Der Deutsche Presserat hat auf seinen Sitzungen vom 22. bis 24. März 17 Rügen ausgesprochen, davon überwiegend für Verletzungen des Opferschutzes, der Sorgfaltspflicht und wegen Schleichwerbung.
Falsche Darstellung einer Corona-Studie
Wegen eines schweren Verstoßes gegen das Gebot zur Wahrhaftigkeit nach Ziffer 1 des Pressekodex wurde THE EUROPEAN gerügt. Das Portal hatte unter der Überschrift „Geimpfte können wahrscheinlich nie wieder volle Immunität erreichen“ über eine britische Covid-Studie berichtet.
Die Redaktion hatte die Studie fehlgedeutet und behauptet, dass Ungeimpfte nach einer Erkrankung eine permanente Immunität erlangten, während Geimpfte für etwaige Mutationen anfälliger seien. Der Beschwerdeausschuss bewertete die gravierende Fehldeutung der Studie zudem als schweren Verstoß gegen die presseethischen Regelungen zur Medizin-Berichterstattung nach Ziffer 14. Die Redaktion hatte gegenüber dem Presserat den Fehler eingestanden und den Artikel gelöscht.
Schwerste Vorwürfe veröffentlicht, ohne Betroffenen zu hören
CICERO.DE veröffentlichte unter der Überschrift „‚Herr Drosten hat Politik und Medien in die Irre geführt‘“ ein Interview mit einem Nanowissenschaftler, in dem dieser dem Virologen vorwirft, die Öffentlichkeit über einen nicht-natürlichen Ursprung des Corona-Virus gezielt getäuscht zu haben, um eine Labor-Herkunft zu vertuschen. Diese Vorwürfe veröffentlichte die Redaktion ohne jede journalistische Einordnung. Der Beschwerdeausschuss sah darin einen schweren Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgehaltene journalistische Sorgfaltspflicht.
Ehemaliger griechischer Finanzminister irreführend zitiert
BILD.DE wurde für die falsche Wiedergabe eines Zitats des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis gerügt. Unter der Überschrift „Die Deutschen werden leider zahlen und zahlen und zahlen…” hatte die Redaktion über dessen Aussagen zu den Gewinnern und Verlierern der griechischen Rettungspakete berichtet. Im Artikel stellte sich heraus, dass Varoufakis nicht generell den Deutschen, sondern den deutschen sowie griechischen Arbeitern und Mittelständlern prophezeite, sie müssten „zahlen und zahlen und zahlen”.
Deutsche und griechische „Oligarchen” würden von den Rettungspaketen hingegen profitieren. Vier Tage nach Erscheinen des Artikels hatte die Redaktion das Zitat in der Überschrift in „Deutsche Arbeiter werden ‘leider zahlen und zahlen und zahlen’” geändert. In beiden Überschriften sah der Presserat schwere Verstöße gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 und die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex.
Desinformationen ohne journalistische Einordnung veröffentlicht
DIE GLOCKE wurde wegen eines schweren Verstoßes gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex gerügt. Die Zeitung hatte auf einer Seite in fünf Artikeln Ärzte und eine Apothekerin aus der Region mit Ansichten zur Corona-Pandemie zu Wort kommen lassen, die dem Forschungsstand widersprachen. Diese bezeichneten die Impfung beispielsweise als „dramatisches Humanexperiment“ und behaupteten, sie begünstige die Wahrscheinlichkeit von Tumoren.
Die Veröffentlichung erfolgte ohne jegliche journalistische Einordnung und war geeignet, unbegründete Befürchtungen zu wecken. Der Ausschuss sah darin einen schweren Verstoß gegen das Gebot zur besonderen Sorgfalt bei Medizin-Berichterstattungen nach Ziffer 14 des Kodex. Zwar hatte die Redaktion in Folgeartikeln eine Einordnung nachgeholt und auch Gegenmeinungen zu Wort kommen lassen. Angesichts der Schwere des ursprünglichen Verstoßes sprach der Ausschuss dennoch eine Rüge aus.
Vertraulichkeit einer Informantin verletzt
WELT AM SONNTAG erhielt für einen Verstoß gegen Ziffer 5 des Pressekodex eine Rüge. Im Zuge der Recherche zu dem Artikel „Chinas unheimliches Netzwerk“ hatte die Redaktion ein von ihr als solches bezeichnetes Hintergrundgespräch mit einer prochinesischen Influencerin geführt und ihr zugesagt, daraus nicht ohne Rücksprache zu zitieren. In dem Artikel wurde sie dennoch unter Namensnennung zitiert. Der Presserat sah darin einen Bruch der vereinbarten Vertraulichkeit.
Verdächtiger erkennbar dargestellt und vorverurteilt
BILD.DE wurde für die Berichterstattung über die Fahndung nach der Tötung von zwei rheinland-pfälzischen Polizisten im Kreis Kusel unter den Überschriften „Sie haben den Polizisten-Mörder!“ sowie „Abgeführt in Metzgerschürze!“ gerügt. Einer der Tatverdächtigen war zunächst mit einem unverfremdeten Foto identifizierend dargestellt worden.
