Fast 40 Jahre überwachten, verfolgten und denunzierten die Mitarbeiter der Leipziger Stasi-Zentrale die Bewohner der Stadt. Am 4. Dezember 1989 konnte deren Tätigkeit mit der Besetzung der Bezirksverwaltung gestoppt werden. Damit war eine zentrale Stütze der SED-Diktatur demontiert und ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einem demokratischen Rechtsstaat gegangen.
Über den weiteren Umgang mit der Stasi, den ehemaligen Mitarbeitern und den Prozess der Aufarbeitung ist eine Debatte entstanden, die seit der Friedlichen Revolution wenig an Aktualität und Brisanz verloren hat.
Am 4. Dezember 2018 erinnert das Bürgerkomitee Leipzig e.V. an die Besetzung der Leipziger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit und damit auch an seine Gründung. Mit der Besetzung am 4. Dezember 1989 erfüllte sich für die Bürger ein lang gehegter Traum: Die Zerschlagung von Mielkes „Ministerium der Angst“. Die „Runde Ecke“ war in Leipzig das Synonym für die zerstörerische Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Die Stasi sah sich als „Schild und Schwert der Partei“, der SED, die ihren Führungsanspruch sogar in der Verfassung der DDR festgeschrieben hatte.
Doch wie ging es nach der Friedlichen Revolution 1989 mit der Stasi weiter? Der Regisseur Jan N. Lorenzen erzählt in seiner Dokumentation „Was wurde aus der Stasi?“ von den Ängsten der Gesellschaft, die Stasi würde als Geheimorganisation weiterbestehen, sowie von der Angst der MfS-Mitarbeiter vor Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit und deren Strategien, sich mit der neuen demokratischen Gesellschaftsordnung zu arrangieren.
Zugleich ist es ein Film über die Vergangenheit der Stasi und den Umgang mit den Tätern. Wann sind ihre Taten verbüßt oder gesühnt? Gibt es Stasi-Mitarbeiter, die heute Einsicht und Bedauern äußern oder sind es nur Leugner und Verharmloser?
Veranstaltung zum Jahrestag der Stasi-Besetzung in der „Runden Ecke“
Über eine der wichtigsten Debatten aus der Zeit der Friedlichen Revolution, die bis heute wenig an Aktualität eingebüßt hat, spricht nach der Vorführung der 45-minütigen Dokumentation „Was wurde aus der Stasi?“ Regisseur Jan. N. Lorenzen mit Zeitzeugen und Protagonisten des Films. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage, welche Erwartungen die Opfer an die Auseinandersetzung und den Prozess der Aufarbeitung haben und wie dies gelingen kann ohne zu einem Instrument der Täter zu werden, sich von ihrem individuellem Versagen oder von ihrer Schuld reinzuwaschen.
Im anschließenden Podiumsgespräch diskutiert Regisseur Jan N. Lorenzen mit dem Protagonisten, Zeitzeugen und Pfarrer i.R. Michael Turek sowie dem Bürgerrechtler und ehemaligen Beauftragten für die Stasi-Unterlagen Sachsen Michael Beleites unter Moderation von Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer.
Erinnerungen an Ängste der Gesellschaft und den dennoch friedlichen Umgang mit der Stasi 1989
Jeder von ihnen machte seine eigenen Erfahrungen mit der Stasi. Gerade Anfang der 1990er Jahre versuchten ehemalige Stasi-Mitarbeiter Bürgerrechtler davon abzuhalten, in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit zu lesen. Sie sollten das Ausmaß der Repressionen nicht erfahren. Drohbriefe, anonyme Anrufe zu allen Tages- und Nachtzeiten oder Wohnungseinbrüche durch Unbekannte waren keine Seltenheit, wovon unter anderem Pfarrer Turek berichten kann.
Das zentrale Anliegen jener Bürgerrechtler, die friedlich die Stasi-Bezirksverwaltungen besetzt hatten, wie beispielsweise Michael Beleites in Gera, war das Stoppen der Aktenvernichtung. Erst die Sicherung der Akten und die dadurch ermöglichte Aufklärung über die Funktionsweise der SED-Diktatur ließ auch eine Aufarbeitung der Geschichte zu. Da die Besetzung friedlich blieb, wurde auch ein reflektierter Umgang mit den Trägern der Diktatur möglich, was jedoch oft auch ungenutzt blieb oder die Beteiligten persönlich überforderte.
Der Ruf „Keine Gewalt“ war gerade an der „Runden Ecke“ so relevant, wie an keinem anderen Ort der Montagsdemonstrationen in Leipzig. Der Zorn der Menschen auf die Stasi war immens und doch gelang es auch in einer derart aufgeladenen Umbruchsituation die Konflikte gewaltfrei auszutragen. Die Friedlichkeit der Besetzung sowie der Umgang mit den Trägern der Diktatur ist eine Erfahrung, aus der wir für die heutigen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner oder für das Ringen um die künftige Entwicklung unserer Gesellschaft lernen sollten.
Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei. Veranstaltungsort: ehem. Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“.
Blick hinter die Kulissen der ehem. Stasi-Zentrale um 16.00 Uhr möglich
Um den Besuchern das gewaltige Ausmaß des einst einschüchternden Ortes der Diktatur ausführlicher zu vermitteln, bietet die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ zudem am Dienstag, den 4. Dezember 2018, bereits um 16.00 Uhr den besonderen Haus- und Geländerundgang „Stasi intern“ an. Dabei können Besucher sonst nicht zugängliche Räume – abseits der Ausstellungsräume – sehen und die Dimension des Gebäudes und die historischen Ereignisse am Ort besser miteinander verknüpfen.
Bei dem Rundgang wird auch über die mögliche Entwicklung des Areals gesprochen, das zu einem „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ weiterentwickelt werden soll. Treffpunkt: Vorraum der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“. Teilnahme am Rundgang kostenpflichtig, Teilnehmerzahl begrenzt.
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