Zum Auftakt der Herbstklausur der Grünen Bundestagsfraktion nachfolgend Statements der beiden Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter – zu den Themen Corona-Maßnahmen/Schule, Wirtschaft/Innenstädte, USA, Sozial-Ökologische Transformation, Ökologische Lage, Wirecard-Skandal, Rechtsextremismus.

Katrin Göring-Eckardt: 

Corona-Maßnahmen/Schule

Die Corona-Pandemie macht uns nach wie vor große Sorgen. Wir sind alles andere als über den Berg. Dessen sollten wir uns bewusst sein. Das führt nach wie vor zu einer sehr großen und sehr verständlichen Verunsicherung in der Bevölkerung. Funktioniert der Unterricht in den Schulen? Ist der Arbeitsplatz sicher? Welche Veränderungen sind jetzt notwendig?

All diese Fragen müsste eigentlich eine Bundesregierung beantworten, wenn sie vorausschauend handelt und stets alle neuen Erkenntnisse einbezieht. Stattdessen erleben wir eine Bundesregierung, die hektisch und planlos agiert. Und die es nicht schafft, dass Bund und Länder tatsächlich gemeinsam handeln. Das wäre dringend notwendig.

Deswegen erneut mein Aufruf: Wir brauchen bundeseinheitliche Regeln, die regional unterschiedlich angewandt werden je nach der Pandemiesituation vor Ort. Wir brauchen dringend einen Pandemierat. Ein Pandemierat, der mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen besetzt ist: Von der Virologie über Psychologie bis zum Arbeitsmarkt und Sozialwesen.

Die Bundesregierung muss endlich ihr kleinteiliges, hektisches Handeln aufgeben und in der Coronakrise vorausschauend alle Fragen zusammen denken. Das betrifft auch die Schulen. Ich habe null Verständnis dafür, dass es nicht bereits am Anfang der Sommerferien gemeinsame Initiativen gegeben hat, um zu klären, wie man nach den Ferien für einen sicheren Unterricht sorgen kann.

Jetzt sind wir schon wieder kurz vor knapp. Man kann nicht den gesamten Winter über alle Fenster in den Schulklassen offen lassen. Es braucht innovative Lösungen, wie moderne Luftreiniger. Die gibt es, aber sie sind nicht bestellt. Die Schulen sind immer noch nicht in der Fläche digital fit gemacht.

Die Mittel aus dem Digitalpakt kommen nach wie vor nicht ausreichend vor Ort an. Der Bund muss die Mittel aus dem Digitalpakt endlich pauschal zur Verfügung stellen, und zwar sehr schnell.

Wirtschaft/Innenstädte

Wir werden uns auf der Klausur auch mit den wirtschaftlichen und sozialen Fragen beschäftigen. Wir werden einen Fokus legen auf die Entwicklung der Innenstädte. Kleine Läden haben große Probleme, selbst große Ketten schließen. Es droht eine Verödung unserer Innenstädte. Dem wollen wir entgegenwirken.

Damit der Bund die Kommunen bei der aktiven Gestaltung des Stadtbildes besser unterstützen kann, fordern wir, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zu einem gemeinnützigen „Bundesbodenfonds“ weiter zu entwickeln. Das schafft nicht nur mehr Möglichkeiten für die Errichtung dauerhaft bezahlbaren Wohnraums, sondern auch für öffentliche Orte, an denen man sich aufhalten kann ohne konsumieren zu müssen, von der Bibliothek bis zum Skatepark oder Community Garden. So kann eine nachhaltige und gemeinnützige Bodenpolitik entstehen.

Wir wollen, dass auch die vielen Gastronomen in der Innenstadt tatsächlich die Chance haben, diese schwierige Zeit zu überstehen. Damit viele der kleinen Unternehmen in Innenstadtlagen wieder Luft zum Atmen bekommen, muss die Bundesregierung die Hilfsprogramme entbürokratisieren, die Antragshürden senken und den Ländern endlich die Möglichkeit einräumen, Selbstständigen, Kulturschaffenden und Kreativen daraus nicht nur Sachkosten, sondern auch ein Selbstständigengeld beziehungsweise einen Unternehmerlohn zu finanzieren.

Es kann nicht sein, dass viele sagen: Wir nehmen die Hilfe nicht in Anspruch, weil die bürokratischen Hürden so hoch sind.

