Die arabische Literaturgeschichte völlig neu zu schreiben – das ist das Ziel von Dr. phil. habil. Verena Klemm, Professorin für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Leipzig und Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Ihr Projekt Bibliotheca Arabica – Neue Geschichte der arabischen Literatur wird zum 1. Januar in das von Bund und Ländern finanzierte Akademienprogamm aufgenommen, das von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert wird und als derzeit größtes geisteswissenschaftliches Forschungsprogramm der Bundesrepublik Deutschland der Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung kulturellen Erbes dient. Mit einer Laufzeit von 18 Jahren und einem jährlichen Fördervolumen von mehr als 400.000 Euro beträgt die Gesamtförderung des geisteswissenschaftlichen Grundlagenprojekts insgesamt 7,5 Millionen Euro.
Wer hat wann welche arabischen Bücher zwischen dem 12. und dem 19. Jahrhundert gelesen, geschrieben, kopiert, besessen und verliehen? Diese Fragen interessieren die Forscherinnen und Forscher um Prof. Klemm besonders. Mit dem Projekt Bibliotheca Arabica sollen weitreichende Erkenntnisse zur arabischen literarischen Produktion in ihren sozialen Kontexten gewonnen werden.
Über das literarische, kulturelle und soziale Leben aus den sieben Jahrhunderten der sogenannten nachklassischen Zeit ist bislang nur wenig bekannt. Quellen aus dieser Epoche wurden kaum erschlossen und erforscht, weil sie lange als Zeit des Niedergangs der arabisch-islamischen Kultur nach ihrer klassischen Blütezeit verstanden wurde. Zu Unrecht, findet Prof. Dr. Klemm: „Die arabische Literatur wird seit fast 1400 Jahren überliefert. Kaum eine vormoderne Buchkultur war so produktiv, vielfältig und lebendig wie die arabisch-islamische.“
In den zu Millionen überlieferten Handschriften finden sich Werke der schönen Literatur und Epik, aber auch Enzyklopädien, Biographien, Chroniken, Lexika und eine große Bandbreite von Werken der religiösen und säkularen Wissenschaften wie Grammatik und Medizin. Es gibt auch höchst Individuell-Kreatives wie Reiseberichte, Spottgedichte, Kochbücher und vieles mehr. Die Forscherinnen und Forscher interessieren die Werke und ebenso die Menschen, die eine Beziehung zu ihnen hatten: Autoren, die über bestimmte Thematiken geschrieben haben, Leser, die die Bücher gelesen, vor Ort in Bibliotheken gesammelt haben oder Gelehrte, die sie über Zeiten und Räume hinweg weitergaben und kommentierten. Besonders die Auswirkungen von politischen und sozialen Veränderungen auf die Menschen und ihre Bücher während der Herrschaft der Mamluken und Osmanen in Ägypten, Syrien und Anatolien stehen dabei im Fokus.
„Ich freue mich sehr, dass die Sächsische Akademie der Wissenschaften mit einem von insgesamt drei bewilligten Projekten wieder ein neues Vorhaben im Akademienprogramm realisieren kann. Mit der Bibliotheca Arabica kann die Arbeit an einem für zahlreiche Disziplinen wichtigen Grundlagenprojekt begonnen werden; die enge Kooperation mit der Universität Leipzig wird dabei für alle Beteiligten ein großer Gewinn sein“, so Akademiepräsident Hans Wiesmeth.
Künftig soll die digitale Plattform Bibliotheca Arabica das zentrale Arbeitsinstrument der Arabistik, Islamwissenschaft und der Nachbardisziplinen werden. Forscherinnen und Forscher aus aller Welt soll es damit erleichtert werden, das kulturelle Erbe zu erschließen und zu sichern. Erfasst werden dabei keine Volltexte, sondern Metadaten wie Autorennamen, Titel, zeit- und ortsspezifische Daten sowie Namen der Menschen, die die Bücher handschriftlich kopiert haben oder Notizen darin hinterlassen haben. Auch diese kleinen Kritzeleien werden erfasst, da sie wertvolle Informationen zur Geschichte, Benutzung und Sammlung der Werke liefern. Die öffentliche Präsentation der digitalen Plattform erfolgt auf Deutsch, Englisch und Arabisch.
Die Datenbank soll nicht nur archivieren, sondern ständig aktualisiert und erweitert werden. Intelligente Suchfunktionen sollen es ermöglichen, Zusammenhänge zu erkennen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dazu kommen moderne Graphendatenbanksysteme zum Einsatz, die es erlauben, Einträge gemeinsam mit ihren forschungsrelevanten Kontexten zu erfassen und sie untereinander sowie mit externen Wissensbasen zu verknüpfen. Dadurch werden individuelle und interaktive Rechercheanwendungen für Fachexperten vereinfacht. Die technologische Umsetzung des Projekts begleitet das Institut für Informatik an der Universität Leipzig: „Ich freue mich sehr über die Möglichkeit, am Standort Leipzig mit langfristiger Perspektive an neuen Informatikverfahren und Best Practices für die Synthese von Digital Humanities und arabistischer Literaturgeschichtsschreibung zu arbeiten“, sagt Prof. Dr. Gerhard Heyer von der Abteilung Automatische Sprachverarbeitung des Instituts für Informatik zur Projektbewilligung. Neben dem technischen Know-How leistet das Institut für Informatik auch Unterstützung bei der wissenschaftlichen Qualifizierung der Projektmitarbeiter.
Keine Kommentare bisher