Zudem wurden die Tatverdächtigen u.a. als „Polizisten-Killer“ und „Polizisten-Mörder“ bezeichnet, obwohl keine Geständnisse vorlagen. Dies verstößt gegen die Regelungen zum Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 sowie gegen das Gebot zur Unschuldsvermutung nach Ziffer 13 des Pressekodex.
Missbrauchsopfer für Umkreis erkennbar
Die SCHWERINER VOLKSZEITUNG erhielt eine Rüge für einen Verstoß gegen den Opferschutz. Die Redaktion hatte in einer Berichterstattung über einen Missbrauchsprozess ein Foto des angeklagten Stiefvaters des Opfers veröffentlicht, auf dem dieser identifizierbar wurde.
Durch diese Darstellung in Kombination mit Details im Text zur Herkunft, Familiensituation, Beruf und Umzug wurde mittelbar auch das Missbrauchsopfer für einen erweiterten Umkreis identifizierbar. Nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex ist die Identität von Opfern jedoch besonders zu schützen. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei dem Opfer um ein Kind handelt.
Opfer-Foto ohne Einwilligung der Familie gezeigt
BILD.DE wurde für ein Porträtfoto einer tödlich verunglückten Seniorin gerügt. Unter der Überschrift „Todescrash von Schildow – große Trauer um Oma Sibylle“ hatte die Redaktion das Bild der Frau von der Internetseite eines Vereins übernommen. Die Redaktion gab gegenüber dem Presserat an, die Nachbarn hätten die Identität der Frau bestätigt. Für die identifizierbare Darstellung wäre jedoch nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex die Zustimmung der unmittelbaren Angehörigen nötig gewesen. Diese hatten sich wegen des Fotos beim Presserat beschwert.
Betroffener erneut zum Opfer gemacht
BILD.DE wurde für einen Bericht über einen Wohnungsbrand gerügt. Unter der Schlagzeile „Feuerdrama in Stuttgart: ‚Meine Frau brennt auf dem Sofa’“ zeigte die Redaktion einen Mann, der vom Balkon aus in seine brennende Wohnung schaute, in der sich seine Ehefrau befand, die bei dem Brand ums Leben kam. Auf einem zweiten Bild, das die Redaktion wenige Stunden später entfernte, war das Gesicht des verzweifelten 89-Jährigen erkennbar.
Der Presserat rügte nicht nur dessen identifizierende Darstellung nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 des Pressekodex, sondern stellte auch eine unangemessene Darstellung nach Ziffer 11, Richtlinie 11.3 fest. Demnach findet die Berichterstattung über Unglücksfälle ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern; Betroffene dürfen grundsätzlich nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.
Misshandlung eines Babys gezeigt
BILD.DE wurde für ein Video einer Kindesmisshandlung gerügt. Unter der Überschrift „Baby schwer verletzt“ zeigte die Redaktion komplett verpixelte Aufnahmen einer Überwachsungskamera, auf denen ein Vater immer wieder auf seinen drei Monate alten Sohn einschlägt. Obwohl weder Täter noch Opfer erkennbar wurden, gaben die im Sprechertext beschriebenen Handlungen Aufschluss über den Tathergang, wodurch das Kind zum zweiten Mal zum Opfer wurde.
In der Wiederholung einer bereits gezeigten Szene am Ende des Videos sah der Presserat eine unangemessene Darstellung von Gewalt nach Ziffer 11, Richtlinie 11.1 des Pressekodex. Die Darstellung ging über das öffentliche Interesse an dem Geschehen hinaus.
Redaktion zeigt Foto eines Verletzten
BILD.DE erhielt eine Rüge für die Berichterstattung „Mann nach 33-Meter-Sturz aus der Klinik entlassen“. Darin zeigte die Redaktion das Bild eines verletzten Mannes – unmittelbar, nachdem er aus einem Hochhaus in Jersey City/USA gefallen und auf einem Autodach gelandet war.
Zum Beitrag gehört auch ein Video, in welchem der Mann wie auch auf dem Foto erkennbar dargestellt wird. Der Ausschuss sah darin einen schweren Verstoß gegen den Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 des Pressekodex, auch im Hinblick darauf, dass es sich um die Darstellung eines Suizidenten handelt.
Schleichwerbung für Medizinprodukt und Diät-Shake
Die HÖRZU wurde wegen eines schweren Verstoßes gegen das in Ziffer 7 des Pressekodex festgeschriebene Gebot zur strikten Trennung von Werbung und Redaktion gerügt. Unter der Überschrift „Neue Hoffnung bei Gelenkschmerzen“ hatte ein Gastautor eine bestimmte Therapie mit Hyaluronsäure empfohlen.
