Nil-Virus-Infektion in Mitteldeutschland“ sowie „Verbreitung und Bedeutung von biologischen Vektoren in Deutschland“.
Das Symposium „West-Nil-Virus (WNV) – Eine neue Zoonose in Deutschland mit Relevanz bei Zoo- und Wildtieren“ am 7. Juli 2022 (14.30 Uhr bis 17.10 Uhr), geleitet von Prof. Dr. med. vet. Jörg Junhold, Geschäftsführer und Direktor des Zoos Leipzig, widmet sich verschiedenen Aspekten im Zusammenhang mit dem West-Nil-Virus.
Die Themen der Referate: „Bedeutung und arbeitsmedizinische Vorsorge von berufsbedingten Zoonosen bei Zoo- und Wildtieren“, „West-Nil-Virus in Deutschland: Infektionen und Infektionsgefährdung des Menschen“, „Die West-Nil-Virus-Verbreitung, gezielte Diagnostik und ihre Relevanz für Zootiere und Wildvögel“, „West-Nil-Virus: Klinische Aspekte, Ansätze für das Management in Zoos und Wildparks sowie sinnvolle Maßnahmen der Infektionsvermeidung“, „Auswirkungen der Etablierung von Flaviviridae auf die Haltung von Vögeln in menschlicher Obhut“ sowie „Erste Ergebnisse aus Mückenmonitoring in Deutschland“.
Zudem behandelt die Vortragsveranstaltung „Tierseuchen und Zoonosen IV“ am 8. Juli 2022 (16.00 Uhr bis 17.00 Uhr), bei der Prof. Pfeffer einer der Vorsitzenden ist, Veterinary-Public-Health-Aspekte im Zusammenhang mit der Zoonose (Vortrag „West-Nil-Virus: aktuelle Situation in Deutschland und die Relevanz für Tier und Mensch“).
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