Die Autoren des Buches „Lob der Revolution. Die Geburt der deutschen Demokratie“ Lars-Broder Keil und Sven Felix Kellerhoff fordern Lob statt Verachtung für die fast vergessene Revolution vor 100 Jahren. Wie die Friedliche Revolution von 1989/90 gehöre die Novemberrevolution zu einem der bedeutendsten Ereignisse der deutschen Demokratiegeschichte.
In dem Buch schildern sie anschaulich und aus der Perspektive der Akteure die revolutionären Umtriebe zwischen Herbst 1918 und Herbst 1919, als die deutsche Gesellschaft in Aufruhr war, weil sie nach dem Desaster des Weltkriegs die ihr angemessene politische Ordnung suchte. Die Buchpräsentation mit Autoren-Gespräch findet am Mittwoch, den 24. Oktober 2018, um 18.30 Uhr im ehemaligen Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ statt. Der Eintritt ist frei.
„Nichts ist so hartnäckig wie ein schlechter Ruf“, heißt es eingangs im Buch. Doch genau damit wollen die Autoren Lars-Broder Keil und Sven Felix Kellerhoff aufräumen. Sie wollen einen Perspektivwechsel schaffen. „In Wirklichkeit handelt es sich bei der Revolution von 1918/19 um den wohl am meisten unterschätzten Erfolg der jüngeren deutschen Geschichte.
Natürlich ist sie nicht unblutig abgelaufen wie der friedliche Aufstand der Menschen in der DDR, der 1989/90 zum Sturm des SED-Regimes geführt hat. Aber gemessen an den Verhältnissen der Zeit ist erstaunlich, wie gewaltarm der Umsturz vor 100 Jahren die jahrhundertealte Herrschaft der deutschen Monarchie hinweggefegt hat.“
Historischer Hintergrund
Die Novemberrevolution vor 100 Jahren fand ihren Ursprung in der Endphase des Ersten Weltkrieges – dem bis dahin schlimmsten Krieg. Aus einem Aufstand von Matrosen entwickelte sich ein flächendeckender Protest, der schließlich zum Sturz der Monarchie im Deutschen Reich und zugleich zur Gründung der Weimarer Republik führte. Denn in der Folge des Matrosenaufstandes bildeten sich im ganzen Land Soldaten- und Arbeiterräte, woraufhin alle Monarchen und schließlich auch Kaiser Wilhelm II. abdankten.
Am 9. November 1918 verkündete Philipp Scheidemann, Vorstandsmitglied der SPD, in Berlin das Ende des Kaiserreichs und rief die Republik aus. Zwei Tage später wurden die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges mit dem Waffenstillstandsabkommen vom Compiégne eingestellt. Scheidemann wurde im Folgejahr zum ersten Reichskanzler der ersten demokratisch gewählten Regierung in Deutschland gewählt. Formell beendet war die Revolution am 11. August 1919, als die Weimarer Verfassung verabschiedet wurde.
Aufräumen mit dem schlechten Ruf der Revolution, die den Beginn eines demokratischen Deutschlands markiert
Der Ausgang der Weimarer Republik jedoch, der mit der Katastrophe des „Dritten Reichs“ endete, habe zum schlechten Ruf der Novemberrevolution geführt, so die Autoren. Die Revolution sei für die damaligen Verhältnisse jedoch ein Fortschritt gewesen: Ähnlich wie sich 1989/90 Bürgerkomitees und Runde Tische bildeten, organisierten sich die Menschen nach dem Ersten Weltkrieg in sogenannten Räten. Dies ermöglichte ihnen nach langer Zeit, endlich selbst Verantwortung zu übernehmen und politische Erfahrungen zu sammeln, denn bis dahin sei das eine unbekannte Form der direkten Selbstverwaltung gewesen.
Auch die zeitgenössische Auseinandersetzung um die Zukunft Deutschlands als sozialistische Räterepublik nach sowjetischem Vorbild, wie sie der Spartakusbund um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg forderte, oder als parlamentarische Demokratie wird im Buch eindrücklich nachgezeichnet. Während Luxemburg und Liebknecht die Wahl einer Nationalversammlung als „Konterrevolution“ diffamierten, sagte der SPD-Politiker Max Cohen-Reuß: „Es wird nicht mehr Sozialismus durchführbar sein, als die Mehrheit des Volkes will.“
Schlussendlich beschloss der Reichsrätekongress im Dezember 1918, schon einen Monat später am 19. Januar 1919 eine Nationalversammlung zu wählen, die dann auch die Weimarer Verfassung verabschiedete. So kann die Revolution nicht als steckengeblieben oder misslungen bezeichnet werden, denn sie führte zur ersten Republik, zur hochmodernen, demokratischen Weimarer Verfassung und zu den ersten allgemeinen, freien und geheimen Wahlen auf deutschem Boden.
