Warme, feuchte Luftmassen aus niedrigeren Breiten sind die zentrale Energiequelle der arktischen Atmosphäre im Winter. Sie haben einen erheblichen Einfluss auf die Bodentemperaturen und können zum Schmelzen von Meereis führen.
Was bei solchen Warmluftvorstößen in der Atmosphäre geschieht und wie sie mit den Kaltluftvorstößen in gemäßigte Breiten zusammenhängen, beschreiben Dr. Felix Pithan vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven sowie Prof. Dr. Manfred Wendisch vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig und weitere Mitautoren jetzt in der Online-Zeitschrift „Nature Geoscience“.
Nach einem sehr warmen und vielerorts auch sehr trockenen Frühjahr und Sommer 2018 gerät der Anfang dieser extremen Witterung leicht in Vergessenheit. Zwar war davor auch der Winter außergewöhnlich mild ausgefallen, aber Ende Februar brachte eisige Luft aus arktischen Breiten die kalte Jahreszeit doch noch nach Mitteleuropa und leitete gleichzeitig einen unterkühlten März ein.
„Bestie aus dem Osten“ wurde dieser Kaltluftvorstoß in Großbritannien genannt, der sehr starke Schneefälle in Schottland und im Südosten Englands und wenig später einen schweren Schneesturm in Irland, Wales und dem Südwesten Englands auslöste. Kurz zuvor waren außergewöhnlich warme Luftmassen bis zur Nordspitze Grönlands geströmt und hatten Island und Spitzbergen im tiefsten Winter mit Temperaturen um plus acht Grad Celsius ähnliche milde Verhältnisse wie gleichzeitig am Mittelmeer beschert.
Normalerweise liegen weite Teile Europas in einem breiten Gürtel, in dem recht kräftige Westwinde feuchte Luft vom Atlantik nach Osten transportieren. Ende Februar 2018 aber blockierte hoch oben in der Atmosphäre zwischen Skandinavien und Spitzbergen im Nordpolarmeer ein Hochdruckgebiet diese normalen Luftströmungen.
Statt von West nach Ost transportierte jetzt dieses Hochdruckgebiet recht warme und feuchte Luft aus südlichen Regionen nach Norden, während sich weiter im Osten eisige Luft vom Nordpolarmeer aus über Skandinavien ihren Weg nach Mittel- und Westeuropa bahnte und am Ende sogar Griechenland, Italien und die Pyrenäen erreichte. „Solche Vorstöße warmer Luft nach Norden und kalter nach Süden kommen im Winter regelmäßig vor, sie beeinflussen Wetter und Klima daher öfter“, erklärt AWI-Forscher Felix Pithan den wissenschaftlichen Hintergrund dieser Ereignisse.
In dieser Zeit steigt die Sonne über dem Nordpolarmeer gar nicht oder nur sehr wenig über den Horizont, von November bis Februar herrscht dort die Dunkelheit der Polarnacht. Über dem Meereis und den schneebedeckten Landmassen kühlt die Luft daher sehr stark aus. Trifft die feuchte und immer noch milde Luft aus dem Süden auf diese an eine Kühltruhe mit vielleicht minus 20 Grad Celsius erinnernden Verhältnisse, kühlt sie ebenfalls ab. Je kälter die Luft wird, umso weniger Feuchtigkeit enthält sie. Bald kondensieren daher winzige Wassertropfen, die in der Luft schweben und Wolken bilden.
Auch wenn das Meereis einem Menschen recht kalt scheint, enthält es doch noch ein wenig Wärme-Energie, die in klaren Polarnächten als Wärmestrahlung in den Weltraum entweicht. Dadurch kühlt der hohe Norden noch weiter ab. Die sich in der milden Strömung aus dem Süden bildenden Wolken blockieren diese Wärmestrahlung. Sie legen sich daher wie eine wärmende Decke über Eis und Schnee im hohen Norden und lassen die Temperaturen am Boden steigen.