USA

Schließlich werden wir uns heute Nachmittag mit den Vereinigten Staaten beschäftigen. Madeleine Albright, die ehemalige US-Außenministerin, wird zugeschaltet an unserer Klausur teilnehmen. Natürlich hoffen wir darauf, dass Donald Trump nicht wiedergewählt wird. Und dass es ein Fanal gibt für die Demokratie gegen Rassismus, gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft.

Anton Hofreiter:

Wirtschaft/sozial-ökologische Transformation

Die wirtschaftliche Lage ist weiterhin sehr schwierig, auch wenn es teilweise Zeichen von Erholung gibt. Deshalb brauchen wir weiterhin akut Hilfen, damit kleine und mittelständische Unternehmen überleben können.

Wir müssen dafür sorgen, dass Soloselbstständige vernünftig unterstützt werden. Die Bundesregierung vernachlässigt die wichtige Aus- und Fortbildung insbesondere von jungen Menschen, wo wir auch ein nicht zu unterschätzendes Problem insbesondere am Ausbildungsmarkt haben. Und schließlich muss klar sein: Die sozial-ökologische Transformation muss weitergehen.

Auf meiner Industrietour im Sommer habe ich mir Stahlwerke und Chemieanlagen angeschaut. Ich habe Vertreter der Luftfahrt- und Autoindustrie getroffen. Viele haben inzwischen spannende Konzepte, wie Sprunginnovationen umgesetzt werden können, von CO2-freien Flügen bis zur CO2-freien Produktion von Stahl.

Aber für all das brauchen die Unternehmen Planungssicherheit und ausreichend Liquidität. Und deshalb muss klar sein: Das nächste Jahrzehnt muss ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen werden, sonst werden diese guten Ideen nicht umgesetzt oder jedenfalls nicht bei uns in Deutschland.

Die Bundesregierung muss endlich verlässliche Rahmenbedingungen schaffen für die sozial-ökologische Transformation und so den Weg für CO2-freien Stahl, CO2-freie Chemieproduktion und CO2-freie Mobilität frei machen.

Ökologische Lage/Wald/Dürre

Die ökologischen Bedingungen in unserem Land sind zum Teil inzwischen dramatisch. Ich war vergangene Woche viel in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Wenn man sieht, dass da ein großer Teil der Fichtenwälder inzwischen flächendeckend tot ist, dann merkt man: Die Hitze und die Dürre setzen bereits jetzt bei einem Grad Temperatur-Durchschnittserhöhung massiv unseren Lebensgrundlagen zu. Landwirte sind zum Teil zutiefst verzweifelt, weil es seit Monaten nicht mehr relevant geregnet hat. All das zeigt uns: wir müssen jetzt wirklich schnell handeln.

Wirecard-Skandal

Seit gestern ist klar: der Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal kommt. Wir haben der Bundesregierung eine Chance gegeben, das aufzuklären. Wir haben eine ganze Reihe von Fragen gestellt. Es gab zwei Sondersitzungen des Finanzausschusses dazu. Die Bundesregierung hat diese Chance verstreichen lassen. Jetzt braucht es einen Untersuchungsausschuss. Wir nutzen die Erkenntnisse aus den bisherigen Antworten und weiter offenen Fragen in den Sondersitzungen, um einen präzisen Untersuchungsauftrag zu schreiben.

Was bereits jetzt klar ist: Bei der BaFin, im Finanzministerium, bei der Gesetzgebung muss sich einiges ändern. Wirecard hat sich in den DAX reinbetrogen. Und dass so etwas möglich war, ist im Grunde doch eigentlich unvorstellbar für die viertgrößte Industrienation. Das darf sich nicht wiederholen.

Rechtsextremismus

Es ist nicht nur notwendig, dass es dazu einen Kabinettsausschuss gibt, sondern es müssen Konsequenzen folgen. Und dafür ist es wichtig, dass das Antidiskriminierungsgesetz reformiert wird, dass wir endlich ein Demokratiefördergesetz bekommen. Seit Jahren ist es so, dass die Menschen, die sich zivilgesellschaftlich gegen rechts, gegen Rassismus engagieren, Jahr für Jahr um ihre Finanzierung bangen müssen. Damit muss Schluss sein.

Da braucht es eine dauerhafte institutionelle Finanzierung. Es muss endlich klar sein, dass die Opfer von Rassismus und Rechtsradikalismus stärker unterstützt und gestärkt werden. Und die Aufklärung in den Sicherheitsbehörden über mögliche Missstände muss mit aller Energie vorangetrieben werden.

Die neue Leipziger Zeitung Nr. 82: Große Anspannung und Bewegte Bürger

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