Sachsens Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident Martin Dulig besucht bis Donnerstag die europäischen „digitalen Vorreiter“ Finnland und Estland. Zum Auftakt seiner Reise hat er sich heute in der zweitgrößten finnischen Stadt Espoo, welche direkt an Helsinki grenzt, über das Innovationsgeschehen in der dortigen Hauptstadtregion informiert.
In Forschung und Entwicklung, Innovation, Technologie und Wettbewerbsfähigkeit zählt Finnland zu den weltweit führenden Staaten – und, laut offizieller Statistik, zählt das Nordland zu den drittglücklichsten Ländern der Welt. Für Innovationen sorgen vor allem eine hervorragende Infrastruktur in der Informations- und Kommunikationstechnik, eine hohe Forschungskompetenz und eine effiziente Innovationslandschaft. Fast 50 Prozent der Bevölkerung des 5,6 Millionen Einwohner zählenden Landes – mit einer Flächegröße etwa von Deutschland – leben konzentriert im Süden.
Espoo hat sich einen Namen als größtes Innovations-Hub in Nordeuropa gemacht. Der „Espoo Innovation Garden“ vernetzt das Wissen der renommierten Aalto-Universität mit den Ideen von Start-ups und der Markterfahrung führender Unternehmen: Über die drei Stadtteile Otaniemi, Keilaniemi and Tapiola sind etwa 5.000 Wissenschaftler, 25 Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, 16.000 Studenten sowie zahlreiche finnische und international agierende Unternehmen (Nokia, Fortum, Kone, Lumene, Neste Oyj, Rovio, Valmet) verteilt.
Menschen aus 100 Nationen arbeiten dort – 52 Prozent der Einwohner über 25 Jahren verfügen über einen Hochschulabschluss. Jeder Bewohner kann sich mit eigenen Ideen in das Netzwerk „Innovation Garden“ einbringen. Die Stadt Espoo investiert aktiv in die bereits hoch entwickelte Transport-, Logistik- und Kommunikationsinfrastruktur.
Wirtschaftsminister Martin Dulig: „Wir wollen wissen: warum ist Finnland so innovativ, was macht das Land anders – trotz großer wirtschaftlicher Krisen noch vor wenigen Jahren. Wir sind also neugierig auf dieser Reise. Und diese Neugier wurde heute zu einem großen Teil schon befriedigt. Das Spannende ist: Finnland vertraut seinen Menschen, seinen Studierenden. Man geht mit einer großen Offenheit an viele Themen. Das ist eine ganz andere Mentalität hier – man kann und darf auch scheitern, Fehler machen. Start-ups, Unis und Forschungseinrichtungen geben ihren Studenten viel breitere Räume, da wird weniger vorgeschrieben, was man machen soll – man vertraut den Besten, dass sie kreativ sind, Ideen und Lösungen finden. Wir haben auf beiden Seiten festgestellt, dass wir an ganz vielen Themen – von Künstlicher Intelligenz über 3D-Druck bis hin zum Autonomen Fahren und dem Funktionieren der digitalen Stadt – parallel forschen. Künftig wollen wir enger zusammen- und gemeinsam an der Zukunft arbeiten.“
Bei einem Campus-Rundgang hat sich Minister Dulig über die Forschungsschwerpunkte der Aalto-Universität informiert. Dabei wurde er u.a. von Vertretern der HTWK Leipzig, der Hochschule Mittweida und des HighTech Startbahn Netzwerk e.V. (Dresden) begleitet. Die Aalto-Uni ist eine multidisziplinäre Gemeinschaft, in der Wissenschaft und Kunst auf Technologie und Wirtschaft treffen. Sie verfügt über erstklassige Forschungseinrichtungen für Mikro- und Nanotechnologie sowie Bioökonomie. Weitere Bereiche sind Computerforschung, Radioastronomie und Weltraumforschung.
Die „Design Factory“ der Aalto-Universität bringt über Projektarbeiten in den Bereichen „Produktentwicklung“ und „Design“ Studierende mit Unternehmen zusammen; im Auftrag der Wirtschaft werden innovative Produkte entwickelt. Die „Urban Mill“ ist ein Treffpunkt für die Entwicklung von Lösungen für das städtische Leben.
