Die Zahl der Menschen, die auf eine Wohnung mit reduzierter Miete angewiesen sind, ist enorm gestiegen: Insgesamt werden in Deutschland derzeit mehr als 8,5 Millionen Wohnungen auf niedrigem, bezahlbarem Miet-Niveau benötigt – deutlich mehr als der Wohnungsmarkt mit seinen weniger als 1,2 Millionen Sozialwohnungen hergibt.
Das geht aus einer aktuellen Untersuchung hervor, die das Pestel-Institut (Hannover) im Auftrag der IG Bauen-Agrar-Umwelt gemacht hat. IG BAU-Chef Robert Feiger fordert deshalb eine „Sozialbau-Offensive“. Zugleich warnt er vor „Lohndämpfern unter Corona-Vorwand“. Dies würde immer mehr Menschen vom regulären Wohnungsmarkt abkoppeln.
Insbesondere in Städten und Ballungsräumen sei der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen enorm hoch. „Die Zahlen vom Pestel-Institut spiegeln eine dramatische Entwicklung wider: In den vergangenen zehn Jahren hat die Anzahl der Menschen, die auf eine Wohnung mit niedriger, bezahlbarer Miete unbedingt angewiesen sind, drastisch zugenommen – um 1,28 Millionen Personen. Das ist ein Zuwachs von 10,7 Prozent. Und das bei einer außerordentlich positiven Beschäftigungsentwicklung, die es bis zu Beginn der Corona-Pandemie gab. Das passt nicht zusammen“, sagt Robert Feiger.
Der Bundesvorsitzende der IG BAU sieht in den vom Pestel-Institut ermittelten Zahlen „sozialen Sprengstoff“: Allein die Mieten in den kreisfreien Städten seien im vergangenen Jahrzehnt um knapp 46 Prozent gestiegen. „Für Durchschnittsverdiener gibt es dort bezahlbare Wohnungen in der Regel nur, wenn sie einen Altmietvertrag haben. Bei einem Mieterwechsel ist dann in der Regel Schluss damit – und das trotz der bundesweiten Mietpreisbremse und des Mietendeckels in Berlin. Die soziale Schere schneidet immer tiefer in den Wohnungsmarkt“, so Feiger. Dabei sei die Not auf den Wohnungsmärkten „nur ein Symptom für die enorme soziale Schieflage“, in die Deutschland geraten sei.
Feiger hat deshalb zwei Forderungen an Staat und Wirtschaft: Der Bund müsse zusammen mit den Ländern und Kommunen in diesem Jahrzehnt einen wohnungsbaupolitischen Kurswechsel vollziehen und eine „Offensive Sozialbau“ starten. Darüber hinaus sieht der IG BAU-Chef die Unternehmen in der Pflicht: „Die Löhne müssen mit der Preisentwicklung beim Wohnen Schritt halten. Beschäftigte dürfen mit ihren Einkommen nicht abgekoppelt werden. Für sie ist es maximal zumutbar, 30 Prozent vom Nettoeinkommen fürs Wohnen auszugeben. Wer gerade in Städten und Ballungsräumen gezwungen ist, diese Grenze zu überschreiten, bei dem verschlingt die Miete die Lebensqualität.“
Feiger erteilt in diesem Zusammenhang einer Lohnzurückhaltung unter Corona-Vorwand eine Absage: „Gerade in der Corona-Krise sind stabile Einkommen wichtig.“ Deswegen werde es bei der bevorstehenden Schlichtung im Bau-Tarifkonflikt mit der IG BAU auch keinen „Corona-Rabatt“ geben. Feiger bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Forderung nach einem Lohn-Plus für Baubeschäftigte von 6,8 Prozent, mindestens aber 230 Euro mehr pro Monat. Azubis sollen 100 Euro monatlich extra bekommen.
„Der Bau mit seinen – trotz der Corona-Krise – guten Bilanzen muss hier mit gutem Beispiel vorangehen. Denn ohne Bauarbeiter kein Wohnen – und Bauarbeiter sollten in der Lage sein, sich von den Wohnungen, die sie bauen, wenigstens einige auch leisten zu können“, so der IG BAU-Bundesvorsitzende.
Wenn Baubeschäftigte gezwungen seien, bei der Wohnungssuche weite Distanzen zum Betriebshof in Kauf zu nehmen, dann sei damit auch den Unternehmen nicht geholfen. Ohnehin werde Bauarbeitern in Sachen Mobilität viel zugemutet: Die Gewerkschaft will angesichts enormer Strecken, die Bauarbeiter zu ständig wechselnden Baustellen zurücklegen müssen, auch die Entschädigung von Wegezeiten zum Thema bei der Schlichtung im Bau-Tarifstreit machen.
Am kommenden Mittwoch (Hinweis f.d. Red.: 26. August) kommen IG BAU sowie Bauhandwerk (ZDB) und Bauindustrie (HDB) zu einem ersten gemeinsamen Treffen mit Schlichter Rainer Schlegel, dem Präsidenten des Bundessozialgerichts, zusammen. Zuvor waren drei Verhandlungsrunden für die rund 850.000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe ergebnislos abgebrochen worden: Die Arbeitgeber hatten kein Angebot vorgelegt.
Beim sozialen Wohnungsbau spricht sich Robert Feiger für eine Abkehr vom Prinzip „Sozialwohnung auf Zeit“ aus – also gegen Fristen, die dazu führen, dass Mietpreisbindungen und Belegungsrechte auslaufen. „Das Ziel muss sein: einmal Sozialwohnung – immer Sozialwohnung. Der Staat muss bezahlbares Wohnen endlich als Teil der Daseinsvorsorge begreifen und realisieren. Die staatliche Förderung kann dann neben dem Neubau von Sozialwohnungen auch in Ankauf und Sanierung bestehender Wohnungen mit Sozialmieten investiert werden“, so der IG BAU-Chef.
Dies sei ein effektiver Weg, dem „jahrzehntelang politisch tolerierten Abschmelzen des Bestandes an Sozialwohnungen wirkungsvoll entgegenzutreten“. Bis 2030 müssten dabei rund 160.000 Wohneinheiten mit Sozialbindung pro Jahr zusätzlich geschaffen werden, um den Bestand wieder auf mindestens 2 Millionen zu erhöhen. Das geht aus den Berechnungen des Pestel-Instituts hervor.
Beim Aufbau eines neuen bundesweiten Kontingents an Sozialwohnungen sei es notwendig, regionale Unterschiede zu berücksichtigen. „Durch die Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit wären in erster Linie regionale Wohnungsunternehmen, die sich zu ihrer sozialen Verantwortung bekennen, gefordert, im Rahmen der Daseinsvorsorge gezielt dauerhaft den bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der vor Ort benötigt wird“, so Feiger.
Zudem sei es notwendig, Kommunen verstärkt in die Lage zu versetzen, besonders benachteiligte Haushalte mit Wohnraum zu versorgen. Dies sei nur durch mehr Sozialwohnungen im kommunalen Eigentum oder durch direkte Belegungsrechte der Kommunen zu gewährleisten.
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