In den Wolken am Himmel werden die winzigen Wassertropfen bei fallenden Temperaturen langsam zu Eiskristallen, die ähnlich wie das flüssige Wasser in der Luft schweben. Die noch vorhandenen Wassertröpfchen halten immer noch die Wärmestrahlung vom Boden zurück, auch solche Mischwolken aus Eiskristallen und Wassertropfen liegen also wie eine wärmende Decke über der Arktis. Kühlt die Wolke weiter ab, werden schließlich auch ihre letzten Tröpfchen aus flüssigem Wasser zu Eiskristallen.
Diese Eiswolken aber lassen die immer noch vorhandene Wärmestrahlung vom Boden erheblich besser durch als die Wolken mit wenigen Wassertropfen. Dadurch werden die Wolken noch kälter und die verbliebenen Eiskristalle rieseln als Schnee zu Boden, so dass die Luft trockener wird und die Wolke beginnt, sich aufzulösen.
Auf dem Eis hat der lockere Schnee aus den Wolken noch einen weiteren Effekt: Das flüssige Salzwasser unter dem Eis hat zwar Temperaturen von minus 1,9 Grad Celsius, enthält damit jedoch immer noch ein wenig Wärmeenergie, die durch das Eis nach oben abgestrahlt wird. „Liegt auf dem Eis aber eine lockere Schneedecke, schirmt sie diese restliche Wärmestrahlung praktisch vollständig ab und über dem Schnee kühlt die Luft noch weiter aus“, erklärt Felix Pithan.
Diese inzwischen bitterkalte und sehr trockene Polarluft macht sich schließlich auf den Weg nach Süden und kann dort als Kaltluftvorstoß ankommen, der Mitteleuropa einen eisigen Februarausklang wie im Jahr 2018 bescheren kann. Viel häufiger aber fließen diese arktischen Luftmassen in die Ozeane. Über dem Nordatlantik bilden sich dann Polar-Tiefdruck-Gebiete, die über dem Meer und an der Küste Norwegens heftige Schneestürme auslösen können.
Der Artikel in „Nature Geoscience“ wurde unter wesentlicher Mitarbeit von drei Wissenschaftlern des Sonderforschungsbereichs (SFB) Transregio 172 “Arktische Klimaveränderungen” verfasst, der von der Universität Leipzig koordiniert wird. “Der Artikel beinhaltet einige unserer wesentlichen Ideen, die wir in der zweiten Phase unseres Sonderforschungsbereichs realisieren wollen.
Die Feuchtetransporte in die Arktis triggern zusätzliche Wolkenbildungen, die bisher bei den Abschätzungen zur arktischen Erwärmung nicht adäquat berücksichtigt werden“, erklärt Wendisch. In der laufenden ersten Phase des SFB sei die lokale Wirkung von Wolken ausführlich untersucht worden. „In dem Artikel haben wir nun nachgewiesen, dass wir einen Schritt weitergehen und die zusätzlichen Erwärmungseffekte durch den Transport von feuchten und warmen Luftmassen aus mittleren Breiten in die Arktis in die Abschätzungen zur arktischen Erwärmung mit einbeziehen müssen“, sagt der Leipziger Forscher weiter.
Dazu sollen 2021 Messungen mit dem Forschungsflugzeug HALO (High Altitude and Long Range Research Aircraft) in der Arktis gemacht und die in dem Artikel von den Leipziger Forschern vorgeschlagene neuartige Messstrategie der Verfolgung von Luftmassen anwendet werden. Dies sei nur mit einem hoch- und weitfliegendem Flugzeug wie HALO möglich, so Wendisch.
Originalpublikation in “Nature Geoscience”:
“Role of air-mass transformations in exchange between the Arctic and mid-latitudes” Nature Geoscience (2018). DOI: 10.1038/s41561-018-0234-1
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