Die Autoren sehen die Revolution von 1918/19 daher in einer Reihe der bedeutenden Ereignisse deutscher Demokratiegeschichte. Auch wenden sie sich an die heutige SPD, die sich der Leistung ihrer Mitglieder und Parteiführer von vor einem Jahrhundert stärker bewusst werden sollte, statt dieses Erbe weitgehend zu verleugnen. Alexander Gallus habe bereits einmal kritisiert, dass sich die Sozialdemokratie lieber dafür schäme, „der Demokratie einen Vorrang vor dem Ziel des Sozialismus“ beigemessen zu haben, anstatt den Umsturz am Ende des Ersten Weltkrieges angemessen zu würdigen, heißt es im Buch.
Die demokratische Revolution von 1918/19 zeige zudem – und das ist nach wie vor aktuell –, dass Populismus und der Glaube an schlichte Heilsversprechen, immer wieder große Sorgen bereiten und die Demokratie deshalb auch ein Jahrhundert später keineswegs als selbstverständlich zu betrachten ist, weil sie ständig gefährdet ist.
Blick auf die Akteure und ihre Handlungsspielräume
Um mit den nachträglich fast immer in die eine oder andere Richtung politisch gefärbten Interpretationen der Revolution von 1918/19 aufzuräumen und um die tatsächlichen Abläufe rekonstruieren zu können, haben die Autoren Lars-Broder Keil und Sven Felix Kellerhoff ihr Buch überwiegend auf Zeugnisse von Zeitgenossen gestützt. Die zeitgenössischen Berichte aus der Umbruchzeit ermöglichten einen Blick auf die Akteure und ihre Handlungsspielräume.
Dazu nutzten die Autoren Protokolle, Briefe, Tagebücher und Zeitungsartikel aus den entscheidenden Monaten von Ende September 1918 bis Ende November 1919 sowie Memoiren und andere rückblickende Berichte, die Augenzeugen später verfassten. Aus dieser unmittelbaren Perspektive lässt sich erkennen, welche Probleme die führenden Köpfe gesehen haben und warum sie deshalb so handelten, wie sie schließlich handelten, beispielsweise ob sie drohende Gefahren auch tatsächlich als realistisch angesehen haben.
Um die gesellschaftliche Realität in der Umbruchzeit in seiner Gänze zu erfassen, führen Sven Felix Kellerhoff und Lars-Broder Keil an verschiedene Schauplätze. Neben der Reichshauptstadt Berlin oder München, wo die bekannteste Räterepublik herrschte, richten sie ihren Blick nach Bremen, Braunschweig, Leipzig und ins Ruhrgebiet. Kiel spielt ebenso eine Rolle, denn dort nahm der Umsturz seinen Ausgang. Für die Provinzregionen betrachteten sie stellvertretend Baden, Württemberg und Ostpreußen.
Über die Autoren
Sven Felix Kellerhoff, geb. 1971, war als Journalist tätig für die Berliner Zeitung, die Badische Zeitung und den Bayerischen Rundfunk. Seit 1997 ist er bei der WELT; seit 2003 dort als Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte, seit 2012 zusätzlich Leiter des History Channel WELTGeschichte. Seit 2002 erschienen von ihm 24 Sachbücher, vier davon zusammen mit Lars-Broder Keil. Jüngste Veröffentlichungen: „Mein Kampf. Die Karriere eines deutschen Buches” (2015) sowie „Die NSDAP. Eine Partei und ihre Mitglieder” (2017).
Lars-Broder Keil, geb. 1963, ist als Journalist für die Freie Welt, Die Zeit und die Welt am Sonntag tätig, seit 2001 als Redakteur im Ressort Innenpolitik der WELT mit Schwerpunkt Zeitgeschichte und historische Serien. Daneben ist er Buchautor, vorwiegend für zeithistorische Themen. Letzte Veröffentlichungen: „Fake News machen Geschichte. Gerüchte und Falschmeldungen im 20. und 21. Jahrhundert”, Berlin 2017 (zus. mit S. F. Kellerhoff) und „Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer”, München 2013 (zus. mit Antje Vollmer).
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