Familienfeste, Traditionen, Glauben: Ein neues Forschungsprojekt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) untersucht, was Familien in den neuen Bundesländern ausmacht, wie politische oder kulturelle Themen darin verhandelt werden und welche Rolle Traditionen und Werte für sie spielen. Neben Interviews mit Familienangehörigen kommt dabei auch ein in der Forschung ungewöhnliches Werkzeug zum Einsatz: Mit Hilfe von Einwegkameras sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihren Alltag in der Familie dokumentieren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Projekt mit rund 440.000 Euro.
Familien bilden für viele Menschen nicht nur einen sozialen Rückhalt, sondern sie bestimmen auch maßgeblich, welche Werte und Moralvorstellungen sich durchsetzen. „Familien stellen damit das zentrale Bindeglied zwischen Gesellschaft, Politik und Kultur auf der Makroebene und dem Individuum dar“, sagt Dr. Hagen Findeis von der Theologischen Fakultät der MLU, der das neue Forschungsprojekt leitet.
Viele große Themen oder Wertvorstellungen werden zum Beispiel beim gemeinsamen Essen debattiert und ausgehandelt. „Die Erfahrungen der Eltern genießen bei den Kindern für ihre Orientierung in der Welt einen hohen Stellenwert“, so Findeis weiter. Familien seien zudem wichtig für das Weitergeben von bestimmten Weltanschauungen oder auch von Glauben.
Bislang gebe es jedoch noch sehr wenige Erkenntnisse darüber, wie diese Prozesse in Familien ablaufen. „Das liegt daran, dass Familie ein sehr intimes Thema und deshalb nur schwer zu erforschen ist“, so Findeis. An dieser Stelle setzt das neue Projekt an: In Interviews in Dreigenerationenfamilien geben Großeltern, Eltern und deren Kinder ab dem Jugendalter jeweils separat Auskunft darüber, was sie als Familie ausmacht. Dabei geht es zum Beispiel auch darum, welche Werte die älteren Generationen gern an die jüngeren weitergeben wollen und wie letztere damit umgehen oder ob und wie die Familien gemeinsame Feste begehen.
Anschließend erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Einwegkameras, mit denen sie wichtige Momente im Familienleben festhalten sollen. „Für uns ist interessant zu sehen, welche Momente die Familienmitglieder als besonders typisch oder wichtig für die Familie auswählen“, sagt Findeis. In einem späteren generationsübergreifenden Gespräch unterhalten sich dann die Familienmitglieder über ihre jeweiligen Perspektiven auf das Themenfeld Werte, Spiritualität und Lebenssinn in ihrer Familie.
Einen Einstieg in dieses Gespräch stellt die spontane Kommentierung der von den Probanden angefertigten Fotos dar, die diese bei dem Gespräch zum ersten Mal zu sehen bekommen. Alle Aufnahmen, Angaben und Interviews werden unter strengen Auflagen anonymisiert, sodass eine Vertraulichkeit gewährleistet ist.
Anhand der Interviews und Fotoaufnahmen erhofft sich das interdisziplinäre Team, grundlegende Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Werte in Familien vermittelt werden und wie sich diese im Laufe der Zeit verändern. „Das Wissen darüber ist für viele Bereiche des öffentlichen Lebens relevant, angefangen bei der Kirche bis hin zur politischen Bildung“, sagt Findeis.
In der Vergangenheit hätten viele Kommunikationsmaßnahmen oder Appelle, etwa für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt, sich vor allem an Einzelpersonen gerichtet, obwohl Familien als diskursive Knotenpunkte hier womöglich eine entscheidendere Rolle spielen.
Für das Projekt werden noch interessierte Familien aus den neuen Bundesländern gesucht. Glaubenszugehörigkeit spielt dabei keine Rolle. Interessierte können sich via E-Mail melden: ost-familien@forschung.uni-halle.de
Weitere Informationen unter: https://religiositaet-in-ostdeutschland.theologie.uni-halle.de/
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