Der Klimagipfel in Madrid ist in vollem Gange. Ein zentrales Thema dort: Ehrgeizigere Klima-Verpflichtungen möglichst vieler Staaten zu erreichen, damit das 2015 in Paris vereinbarte Ziel einer globalen Erwärmung von höchstens zwei Grad noch erreicht werden kann. Ein zentrales Instrument des Paris-Abkommens ist ein dynamisches Anreizsystem, das sogenannte „Ratcheting“.
An dessen Wirksamkeit sind allerdings Zweifel angebracht. Ein Laborexperiment von Wissenschaftlern des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim sowie der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) zeigt, dass dieses Anreizsystem sogar kontraproduktiv sein kann.
„Anstatt ausschließlich auf ‚Ratcheting‘ zu setzen, wäre es sinnvoller, in Madrid Maßnahmen voranzutreiben, die insbesondere Freifahreranreizen entgegenwirken. Dazu gehören Optionen wie international koordinierte CO₂-Preise sowie deren Berücksichtigung in entsprechenden Handelsabkommen“, sagt Prof. Dr. Martin Kesternich, stellvertretender Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Umwelt- und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement“.
Um die globale Erwärmung zu begrenzen, sind substanzielle Klimaschutzbeiträge unabdingbar. Ein zentraler Baustein hierbei ist das sogenannte „Ratcheting“. Der Begriff bezeichnet ein dynamisches Anreizsystem, das den Vertragsstaaten vorgibt, ihre Beiträge zum Klimaschutz in regelmäßigen Abständen transparent darzulegen und über die Zeit zu erhöhen. Ob und wie Ratcheting wirkt, haben die Wissenschaftler von ZEW und HTWK untersucht und ihre Ergebnisse in einem aktuellen ZEW policy brief zusammengefasst.
Um die Wirkung von Ratcheting zu untersuchen, müsste man eigentlich zwei Welten vergleichen: eine, in der die Staaten ihre Beiträge zum Klimaschutz mit Ratcheting leisten sowie eine andere Welt, in der sie diese Beiträge ohne Ratcheting erbringen. Da es eine solche zweite Welt nicht gibt, führten die Wissenschaftler ein Laborexperiment durch. Dieses bildet in einem Öffentliches-Gut-Spiel mit monetären Anreizen die wesentlichen Eigenschaften des Kooperationsproblems der internationalen Klimapolitik ab. Die Ergebnisse sind ernüchternd.
Klimapolitik sollte Freifahreranreize offensiver angehen
Es zeigt sich, dass insbesondere kooperative Akteure mit eher anspruchsvollen Klimazielen ihre zu Beginn hohen Ambitionen unter Ratcheting-Bedingungen deutlich zurücknehmen. Das führt zu einer erheblichen Absenkung des Klimaschutzniveaus und zu Effizienzverlusten. „Der Grund für dieses Verhalten ist anscheinend, dass kooperative Akteure der Ausnutzung ihrer eigenen hohen Bereitschaft, etwas für das Klima zu tun, durch ‚Trittbrettfahrer‘ vorbeugen wollen“, erklärt Prof. Dr. Bodo Sturm von der HTWK Leipzig und Forschungsprofessor am ZEW.
Über den Zeitverlauf hinweg erhöht Ratcheting zwar tatsächlich die Bereitschaft, zur Erreichung des Klimaziels zu kooperieren, dieser Anstieg gleicht allerdings die eingangs zu beobachtende Zurücknahme bei den Klima-Verpflichtungen nicht aus. Ratcheting wirkt somit also möglicherweise sogar kontraproduktiv.
Für die internationale Klimapolitik resultiert aus diesen Ergebnissen: Es ist große Skepsis angebracht, dass Ratcheting eine positive Wirkung auf die tatsächlichen Beiträge zur Emissionsreduktion hat. Es gibt weder theoretische noch empirische Hinweise darauf, dass Ratcheting das Kooperationsproblem abschwächt oder gar löst. Statt wie im Pariser Abkommen darauf zu vertrauen, dass die Klimaschutzbeiträge mit Ratcheting quasi „automatisch“ steigen, sollte die Klimapolitik nach Ansicht der Wissenschaftler daher stärker als bisher die Freifahreranreize offensiv angehen.
Ein aussichtsreiches Instrument hierfür ist eine höhere CO₂-Bepreisung in allen kooperativen Staaten. Ergänzt werden müsste dies durch die Möglichkeit für kooperative Staaten, CO₂-Zölle auf Importe aus Staaten zu erheben, die eine Teilnahme an der CO₂-Bepreisung verweigern. Ein weiterer Schritt in diese Richtung wäre für Madrid ein großer Erfolg.
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