Am 8. Juli wird die Benennung einer Straße und Grundschule in Gedenken an den Zoo-Gründer Ernst Pinkert Thema im Leipziger Stadtrat. Der Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen (DSM) fordert eine kritische Auseinandersetzung mit den sogenannten „Völkerschauen“ im Leipziger Zoo.
Zudem fordert der DSM explizit einen Paradigmenwechsel in Sachsen: Menschenverachtende Praxis sollte nicht entschuldigt und relativiert, sondern geächtet werden. Mit der Benennung von öffentlichen Einrichtungen oder Straßen soll an Menschen erinnert werden, die Besonderes geleistet haben. Doch worin diese Leistung besteht, sollte nicht einseitig verherrlicht werden, sondern ganzheitlichen Betrachtungen standhalten.
Viel Gutes habe der Leipziger Zoo Gründer Ernst Pinkert für die Stadt und die Stadtgesellschaft getan, Pinkert nur auf den „kleinen Ausschnitt“ der „Völkerschauen“ zu reduzieren sei nicht der richtige Weg und überhaupt, seien die „Völkerschauen“ im Kontext der damaligen Zeit zu sehen. So äußerte sich der Direktor des Leipziger Zoos Jörg Junhold gegenüber der LVZ.
Leider offenbart diese Aussage ein Verhältnis, das viele Menschen in Deutschland nach wie vor zur Kolonialzeit und zu kolonialen Praktiken jener Zeit pflegen. Es findet eine Verklärung und Relativierung statt und es wird versucht den Eindruck entstehen zu lassen, dass bestimmte Aspekte im Kontext jener Zeit zu sehen seien. Heutige Maßstäbe dürften entsprechend nicht rückwirkend angelegt werden.
So nachvollziehbar dieses Argument zunächst erscheinen mag, ist es letztlich doch grotesk. Zeiten und Maßstäbe ändern sich, aber es gibt eben auch zeitlose ethische Maßstäbe.
Niemand würde beispielsweise ernsthaft in Bezug auf den Nationalsozialismus oder Stalinismus so argumentieren. Bei Ernst Pinkert handelt es sich natürlich nicht um einen Diktator oder Massenmörder, aber dass Menschen in Leipzig und darüber hinaus als exotische „Zooattraktionen“ ausgestellt und begafft wurden, ist unmittelbar auf ihn zurückzuführen.
Auch wenn die Spektakel aufgrund von intensiver Werbung gut besucht waren, so waren sie nicht unwidersprochen. Von vielen Seiten gab es immer wieder Kritik und Proteste. So schreibt etwa die Magdeburger Zeitung am 21. Oktober 1880 es verstoße gegen jeglichen Anstand “unseres Gleichen in Thiergärten sehen zu lassen”.
Für Pinkert, den Hamburger Hagenbeck und andere Organisatoren von sogenannten „Völkerschauen“ stand vor allem das Geschäft an vorderster Stelle. Das Interesse an Zoos ging zurück und Ausstellungen, in denen große Gruppen von exotisierten Menschen ausgestellt wurden, waren kommerziell überaus erfolgreich. In keinem Verhältnis dazu standen die geringen Entlohnungen der Dargestellten, die häufig unter falschen Versprechungen angeworben und ausgebeutet wurden.
Vom Ausmaß der psychologischen Verheerungen, die durch das „Begaffen“ der Zurschaugestellten ausgelöst wurde ganz zu schweigen. Fremd Aussehende wurden gemäß herrschender Klischees ausgewählt und nach Europa verfrachtet: „Afrikaner“ sollten vor allem wild und faul sein, „Araber“ sich im Handel hervortun und aussehen wie aus Tausendundeiner Nacht, „Südseemenschen“ mussten glücklich und kindhaft wirken, „Indianer“ viel kämpfen, um den Marterpfahl tanzen und Friedenspfeife rauchen, wie von Karl May erdacht.
Durch die Völkerschauen wurden die exotischen Fantasien des Publikums theatralisch greifbar, die Überlegenheit der europäischen Betrachter inszeniert, koloniale Absichten bestärkt und damit die „Segnungen“ der deutschen Zivilisation im Kolonialismus legitimiert.
Insgesamt fanden zwischen 1875 und 1931 vierzig „Völkerschauen“ im Leipziger Zoo statt. Trotz des aktiven Beitrags Ernst Pinkerts wurde 2009 eine Straße im Zentrum-Nord nach dem Zoo Gründer benannt. Ein Jahr später folgte auch eine Grundschule – die Ernst-Pinkert Schule in Anger-Crottendorf. Eine kritisches Bewusstsein oder zumindest eine breitere Debatte um die Benennung einer Straße und einer Schule nach einem Mann, der maßgeblich zu kolonialen, rassistischen und menschenunwürdigen Praktiken im Leipziger Zoo beitrug, blieb bisher weitestgehend aus.
Der deutsche Kolonialismus hat tiefe Spuren in den städtischen Räumen hinterlassen. Denkmäler, Straßennamen, Gebäude und Institutionen sind Teil der kolonialen Topografie unserer Städte. Der Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen fordert eine Öffentlichkeit und kritische Auseinandersetzung mit dieser kolonialen Erinnerungsproblematik.
In Bezug auf den Leipziger Zoo fordert der DSM konkret eine Aufarbeitung der eigenen kolonial-rassistischen Vergangenheit und eine kritische Auseinandersetzung mit deren Kontinuitäten im eigenen Haus. Zoos waren zu Ernst Pinkerts Zeiten simulierte Bilderwelten, die vermeintlich „authentisch“ inszeniert wurden, letztlich aber einer rassistischen Logik folgten.
Schaut man sich beispielsweise die Veranstaltungen, deren Bewerbungen als „Kulturveranstaltungen“, die Informationstafeln im zooeigenen Restaurant und die exotisierende Darstellungen von schwarzen Menschen, indigenen Menschen und People of Color aktuell an, werden Parallelen schnell deutlich. Auch wirkt es befremdlich, dass damals wie heute die eigene Fortschrittlichkeit gelobt wird, während ethische Maßstäbe und Einwände als störend und unangebracht abgetan werden.
Interview: „Der Kolonialismus in Leipzig ist kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte“
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Auch die Benennungen von Straße und Schule nach Ernst Pinkert stehen zur Disposition
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