Das Universitätsklinikum Leipzig (UKL) verfügt seit kurzem über ein Ganglabor, einem speziellen Raum für 3D-Untersuchungen des Bewegungszyklus' von Patienten. Diese Ganganalysen werden zur Diagnostik und zur Dokumentation von Veränderungen des Gehens eingesetzt, um Auswirkungen von Operationen und anderen Therapien zu untersuchen.
Dabei werden Marker an standardisierten Positionen am Körper platziert, um die Bewegungen der entsprechenden Körperteile aufzuzeichnen. Nach mehrmaligem Ablaufen der Gehstrecke durch den Patienten entsteht ein 3D-Computer-Modell des Gangs.
„Und bitte!“: Dr. Klaus Sander gibt Andrea Schlicke ein Zeichen. Daraufhin beginnt die Leipzigerin, in einem ihr angenehmen Tempo die Gehstrecke auf und ab zu laufen. An ihren Beinen bis zu ihrer Hüfte sind 17 Marker mit kugelrunden silbergrauen Aufsätzen befestigt. Diese reflektieren das Licht, welches die zehn an den Wänden des Raumes befestigten Infrarot-Kameras abgeben. So werden dreidimensional die Ortskoordinaten beim Gehen erfasst. Zusammen mit den Aufnahmen der zwei Videokameras für die Erfassung des Gangs von vorn und von der Seite entstehen die notwendigen Daten für eine sogenannte instrumentelle 3D-Ganganalyse. „Das ist der Goldstandard für die Gangmessung“, erklärt Dr. Sander.
Der Ingenieur aus Thüringen – sein „Doktor“ ist kein medizinischer, sondern ein „Dr. Ing.“ – hat viele Jahre in der Orthopädischen Klinik in Eisenberg das dortige Ganglabor betreut. Seit Februar 2021 eigentlich im Ruhestand, ist er von Prof. Andreas Roth, Leiter des Bereichs Endoprothetik / Orthopädie an der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Plastische Chirurgie des UKL, gebeten worden, einmal in der Woche die Betreuung des neuen Ganglabors in Leipzig zu übernehmen. Beide kennen sich gut, so hat Dr. Sander diese Aufgabe übernommen.
Ungefähr in der Mitte der Laufstrecke sind im Boden zwei Kraftmessplatten eingebaut. Diese müssten die Patienten möglichst genau treffen, um optimale Daten zu erzeugen. Da sie aber gleichzeitig mit einer selbstgewählten und für sie normalen Gehgeschwindigkeit laufen sollen, wird das Ganze mindestens zehn Mal wiederholt. So auch bei Andrea Schlicke. Sie leidet an einer angeborenen Hüftdysplasie, erhielt 2016 eine Hüftprothese. Bei einer OP konnten drei Zentimeter Beinlängendifferenz ausgeglichen werden. Doch noch immer hat die Leipzigerin Schmerzen. Die Analyse ihres Gangs im neuen Labor soll nun bei der Klärung der Frage helfen, woher die Schmerzen kommen und ob eventuell eine weitere Operation notwendig sein könnte.
Die Ganganalyse hilft, Veränderungen, Verbesserungen oder eben auch Verschlechterungen zu erkennen. „Auf den Kraftmessplatten erfassen wir den sogenannten Doppelschritt“, erklärt Dr. Sander, „das heißt, vom Fersenaufsetzen jeweils eines Beines bis zum wiederholten Aufsetzen der Ferse desselben Beines, mit Standphase und Schwungphase.“ In der Standphase werde die Bodenreaktionskraft auf den Platten gemessen. So seien objektiv Beeinträchtigungen bei den Gelenkbelastungen zu erkennen. Unabhängig von der Kraftmessung ließen sich so die Gelenkwinkel bestimmen, sagt Sander.
Eine Anlage wie diese koste 180.000 Euro, erklärt er, und die Auswertungen der erhobenen Daten sei aufwändig. Eine Messung dauere rund eine Stunde, die Auswertung dann noch mal drei bis vier Stunden. Daher seien es hauptsächlich die orthopädischen Fachbereiche von Uniklinika, die ein derartiges Ganglabor besäßen und besonders für Studienzwecke nutzten.
Auswertungsmöglichkeiten sind vielfältig
Eine Ganganalyse kommt für Menschen in Frage, die an Knie oder Hüfte operiert wurden oder die vor einer OP stehen. Doch auch nach erfolgter Prothesenimplantation kann so herausgefunden werden, wo und warum die Betroffenen noch Probleme haben oder weiterhin Schmerzen erleiden. „Ein Ganglabor wie dieses hier ist allerdings noch vielfältiger einsetzbar“, erklärt Dr. Sander. So könnten auch Menschen mit Erkrankungen der Wirbelsäule oder neurologische Patienten von dieser Einrichtung profitieren.
Mit Begeisterung berichtet Klaus Sander von den vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten, die eine solche Anlage böte: „Möglich ist die Erstellung eines Gangbildes vor und nach einer OP, es zeigt dann deutlich die Veränderungen zum Guten. Aber die Ärzte sehen eben auch ganz deutlich, wo noch Defizite sind.“ Eine große Rolle spielten auch die sogenannten Verlaufskontrollen. „Wir können den Gang vor der Operation und zum Beispiel vier Wochen nach der OP, dann sechs Monate oder auch ein Jahr danach analysieren. Über 100 Parameter stehen uns hierfür zur Verfügung.“
Doch eben, weil es so viele Auswertungsmöglichkeiten gibt und die Analyse zeitaufwändig ist, wird die Ganganalyse nur bei ausgewählten Patienten eingesetzt. „Dem Wunsch, bei einem Ziehen in der Hüfte oder einem Stechen im Knie mal eben den eigenen Gang analysiert zu bekommen, können wir also nicht nachkommen“, erklärt Dr. Sander.
Andrea Schlicke hat gelernt, mit ihren Schmerzen zu leben. Schon während des Ablaufens der Analysestrecke sind sie wieder zu spüren. Doch werden die hier im Ganglabor erstellten Analysen Prof. Andreas Roth möglicherweise helfen, bei ihr den sprichwörtlichen Hebel noch effektiver anzusetzen und ihr soweit wie möglich schmerzfreies Fortbewegen zu ermöglichen.
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