Eine neue Methode zur Untersuchung von Proteinen haben Forscher der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des European Molecular Biology Laboratory in Hamburg entwickelt. Dem Team ist es erstmals gelungen, ein KI-gestütztes Verfahren zur Analyse von Daten der Kryo-Elektronenmikroskopie zu entwickeln. Damit lassen sich künftig mehrere Proteinkomplexe gleichzeitig direkt in Zellen untersuchen. Die Arbeit stellt das Team in der Fachzeitschrift „Structure“ vor.
Die Kryo-Elektronenmikroskopie ist eine relativ neue Methode, mit der sich die Struktur von Materialien, Zellen oder Proteinen untersuchen lässt. Im Prinzip funktioniert sie so: Die Proben werden blitzschnell gefroren, mit Elektronen beschossen. Das Mikroskop erstellt zunächst zweidimensionale Bilder, die anschließend zu einem 3D-Modell zusammengesetzt werden können. So lassen sich zum Beispiel extrem detaillierte Aufnahmen der Proteinstruktur auf der Ebene einzelner Atome anfertigen.
Das Wissen über die Struktur von Proteinen ist von großer Bedeutung: „Proteine sind so etwas wie die Arbeitstiere der Zellen – vom Knochenwachstum bis zum Stoffwechsel steuern sie alle wichtigen Prozesse. Erst wenn man die Struktur eines Proteins kennt, kann man jedoch verstehen, was ein Protein genau macht und wie es funktioniert“, sagt Jun.-Prof. Panagiotis Kastritis vom Zentrum für Innovationskompetenz HALOmem der MLU. Das Wissen darüber ist wiederum die Voraussetzung für die Behandlung zahlreicher Krankheiten, zum Beispiel Alzheimer oder Krebs.
Allerdings liefert die Kryo-Elektronenmikroskopie nur dreidimensionale Strukturen: Um welches Protein es sich jeweils handelt, kann sie nicht bestimmen. Die Daten müssen von den Forschenden selbst interpretiert werden und das ist eine mögliche Fehlerquelle, wie Ioannis Skalidis, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Kastritis, erklärt: „Einige Proteine haben eine nahezu identische 3D-Struktur, sie haben im Körper jedoch völlig verschiedene Funktionen. Wenn Forscherinnen und Forscher auf Basis ihrer Erfahrung entscheiden, wie die Daten interpretiert und Proteine identifiziert werden sollen, hat das einen großen Einfluss auf die Resultate ihrer Experimente.“
Das Team entwickelte daher eine neue Methode zur automatischen Interpretation der Rohdaten aus dem Elektronenmikroskop. Dafür nutzte es neben eigens entwickelten und weiteren Open-Source-Programmen auch die Software AlphaFold. Deren Entwicklern war es im Juli 2021 gelungen, die Struktur von einem Großteil aller menschlichen Proteine präzise vorherzusagen. Bis dahin galt dies als eines der schwierigsten Rätsel der Molekularbiologie.
In der neuen Studie untersuchte das Team aus Halle und Hamburg jedoch keine isolierten Proteine, sondern Proteinkomplexe, wie sie in Zellen vorkommen. „Proteine arbeiten in der Regel nicht für sich, sondern in größeren Verbünden. Je nachdem, mit wem Proteine zusammenarbeiten, verändert sich die Struktur ihrer Bindungsstellen. Deshalb ist es so wichtig, sie möglichst realitätsgetreu zu untersuchen“, sagt Kastritis. Der neue Methodenmix der Forscher aus Halle und Hamburg ermöglicht es auch anderen Forschungsgruppen, künftig relativ einfach die Strukturen von solchen Proteinkomplexen zu analysieren.
Die Arbeit wurde gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) sowie das Land Sachsen-Anhalt.
Studie: Skalidis I., Kyrilis F.L., Tüting C., Hamdi F., Chojnowski G., Kastritis P.L. Cryo-EM and artificial intelligence visualize endogenous protein community members. Structure (2022). doi: 10.1016/j.str.2022.01.001
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