Am 6. November wurde einer der insgesamt sechs Helmholtz-Doktorandenpreise 2019 vom Präsidenten der Helmholtz-Gemeinschaft, Prof. Ottmar D. Wiestler, feierlich an Dr. Annegret Grimm-Seyfarth vom UFZ überreicht. Die Auszeichnung gilt ihrer Dissertation, die sie im letzten Jahr mit summa cum laude abgeschlossen hat.
Seit nahezu zehn Jahren forscht die Biologin zu Auswirkungen der Klimaerwärmung auf Wirbeltiere: Galten die ersten Studien Rauchschwalben, befasste sie sich für ihre Promotion mit australischen Reptilien. Nach deren Abschluss ist sie nun Amphibien in der Leipziger Auenlandschaft auf der Spur.
Noch immer schwingt Erstaunen in ihrer Stimme mit, wenn sie über die feierliche Verleihung des Helmholtz-Doktorandenpreises in Berlin spricht. Denn niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass sie mit ihrer Forschungsarbeit zu Reptilien am anderen Ende der Welt die Chance hat, einen der begehrten Preise zu bekommen. Hinein mischt sich die Aussicht auf das, was mit dem Preisgeld kommen kann und soll: Aufenthalte an auswärtigen Instituten, für die sich während der Jahre als Doktorandin weder genügend Zeit noch geeignete Projekte fanden.
Jeden australischen Sommer hat Annegret Grimm-Seyfarth zwischen 2012 und 2016 im Kinchega National Park verbracht, ist für eine Strecke 26 Stunden geflogen und einen Tag über Dust Roads gefahren, um schließlich in einer aufgelassenen Schaffarm Quartier zu beziehen. Eine Hütte für die Küche, eine zum Schlafen und eine fürs Labor. Was 1.000 Kilometer westlich von Sydney bedeutet, einen Raum für Wiege- und Messinstrumente und einen Platz fürs Markieren und Fotografieren der kaum handtellergroßen australischen Reptilien zu haben. Nur das Fenster sollte tunlichst geschlossen bleiben, sonst weht Sand zusätzlich zu dem ins Labor, der eh’ schon durch jede Ritze kriecht.
In diesem Gelände – knapp 450 Quadratkilometer Wüste und Halbwüste – hat Prof. Klaus Henle 1985 den Grundstein für die Forschung an Eidechsen in ariden Gebieten Australiens gelegt. Henle, seit 1992 Leiter des Departments Naturschutzforschung am UFZ, und sein Mitstreiter Bernd Gruber, heute Assistant Professor an der Universität Canberra (Australien), haben eine Reihe von Methoden der Populationsbiologie etabliert und auf unterschiedliche Arten angepasst.
“Da ist ein riesiger Schrank an Möglichkeiten gefüllt worden”, umreißt Annegret Grimm-Seyfarth ihren Start. Heute ließen sich Daten für nahezu alle Arten und Populationen von Wirbeltieren erheben, etwa zu Größenverhältnis, Altersstruktur und Geschlechterverteilung, Vitalität, Mobilität und Genetik. Daran knüpfte sie an – und fügte dem Fundus an Daten ihre Forschungsfrage hinzu: “Wie wirkt sich der Klimawandel auf eine Reptiliengemeinschaft im ariden Australien aus?”
Die Antwort erarbeitete sie sich mithilfe nachtaktiver, baumbewohnender Geckos und tagaktiver, bodenbewohnender Skinke: An steigende Temperaturen als solche können sich beide anpassen, indem sie gezielt wärmere oder kältere Orte aufsuchen, um ihre Körpertemperatur zu regulieren. Was hingegen gleichermaßen kritisch werden kann, wäre der Mangel an Wasser. Der würde sich bei den Geckos negativ auf Kondition und Wachstum der Individuen sowie ungünstig auf Größe und Überlebensrate der Population auswirken. Für Skinke würde sich die Struktur der Pflanzen derart verändern, dass Lebensraum und auch Nahrung verloren gingen.
