Demokratische Strukturen in der DDR einzuführen, war eine Kernforderung der Montagsdemonstranten im Herbst 1989. Mit der Zulassung des Neuen Forums erfüllte sich diese. Zehn Tage später, am 18. November 1989, veranstaltete die Gruppe vor dem ehemaligen Reichsgericht, dem heutigen Simsonplatz, die erste genehmigte Protestkundgebung in Leipzig.
Bei der Veranstaltung am Montag, den 18. November 2019, in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ werden Zeitzeugen über die Bedeutung dieser Kundgebung und die von den verschiedenen Rednern angesprochenen Probleme sowie deren Lösungsvorschläge sprechen.
Eintritt frei.
Aus Anlass des 30. Jahrestages der Friedlichen Revolution lädt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. zu einer Gesprächsreihe mit Zeitzeugen ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren – Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ stehen herausragende Ereignisse des politischen Protestes in Leipzig, die zur Friedlichen Revolution, zum Sturz der SED-Diktatur und zu einem demokratischen Neuanfang führten.
Ebenso wie der Beginn der Weimarer Republik 1919 und die Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 in der Bundesrepublik ist die Friedliche Revolution von 1989 ein zentrales Datum der Demokratiegeschichte in Deutschland, dem wir uns wieder stärker bewusst werden sollten. Die mit ihr wiedererrungenen Werte – Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – sind heute für ein gemeinsames Zusammenleben in Europa grundlegend und unveräußerlich.
Rückblick auf die bisherige Veranstaltungsreihe seit Januar
Die Friedliche Revolution 1989 begann in Leipzig nicht erst im Herbst. Bereits seit Januar 1989 kam es zu Aktionen des politischen Protests und des demokratischen Aufbruchs in Leipzig. So fand am 15. Januar 1989 die erste ungenehmigte Demonstration für demokratische Grundrechte statt, an der sich etwa 500 Bürger beteiligten und von denen 53 Personen festgenommen worden sind.
Bei der Protestaktion am 13. März 1989 skandierten mehr als 500 DDR-Bürger, vorwiegend Ausreisewillige, nach einem Friedensgebet in der Nikolaikirche: „Wir wollen raus!“. Wegen der zur Messe anwesenden westlichen Journalisten griffen die Sicherheitskräfte nicht ein.
Die Situation wurde durch die gefälschte Kommunalwahl am 7. Mai 1989 verschärft. Oppositionsgruppen wiesen hier durch eine organisierte Kontrolle der öffentlichen Stimmenauszählung erstmals den regelmäßigen Wahlbetrug der SED nach. Es folgte am 4. Juni 1989 eine Protestaktion gegen die Umweltzerstörung in der DDR mit einem Pleißepilgerweg und am 10. Juni 1989 kam es zu einem verbotenen Straßenmusikfestival „Für die Freiheit der Kunst“.
Höhepunkt war der Kirchentag mit dem Statt-Kirchentag am 9. Juli 1989, an dem etwa 2.500 Personen aus der ganzen DDR teilnahmen, zumeist Oppositionelle, um sich über die aktuelle Lage sowie zukünftige Konzepte und Aktionen auszutauschen.
Nach der Sommerpause kam es ab dem 4. September 1989 wieder regelmäßig im Anschluss an das Friedensgebet zu Demonstrationen und anderen Aktionen für die Genehmigung der ständigen Ausreise in die Bundesrepublik. Bei der Demonstration am 4. September 1989 war erstmals auch der Ruf „Wir bleiben hier!“ zu hören.
Bei der Demonstration am 25. September 1989 beteiligten sich bereits über 5.000 Menschen. Erstmals liefen sie über den Ring, bis zur damaligen Fußgängerbrücke am Brühl. Bereits am 2. Oktober 1989 fand das Friedensgebet erstmals neben der Nikolaikirche auch in der Reformierten Kirche statt. Im Anschluss demonstrierten rund 20.000 Menschen friedlich auf dem Ring. Dabei kam es erstmals zum Einsatz von Spezialeinheiten in Sonderausrüstung mit Helm, Schild und Schlagstock sowie mit Hunden. Es war ein in der Stadt Leipzig bis dahin nie gesehener Anblick.
Fortan nahm die Polizeigewalt stetig zu, so auch bei den Protesten am 7. Oktober 1989, als die DDR ihren 40. und letzten Jahrestag feierte. Am 9. Oktober 1989 kam es zur entscheidenden Montagsdemonstration. Trotz großer Ängste demonstrierten weit über 70.000 Bürger mit den Losungen „Keine Gewalt“ und „Wir sind das Volk“ gegen das Regime. Angesichts dieser Massen zogen sich bereitstehende Sicherheitskräfte zurück. Der friedliche Verlauf des Abends wurde als Sieg über das Regime empfunden.
