Wie bleiben Sachsens Innenstädte angesichts des größten Umbruchs in der Geschichte des Einzelhandels anziehend und lebenswert? Das war gestern (17. Januar 2022) Thema des zweiten Runden Tischs „Wirtschafts- und Lebensraum Innenstadt“ der sächsischen Staatsregierung, der pandemiebedingt als Videokonferenz stattfand.
Der Einladung des Staatsministers für Regionalentwicklung, Thomas Schmidt, und des Staatsministers für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Martin Dulig, waren 21 hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung gefolgt. Vor dem Hintergrund der durch die Corona-Pandemie bestehenden Herausforderungen wurden Handlungsstrategien zur Belebung der sächsischen Innenstädte und Ortsteilzentren beraten und aufeinander abgestimmt.
Nachdem beim ersten Runden Tisch zur Post-Corona-Stadtentwicklung am 29. Juni 2021 ein erstes Lagebild der Situation in den Innenstädten skizziert wurde, haben die Teilnehmer nun Ergebnisse vorgetragen und sich über das weitere Vorgehen verständigt.
Im dritten Jahr der Corona-Pandemie bestätigen sich die Einschätzungen der Anfangszeit. Die Kontaktbeschränkungen sind einerseits ein wirksamer Schutz gegen die Ausbreitung des Virus. Andererseits stellen jedoch ausbleibende Kundschaft, fehlende Besucherfrequenz in den Einkaufsstraßen und die zunehmende Verlagerung des Marktgeschehens in das Internet das auf den Einzelhandel fokussierte „System Innenstadt“ infrage. Die Pandemie verstärkt und beschleunigt einen innerstädtischen Strukturwandel, der schon vor Jahren eingesetzt hat.
Staatsminister Thomas Schmidt ist dennoch optimistisch: „Es ist beachtlich, wie sich unsere Städte und Gemeinden gegen die Folgen der Pandemie für die Stadtentwicklung stemmen. Allein 27 sächsische Städte, darunter auch viele kleine regionale Zentren, sind mit guten Ideen in das Innenstadtprogramm des Bundes aufgenommen worden. Nach Sachsen fließen dadurch insgesamt 26,7 Millionen Euro zusätzliche Mittel. Seit mehreren Jahren gibt es zudem ein sächsisches ‚Innenstadtnetzwerk‘, dem zurzeit überwiegend west- und mittelsächsische Kommunen angehören. Ich würde es begrüßen, wenn dieses Netzwerk weiter wachsen würde. Als Plattform des Austausches kann es ein wichtiger Baustein für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen in ganz Sachsen sein.“
Ein im September 2021 vorgelegter Bericht der Bauministerkonferenz empfiehlt unter anderem eine neue Nutzungsmischung für die Innenstädte und Ortsteilzentren in Deutschland. Vor allem soll in den Zentren wieder mehr gewohnt werden. Die Teilnehmer des Runden Tisches sind sich einig, dass dies im Wesentlichen auch für die sächsischen Städte gilt, wenngleich hier im Unterschied zu Städten in den westlichen Bundesländern immer in den Zentren auch gewohnt wurde. Dies könnte sich jetzt als Vorteil erweisen, denn bewohnte Innenstädte geben eine Grundfrequenz für den Einzelhandel, die andernorts fehlt.
Minister Martin Dulig betont: „Unsere Innenstädte bieten Lebensqualität und stiften Identität. Damit sie lebendig bleiben oder wieder werden, benötigen wir maßgeschneiderte lokale Konzepte. Denn was in Zittau funktioniert, muss nicht automatisch für Wurzen oder Werdau richtig sein. Grundsätzlich müssen wir die Innenstädte breiter aufstellen und sie als Kultur-, Wirtschafts- und Lebensraum begreifen. Mit einem vielfältigen Mix aus Handel und Gastronomie, Kunst und Kultur, moderner Mobilität sowie neuen Wohn- und Arbeitsformen können wir unsere Zentren stärken.
Damit sich die lokalen Akteure effektiv vernetzen können, ist auch ein stabiles digitales Fundament erforderlich. Unsere neue Digitalagentur DiAS wird die sächsischen Kommunen beim Breitbandausbau unterstützen. Zugleich setzen wir auch künftig auf unseren City-Wettbewerb ,Ab in die Mitte!‘. Er verzeichnete 2021 mit 49 Projektideen die zweitgrößte Anzahl an Bewerbungen mit innovativen Ideen in seiner Geschichte. In diesem Jahr stellen wir Preisgelder in Höhe von 300.000 Euro zur Verfügung. Deshalb mein Appell: Warten Sie nicht, entwickeln Sie kreative Projekte und setzen Sie Ihre Ideen um!“
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Runden Tisches erwarten, dass am Ende der Krise das gesellschaftliche Leben in eine „neue Normalität“ finden wird. Minister Schmidt: „In der Vergangenheit ist nach vergleichbaren Ereignissen ein neuer Lebenshunger in Menschen erwacht und sie haben sich ihre öffentlichen Räume neu angeeignet. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Die Akteure vor Ort sollten deshalb jetzt handeln und sich auf die zu erwartende Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens vorbereiten. Wir werden aber keine Entwicklung von oben ‚verordnen‘. Vor Ort gibt es bereits viele Ideen, das hat der Runde Tisch gezeigt. Dort, wo es nötig und möglich ist, werden wir dies mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen.“
Am Runden Tisch „Wirtschafts- und Lebensraum Innenstadt“ nahmen Vertreterinnen und Vertreter der sächsischen Industrie- und Handelskammern, der Handwerkskammern, des Handelsverbandes, des Landesverbandes der Kultur- und Kreativwirtschaft (Kreatives Sachsen), des Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA), des Städte- und Gemeindetages, der Architektenkammer, des Verbandes Haus und Grund, des Verbandes der Wohnungsgenossenschaften, der Gewerkschaft ver.di, des Vereins „Ab in die Mitte!“, sowie Wissenschaftler und Abgeordnete der Koalitionsfraktionen teil.
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