Seit Ende letzter Woche verbreitet sich ein Aufruf, ausgehend von einem Facebook-Post, mit dem Ziel, bei den Jazztagen Dresden die Absage des Vortrages von Dr. Daniele Ganser zu erreichen. Seitdem gehen Mails von unterschiedlichen Seiten bei den Jazztagen ein. Einerseits mit der Bitte bzw. der expliziten Forderung, den Vortrag abzusagen – und andererseits mit der konträren Bitte, den Vortrag nicht abzusagen.
Auch Partner und Sponsoren werden mit entsprechenden Mails bedacht. Wir freuen uns immer über Feedback und konstruktive Kritik. Auch die Zuschriften, die uns nun erreichen, haben im überwiegenden Teil einen positiven Grund-Tenor den Jazztagen gegenüber.
Aus der von uns tiefempfundenen Verantwortung und Verpflichtung sowohl unseren Künstlern als auch dem Publikum und unseren vielen, zum großen Teil langjährigen Partnern und Unterstützern und unserem Team gegenüber, möchten wir zu diesem Thema wie folgt Stellung nehmen.
Gerne stellen wir ein Zitat aus der Präambel des Jazzverbandes Sachsen e.V. an den Anfang: „Der Jazzverband Sachsen e.V. versteht sich als weltoffen und sagt deshalb entschieden Nein(!) zu jeglicher Form von Diskriminierung, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Homophobie.“ Dieser Aussage schließen wir uns von Seiten der Jazztage Dresden zu 100 Prozent an.
Die Jazztage Dresden stehen in diesem für viele so schwierigen Jahr aktuell kurz vor ihrem 20. Festivaljahrgang. In den vergangenen 19 Jahren hat sich das Festival vom Dresdner Stadtrand mit zu Beginn 400 Gästen hin zu einem Festival von internationaler Reputation mit renommierten Künstlern aus aller Welt entwickelt. In den letzten Jahren besuchten jährlich circa 40.000 Gäste die jeweils rund 80 Festivalkonzerte.
Neben dem grundlegenden Bestreben, hervorragende und außergewöhnliche Musiker nach Dresden zu holen – seien es internationale Stars oder junge und/oder aufstrebende Musiker – liegt von Beginn an ein besonderer Schwerpunkt der Festivalprogrammatik im Ausloten von Grenzräumen zwischen unterschiedlichen Genres und Stilen – und dem Schaffen eines Raumes für Projekte, Ensembles und Experimente, die sich in einem derartigen Spannungsfeld bewegen. Das auf den ersten Blick mitunter scheinbar Unvereinbare kann miteinander in Kontakt treten und ermöglicht dabei das Entstehen von Neuem.
Diese Motivation, Brücken zu schlagen anstatt Gräben zu ziehen, tragen die Jazztage auch über die Musik selbst hinaus mit – und weiter. So gibt es im Festivalprogramm immer mal wieder Künstler, die auch politisch aktiv sind und Entsprechendes in ihrem Programm auf der Bühne kommunizieren. Dies ist im Rahmen der Kunstfreiheit in Ordnung und wichtig, solange die Grenze zur Diskriminierung (egal welcher Art und gegen wen) und zum Extremismus nicht überschritten wird.
Auch auf dem Gebiet der gesellschaftlichen, auch der politischen Themen halten wir eine offene Diskussion auch sehr unterschiedlicher Ansichten und Perspektiven für gut und richtig – und ziehen dies einer Abgrenzung und Abschottung vor. Immer mit Blick auf die oben schon genannte rote Linie, deren Überschreitung von uns nicht toleriert wird.
Vor diesem Hintergrund haben wir Dr. Ganser zur Durchführung seines Vortrages auch in diesem Jahr zugestimmt. Der Vortrag ist, als „Vortrag“ gekennzeichnet, bereits seit Anfang des Jahres 2020 (Januar/Februar) veröffentlicht und im Verkauf. Auch im Vorjahr hatte bereits ein Vortrag von Dr. Ganser stattgefunden. Die Veranstaltung wird durchgeführt von der SIPER AG, die Jazztage stellen die Infrastruktur zur Verfügung und erhalten eine Miete. Das Entstehen von Kosten für die Jazztage aus diesem Vortrag ist (und war) ausgeschlossen.
Ausschlaggebend für diese Entscheidung sind die folgenden Punkte:
1. Dr. Ganser hat sich unseres Wissens nach nie rassistisch, diskriminierend oder homophob geäußert. Dies bestätigt unter anderem auch Prof. Butter, der im ursprünglichen Facebook-Post (siehe oben!) zitiert wird.
2. Wir sind der festen Überzeugung, dass sowohl das Sprechen miteinander als auch das Hören und Erfahren von anderen Sichtweisen oder Perspektiven dem Menschen nicht schadet, sondern vielmehr das eigene Reflektieren und das eigene kritische Denken anregt.
3. Weiterhin sind wir der Überzeugung, dass wir Menschen durchaus dazu in der Lage sind, Gehörtes und Erlebtes selbst und eigenständig zu beurteilen (im Idealfall aus erster Hand und nicht über Dritte) und daraus – jeder für sich – seine Schlüsse zu ziehen oder das Gehörte in der einen oder anderen Form für sich weiter zu verarbeiten.
Wir sehen eine größere Gefahr darin, Gesprächspartner oder Andersdenkende auszuschließen, als miteinander zu sprechen (oder auch kontrovers zu diskutieren) und unterschiedliche Perspektiven zuzulassen. Immer natürlich mit Blick auf die bereits genannte rote Linie.
Das Zitat von Evelyn Beatrice Hall „Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.“ (Voltaire zugeschrieben) leitet uns an dieser Stelle.
Ansonsten stehen wir und die Jazztage – und wohl zumindest die meisten, die die Jazztage und uns selbst kennen, wissen das – für Freiheit und Weltoffenheit und gegen jegliche Form von Diskriminierung, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Homophobie und Extremismus. Das ist eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich keiner Erwähnung bedarf.
Da wir miteinander und nicht übereinander (oder gar nicht) sprechen wollen, möchten wir eine Diskussion an den Vortrag von Herrn Ganser (der aufgrund der Corona-Auflagen und entsprechend geringerer Platzkapazität in zwei Vorträge gesplittet wurde) anschließen unter dem Motto „Concertare“. Um 18 Uhr wollen wir Gesprächspartner zur offenen Diskussion einladen. Wir bitten die Initiatoren des Facebook-Posts um Vorschläge zu möglichen Gesprächspartnern/Diskutanten.
Wir freuen uns auf ein Festival mit großartiger Musik – und mit guten Gesprächen und Diskursen. Offen, freiheitlich, mit Respekt und Toleranz jedem und jeder gegenüber.
„Vergessene“ Häuser in Leipzig: Impressionen des Verfalls + Bildergalerie, Updates & Übersichtskarte
https://www.l-iz.de/politik/leipzig/2020/10/Vergessene-Haeuser-in-Leipzig-Impressionen-des-Verfalls-347491
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