Bei dem als „HÖRZU Experte“ vorgestellten Verfasser lagen Hinweise vor, die auf einen Interessenkonflikt hindeuteten, ohne dass dies von der Redaktion offengelegt wurde. In einem Artikel unter der Überschrift „Schlank in den Herbst“ wurde der Leserschaft ein bestimmter Shake zum Abnehmen empfohlen und ohne sachlichen Grund gegenüber ähnlichen am Markt erhältlichen Produkten herausgehoben.
In beiden Fällen war der durch die namentliche Nennung entstandene werbliche Effekt nicht hinreichend von einem öffentlichen Interesse gedeckt, sodass der Ausschuss die Grenze zur Schleichwerbung gemäß Richtlinie 7.2 als deutlich überschritten ansah.
Cineasten Zigarettenalternative schmackhaft gemacht
Wegen Schleichwerbung wurde die Zeitschrift STREAMING gerügt. Unter der Überschrift „So geht Rauchen im Film“ wurde lediglich im ersten Absatz über das Rauchen in Kinofilmen berichtet. Der Rest des Artikels behandelte hingegen ausführlich eine namentlich genannte Zigarettenalternative. Der Fokus auf die weitgehend vom Berichterstattungsthema losgelöste Produktvorstellung überschritt deutlich die in Ziffer 7, Richtlinie 7.2 des Pressekodex gezogene Grenze zur Schleichwerbung.
Die Redaktion hatte argumentiert, bei dem genannten Hersteller handele es sich um den Marktführer in Deutschland. Dies stellt nach Auffassung des Beschwerdeausschusses jedoch kein Alleinstellungsmerkmal dar, das geeignet wäre, eine Heraushebung des Produkts zu rechtfertigen.
Digitale Parkscheibe beworben
WUV.DE hatte unter der Überschrift „Ooono-Scheibe: Nie mehr Strafzettel kassieren“ eine digitale Parkscheibe vorgestellt und in werblicher Art und Weise beschrieben. In der Veröffentlichung wurde zudem der Preis genannt und auf eine Bezugsquelle verlinkt. Der Presserat sah in dieser Art der Präsentation eines Produktes die Grenze zur Schleichwerbung nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 deutlich überschritten und erteilte eine Rüge.
Zwei Rügen wegen Schleichwerbung für Lotterieanbieter
Der GENERAL-ANZEIGER und EXPRESS.DE hatten in redaktionellen Beiträgen über in der Region ansässige Lotteriegewinner berichtet. U.a. unter den Schlagzeilen „Bonnerin gewinnt eine Million“ (GENERAL-ANZEIGER) und „Dreifach-Mama aus Bonn wird über Nacht Millionärin” (EXPRESS.DE) wurde mehrfach der konkrete Lotterieanbieter genannt.
Auf beigestellten Fotos war zudem plakativ das Logo der Lotterie zu sehen. Diese Hervorhebung des Anbieters ist nicht durch ein öffentliches Interesse gedeckt und stellt Schleichwerbung nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 des Pressekodex dar.
Whisky und Weißwein im Kochrezept
Der STERN hatte im Zuge der Veröffentlichung von zwei Rezepten für ein Dessert bzw. einen Eintopf als Zutaten einen konkreten Whisky bzw. einen Weißwein genannt. Unter den Überschriften „Ofenbarung“ und „Heiß geliebt” hatte die Redaktion zudem jeweils Fotos der beiden Produkte veröffentlicht. Ein öffentliches Interesse an der Nennung der konkreten Produkte sah der Presserat nicht und stellte auch hier Schleichwerbung nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 fest.
BILD-Artikel „Die Lockdown-Macher“ ist presseethisch zulässig
Der Presserat hat Beschwerden über den Artikel „Die Lockdown-Macher“ bei BILD und BILD.DE als unbegründet zurückgewiesen. Der Bericht, der Porträtfotos von drei führenden Wissenschaftlern mit Corona-Maßnahmen als „Weihnachtsgeschenken“ zeigte, verstößt nicht gegen den Pressekodex. Zur Mitteilung vom 24.03.2022 auf unserer Homepage: https://www.presserat.de/presse-nachrichten-details/bild-artikel-die-lockdown-macher-ist-presseethisch-zul%C3%A4ssig.html
Statistik
Insgesamt behandelt wurden 130 Beschwerden, wovon 86 als begründet und 44 als unbegründet erachtet wurden. Zu den Maßnahmen zählen 17 öffentliche Rügen, 16 Missbilligungen und 33 Hinweise. 7 Beschwerden waren begründet, es wurde aber auf eine Maßnahme verzichtet, weil die Redaktion ihre Berichterstattung bereits korrigiert hatte. Bei 13 Fällen handelte es sich um Wiederaufnahmeanträge bzw. Einsprüche.
Den aktuellen Stand der Rügen-Veröffentlichungen aus den vergangenen Sitzungen können Sie hier einsehen:
https://www.presserat.de/ruegen-presse-uebersicht.html#2022
Zum Pressekodex:
https://www.presserat.de/pressekodex.html
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