Von nun an ergriffen Proteste das ganze Land. Am 6. November 1989 kam es zur gewaltigsten Montagsdemonstration mit bis zu 500.000 Teilnehmern. Zwei Tage später, am 8. November 1989, ließ die SED das Neue Forum als erste neue Oppositionsgruppen zu und erfüllte damit eine Kernforderung der Demonstranten. Schon für den nächsten Tag, hatte das Neue Forum zu einem Schweigemarsch zum Gedenken an den 51. Jahrestag der Pogromnacht am 9. November 1938 eingeladen, zu dem mehrere Tausend Menschen schweigend mit Kerzen von der Nikolaikirche zum Gedenkstein für die zerstörte Leipziger Zentralsynagoge teilnahmen.
18. November 1989 – Erste genehmigte Kundgebung des „Neuen Forums“
Das Neue Forum war am 10. September 1989 mit der Erklärung „Aufbruch 89“ an die Öffentlichkeit getreten. Mitunterzeichner dieser DDR-weiten Initiative war auch der damalige Medizinstudent Michael Arnold. Am 13. September 1989 rief er in einem Anschlag an der Informationstafel in der Nikolaikirche zum Aufbau des Neuen Forums in Leipzig auf. Zugleich verbreitete die nach den Inhaftierungen am 11. September 1989 gebildete Kontaktgruppe für die Fürbittgebete bei ihren Veranstaltungen die Informationen über das Neue Forum (NF), so dass sich schon bald eine Eigendynamik entwickelte.
So meldeten am 19. September 1989 drei Leipziger Bürgerrechtler das Neue Forum für den Bezirk Leipzig an. Ihnen wurde am 25. September erklärt, dass das Neue Forum „feindlich“ und deshalb verboten sei. Am Abend riefen die Demonstranten u.a.: „Neues Forum zulassen“. Dieser Ruf der Montagsdemonstranten stand für die Kernforderung, demokratische Strukturen in der DDR einzuführen.
Eine erste öffentliche Veranstaltung organisierten die Leipziger Begründer des Neuen Forums am 8. Oktober 1989 in der Michaelisgemeinde. Zu gleicher Zeit sammelte die Stasi die Namen der Unterstützer, um sie bei Auflösung des Ausnahmezustandes „isolieren“ zu können. An den Demonstrationen nahmen stets „Delegierte“ des NF teil. Erstmals hielten sie am 23. Oktober 1989 mit einem Megaphon auch öffentliche Reden („Hier spricht das Neue Forum“). Zur gleichen Zeit bezog das NF ein Abrisshaus und begann mit der Herausgabe eines eigenen Informationsblattes.
Am 8. November 1989 musste sich die SED dem Druck der Straße beugen und legalisierte das Neue Forum. Wenig später folgten der Demokratische Aufbruch, Demokratie Jetzt, die Sozialdemokratische Partei und viele andere. Damit stand dem Blockparteiensystem der SED erstmals eine rechtmäßige Opposition gegenüber.
Bereits am 18. November 1989 veranstaltete das Neue Forum auf dem Platz vor dem ehemaligen Reichsgericht, dem heutigen Simsonplatz, die erste genehmigte Protestkundgebung in Leipzig. Weit über 10.000 Personen aus verschiedenen Bezirken folgten dem Aufruf. Mehrere Redner forderten weitreichende Reformen, einige die Kontrolle oder gar Auflösung der Staatssicherheit.
Der Machtanspruch der SED wurde von allen Rednern angegriffen. Die Kundgebung dauerte über drei Stunden – bei Sonnenschein, aber eisiger Kälte harrten die Teilnehmer aus. Die Veranstaltung war bewusst als offenes Forum organisiert. Redner aus verschiedenen politischen Richtungen waren geladen.
An den beiden folgenden Montagen zogen wieder jeweils 200.000 Demonstranten um den Ring, um deutlich zu machen, dass der Prozess der Erneuerung gerade erst begonnen hat und keinesfalls abgeschlossen ist. Losungen wie „SED und Stasi lacht. Volk durch Visa besoffen gemacht“ gaben der Führung zu verstehen, dass sie die schwächere Beteiligung keinesfalls als Festigung ihrer Macht auslegen durfte.
Zeitzeugen erzählen
Bei der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren: Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ werden die jeweiligen Ereignisse aus dem Jahr 1989 und deren Hintergründe zunächst in einem einführenden Vortrag durch Tobias Hollitzer, Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, beleuchtet.
Im Anschluss kommen unter der Moderation von Reinhard Bohse vom Bürgerkomitee Leipzig e.V. Zeitzeugen wie Edgar Dusdal, damals einer der Sprecher des Leipziger Neuen Forums und Jörg Hannes, damals im Bereich Umweltschutz engagiert über das damalige Geschehen, aber auch über dessen Bedeutung für die heutige Gesellschaft miteinander und mit dem Publikum ins Gespräch.
Veranstaltungsort: ehem. Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ (Nachbareingang, Goerdelerring 20). Eintritt frei.
Der nächste Termin der Reihe ist der 4. Dezember 2019, bei dem der 30. Jahrestag der Besetzung der Leipziger Stasi-Bezirksverwaltung sowie der 30. Jahrestag der Gründung des Bürgerkomitee Leipzig e.V. thematisiert werden.
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