In Inkubatoren wie der „A-Grid Community“ können junge Gründer ihre innovativen Ideen zur Marktreife bringen. A-Grid beherbergt über 100 Start-ups sowie Acceleratoren (Start-up-Förderer) wie die Europäische Weltraumorganisation ESA. Die dortige Start-Up-Gemeinschaft gehört zu den größten Gründerzentren in Europa. Sie ist sehr gut international vernetzt und kann auf beste wissenschaftliche und wirtschaftliche Ressourcen zugreifen.
Dulig: „Finnland ist nicht besser aufgestellt als Sachsen bei seiner Forschungsförderung – nur anders. Während bei uns die Forschung über viele Städte und Universitäten verteilt ist, wird hier konzentriert im Großraum Helsinki geforscht – das eröffnet ganz andere Synergien und Möglichkeiten. Spannend war auch, wie fachübergreifend hier Designer, Betriebswirtschaftler und Techniker in selbst gestalteten Centern, wie der Start-Up-Sauna, zusammenarbeiten. Dabei entsteht ein fachübergreifendes Verständnis. In Sachsen arbeiten wir an ähnlichen Ideen, etwa mit dem Kultur- und Kreativwirtschaftszentrum.“
Im VTT Technical Research Centre of Finland erhielt Martin Dulig einen Überblick über die aktuellsten Forschungs- und Entwicklungsergebnisse des Institutes in den Bereichen E-Mobilität, Autonomes Fahren und Smart City. Das Referat „Digitale Stadt“ der Stadt Leipzig präsentierte den finnischen Forschern seine Smart-City-Projekte. Anschließend besichtigte Dulig das VTT-Reinraumlabor, welches z. B. das Unternehmen Picosun Oy bei der Materialprüfung nutzt. Picosun ist im Bereich Dünnschicht-Beschichtung für die Halbleiterindustrie tätig und hat eine Niederlassung in Dresden.
Am Nachmittag hat sich der sächsische Wirtschaftsminister in Helsinki mit Petri Peltonen, dem Unterstaatssekretär für Innovationspolitik, zum Erfahrungsaustausch im Ministerium für Wirtschaft- und Beschäftigungspolitik getroffen.
„Wir haben über die wichtigen Themen unserer Zeit gesprochen, die unsere beiden Länder tangieren – den Wandel der Arbeitswelt durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Wir waren uns einig, dass der beste Weg, um Ängste vor der Zukunft zu vermeiden, Bildung ist. Nur gemeinsam innerhalb Europas kann und wird es uns gelingen, die Themen erfolgreich anzugehen: Weder Sachsen, Deutschland oder Finnland allein kann sich gegen den Staatskapitalismus in China oder die aggressive Handelspolitik der USA stellen. Aber gemeinsam können wir die Technologien entwickeln, die in Zukunft unser Leben verbessern werden – ohne uns abhängig von anderen zu machen“, bilanzierte Dulig im Anschluss.
„Spannend: Die beliebteste Behörde in Finnland ist das Finanzamt! Denn die Menschen müssen für ihre Steuererklärung keine Formulare mehr ausfüllen. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erhält jeder Bürger eine vorgefertigte Erklärung, die er bei Bedarf maximal noch um ein paar wenige Ergänzungen vervollständigen muss. Das finnische Steuerrecht musste dafür nicht einmal vereinfacht werden.“
Morgen reist die sächsische Delegation nach weiteren Terminen in Helsinki am Nachmittag in die estnische Hauptstadt Tallinn. Das baltische Land gilt als Pionier bei der Digitalisierung seiner Verwaltung. Mit ihrer digitalen ID-Karte können die Bürger alle Behördengänge online erledigen. Freier Internetzugang ist im Verfassungsrecht verankert. Trotz oder gerade dank dieser Entwicklungen liegt Estland international auf Platz fünf bei der Cybersicherheit, in Europa ist es sogar Platz eins.
Estland punktet auch beim Thema effiziente und nachhaltige Verkehrspolitik. Zur Verbesserung des Verkehrsflusses und der Luftqualität wurde in Tallinn erfolgreich der kostenlose Nahverkehr für Einwohner eingeführt. Und auch durch den Aufbau einer der europaweit größten Schnellladeinfrastrukturen für E-Autos unterstützt die estnische Regierung nachhaltige und umweltschonende Verkehrslösungen.
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