Viele Schüler und Studierende schieben Aufgaben vor sich her. Erst die „last minute panic“ verleiht ihnen einen Motivationsschub. Andere wiederum engagieren sich mit vollem Eifer hochmotiviert für ihr Studium und ihre Arbeitsaufgaben, bis sie gefährliche Stress- und Erschöpfungssymptome entwickeln. Juniorprofessorin Dr. Julia Moeller von der Universität Leipzig erforscht seit kurzem die Mischung negativer Gefühle wie Angst oder Stress und positiver Erlebnisse wie Motivation, Interesse und Lernfreude.
Die von der Yale University in New Haven (USA) nach Leipzig gewechselte Wissenschaftlerin analysiert gemischte Gefühle in Lern- und Arbeitskontexten. Sie erfasst dafür die Emotionen und Motivationen in den Momenten, in denen sie erlebt werden, mit Hilfe von Smartphone-Apps. Die Apps senden mehrfach am Tag kurze Befragungen an die Studienteilnehmer und erfassen, was diese gerade tun und wie sie sich dabei fühlen. „Diese Methode, die in der Fachwelt ‚Experience Sampling Method‘ heißt, hilft uns zu verstehen, welche Gefühle in welchen Situationen zusammen erlebt werden“, erklärt Dr. Moeller.
Mit derselben Methode untersuchte sie in ihrer jüngsten Studie die Emotionen von etwa 26.000 US-amerikanischen High-School-Schülern und fand, dass jeder dritte von ihnen gemischte Gefühle – also Kombinationen positiver und negativer Emotionen – für die Schule empfand. Die Studie, die am Yale Center for Emotional Intelligence durchgeführt und gerade in der renommierten Fachzeitschrift „Emotion“ veröffentlicht wurde, zeigt die Netzwerke gemeinsam auftretender Emotionen. In den untersuchten Lernsituationen traten besonders häufig Kombinationen von hohem Stress mit Interesse, Lernfreude und dem Gefühl des Akzeptiertseins auf.
Schüler mit hohen Stresswerten und erhöhter Motivation
In weiteren Studien fanden Juniorprofessorin Moeller und ihre Kolleginnen heraus, dass jeder dritte Schüler in Finnland und jeder vierte Schüler in den USA in Sekundarschulen gleichzeitig moderate bis hohe Stress- und Erschöpfungswerte gemeinsam mit erhöhter Motivation erlebte. Zudem zeigte jeder fünfte Arbeitnehmer in den USA ähnliche Profile von hohem Stress und hoher Motivation, wie Dr. Moeller und ihre Kollegin Dr. Emma Seppälä (Stanford und Yale Universities) in einem gerade veröffentlichten Bericht im Harvard Business Review beschreiben. „Dies zeigt, dass auch hochmotivierte Schüler und Arbeiter Unterstützung benötigen, um eigene Ressourcen zu bewahren und zu erneuern“, erklärt die Wissenschaftlerin. Sowohl Lehrkräfte an Schulen als auch Manager in Unternehmen sollten ihren „Schutzbefohlenen“ dabei helfen, Ressourcen aufzubauen und zu erneuern, um den Anforderungen im Lern- und Arbeitsleben gewachsen zu sein. Die aktuellen Studien der Forscherin deuten darauf hin, dass hohe Anforderungen oft motivierend wirken, gleichzeitig aber auch Stress und Angstgefühle auslösen können. Sie lassen sich vor allem mit gesteigerten persönlichen und aufgabenbezogenen Ressourcen bewältigen.
Neue Studien in Leipzig geplant
Am Institut für Bildungswissenschaften der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät in Leipzig untersuchen Dr. Moeller und die von ihr betreuten Studierenden nun, wie häufig solche Kombinationen von hohem Stress und hoher Motivation von Schülern, Studierenden und arbeitenden Personen in Deutschland erlebt werden. Beispielsweise befragte die Forscherin Studierende an der Universität Jena über ein gesamtes Semester hinweg in jeder Veranstaltung einer Vorlesungsreihe dreimal über ihre aktuelle Motivation, in einem Pilotprojekt unter Leitung von Dr. Julia Dietrich und Prof. Dr. Bärbel Kracke von der Universität Jena und in Kooperation mit Professor Jaana Viljaranta von der University of Eastern Finland, Joensuu.
Als nächstes plant Moeller den Einsatz weiterer innovativer Methoden der Emotionsmessung, beispielsweise mit Hilfe von Geräten, die in Echtzeit die Herzraten und damit das Stress-, Erholungs-, Schlaf- und Bewegungsverhalten von Studienteilnehmern erfassen. In diesen geplanten Studien sucht sie nach Wegen, die Lehre individueller, persönlicher und dadurch motivierender zu gestalten und gleichzeitig Lehrenden zu zeigen, wie digitale Medien zur Motivationssteigerung und Stressreduktion von Lernenden eingesetzt werden können.
Diese neuen Studien finden in enger Zusammenarbeit mit internationalen und nationalen Kooperationspartnern statt, beispielsweise in gemeinsamen Projekten mit dem Yale Center for Emotional Intelligence, der University of Helsinki und der University of Eastern Finland, der University of California, Irvine und der Maximilian-Ludwig-Universität in München.
App gibt Tipps zur Regulierung negativer Gefühle
Ein Ziel der Schüler-Studien war es Dr. Moeller zufolge, das Schul- und Lernklima zu verbessern. So könne die gleiche App, welche Fragen aussende, auch direkt in der Lernsituation Tipps zur Regulierung negativer Gefühle wie Stress oder Angst geben. Die Schüler bekämen auch die Möglichkeit, anonym ihre Emotionen im Unterricht mitzuteilen. Die Lehrkräfte erhielten somit Rückmeldung über die zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihren Klassen überwiegenden Gefühle.
Zur Unterstützung dieser Arbeit hofft die Nachwuchsforscherin nun auch auf Spenden alter Smartphones aus der Bevölkerung, welche die Forschung am Institut für Bildungswissenschaften sehr voranbringen könnten. „Wir freuen uns immer über Spenden alter Smartphones mit Android oder Apple-Betriebssystemen, genauso wie über Nachrichten von Lehrkräften oder Unternehmen, die daran interessiert sind, die Emotionen und Motivationen ihrer Schüler oder Arbeitnehmer zu erfassen“, so Dr. Moeller.
Originaltitel der Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Emotion“:
„Mixed Emotions: Network Analyses of Intra-Individual Co-Occurrences Within and Across Situations“
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