Dieses Wissen um den Faktor Wasser möchte Annegret Grimm-Seyfarth an die australischen Partner zurückgeben, ohne deren Unterstützung – und sei es ein Besuch und ein Kaffee auf der Forschungsstation “Schaffarm” – das Langzeit-Monitoring kaum denkbar wäre. Wasser kommt im Kinchega National Park über das komplexe System der El Niño Southern Oscillation, die die Region mit Niederschlag speist, so dass temporäre Flüsse und Flussarme Wasser führen und sich das Outback mit Tieren und Pflanzen belebt. “Dieses System ist mindestens genauso viel wert wie lokaler Regen”, betont Grimm-Seyfarth. Doch angesichts sinkenden Grundwassers, das von Farmen und Städten benötigt und verbraucht wird, werden Flüsse, auch temporäre, zunehmend angezapft. Dieses lokale Wasser jedoch stehen zu lassen, weil sonst nicht nur die Reptilien, sondern auch Känguru, Emu und Keilschwanzadler verschwinden, diese natürliche Dynamik nicht zu brechen, ist die “einzig wirkliche Empfehlung an die Verantwortlichen in den National Parks vor Ort”.
Das Dokumentieren der naturschutzfachlichen Empfehlung überschneidet sich inzwischen mit dem neuen Forschungsgegenstand der 31-jährigen Biologin: Amphibien. Hierzulande weiter zu Reptilien zu forschen, sei “mäßig prickelnd”. Wechselwarm wie Reptilien sind hingegen Kröten, Frösche, Unken, Salamander und Molche ein “großes Thema”.
Der Anfang ist wie immer kleinteilige Feldarbeit: Direkt vor der Haustür in der Leipziger Auenlandschaft sucht sie nach der größten heimischen Molchart, den Kammmolchen. Sie sind durch die FFH-Richtlinie europaweit und nach Bundesnaturschutzgesetz “streng geschützt” und werden in der Roten Liste der Wirbeltiere Sachsens als “gefährdet” eigenstuft. Seit Jahren nimmt man ihre Bestände als rückläufig an, die konkreten Ursachen hierfür sind noch unklar.
Auch über ihre Laichhabitate und ihre terrestrischen Lebensphasen in Sommer und Winter ist wenig bekannt, so wenig, dass sich die aufwendige Suche lohnt. Und bei der hat sie – im Unterschied zum Kinchega National Park, wo sie mit Bodenfallen, Taschenlampe und Angelrute arbeitete – Gesellschaft. Zammy streift mit ihr umher, um die erste Frage zu beantworten: Gibt es Kammmolche in den Teichen und Gewässern entlang der Luppe, dem kleinen, aber wichtigen Fluss im Leipziger Auensystem? An dieser Stelle schließt sich der Kreis: Wieder geht es um physiologische Merkmale, thermische Regulation, Vegetation und eine räumliche Vorstellung, wo sich wie viele Tiere zu welcher Jahreszeit aufhalten.
Zammy weiß, was von ihm an dieser Stelle erwartet wird: Hinlaufen, Finden, Anstarren. Hat der dreijährige Border Collie dies bewältigt, gibt es eine Belohnung. “Geruch und Emotion sind beim Hund extrem nah verknüpft”, erklärt Annegret Grimm-Seyfarth. Über drei Monate hinweg hat sie mit Abstrichen seinen Spürsinn darauf trainiert, Kammmolche und ihre Verstecke an Land aufzuspüren. Im Unterschied zu anderen Ländern ist das Monitoring mit Hunden in Deutschland kaum verbreitet.
Für die Biologin ist das eine “Challenge accepted”-Situation: mit Zammy und einem weiteren Hund, der wiederum die Losung von Fischottern gut riechen kann, trainieren, mit beiden für Projekte in Sachsen, Polen und der Schweiz unterwegs sein, den Verein “Wildlife Detection Dogs e.V.” bekannt machen – und Fördergelder einwerben. Dass dies gelingt, braucht es Hunde und Menschen, die dynamisch und ausdauernd und zugleich aufmerksam gegenüber anderen sind. Für “Couch-Potatoes” ist das nichts.
Dr. Annegret Grimm-Seyfarth ist seit 2019 Postdoktorandin im Department Naturschutzforschung am UFZ in Leipzig. Auch die wissenschaftlichen Stationen zuvor – Bachelor 2010, Master 2012 an der Universität Leipzig und Promotion 2018 an der Universität Potsdam – waren eng mit dem UFZ verbunden. Parallel war sie von 2012 bis 2017 Gastwissenschaftlerin an der Universität Canberra (Australien).
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