Wir, das Queer Refugees Network Leipzig des RosaLinde Leipzig e.V., unterstützen lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und inter* (LSBTI*) Geflüchtete. Vor wenigen Tagen erhielt eine im Projekt angebundene Regenbogenfamilie aus Tunesien einen Ablehnungsbescheid des BAMF. Die Familie floh aus Tunesien, nachdem bekannt wurde, dass der Vater bisexuell ist. Seine Familie verfolgte ihn und drohte ihm mit dem Tod. Die Familie der Mutter versuchte, sie zur Scheidung zu zwingen, sperrte sie ein, misshandelte sie und drohte, ihr die Kinder wegzunehmen.
In seiner Begründung zum Ablehnungsbescheid führt das BAMF aus, dass der Vater bei einer Rückkehr nach Tunesien nicht mit „beachtlicher Wahrscheinlichkeit unter Verfolgung leiden wird“. Von einer solchen Verfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden sei nur dann auszugehen, wenn Homosexualität oder Bisexualität offen ausgelebt werde. Des Weiteren gäbe es „eine kleine, mehr oder weniger versteckt lebende homosexuelle Szene“. Mit dieser Begründung missachtet das BAMF geltende EU Rechtsprechung, wonach von LSBTI* Personen nicht verlangt werden darf, versteckt zu leben.
Des Weitern werden die Erlebnisse der Familie durch das BAMF als „Familienkonflikt“ bezeichnet. Es sei möglich, in einer anderen Stadt in Tunesien sicher zu leben. Wie sich die Familie, bei bestehender Kriminalisierung von homosexuellen Handlungen, im Falle einer erneuten Entdeckung schützen soll, verschweigt das BAMF.
Anders als vom BAMF Leipzig in Ablehnungsbescheid beschrieben, geht das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einer Urteilsbegründung aus diesem Jahr davon aus, dass die in Tunesien bestehenden strafrechtlichen Vorschriften „nicht nur vereinzelt angewandt werden“ und bezieht sich dabei auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur menschenrechtlichen Lage in Tunesien. Dieses Jahr wurden mindestens zwei junge Männer wegen des Verdachts auf Homosexualität zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Eine tunesische LSBTI* Organisation spricht von über 40 Verhaftungen im ersten Halbjahr 2017.
Des Weiteren berichten tunesische LSBTI* Organisationen von einer Vielzahl von Straftaten, wobei Gewalt hierbei häufig von der eigenen Familie ausgeht. Nach Ansicht der Heinrich-Böll-Stiftung herrscht eine „Athmosphäre der Straffreiheit“ für homophobe Gewalttäter.
Bereits im Januar diesen Jahres machten wir auf Ablehnungsbescheide des BAMF für LSBTI* Personen aus Tunesien aufmerksam, welche von Formfehlern, einer Missachtung geltender EU-Rechtsprechung, sowie von Unkenntnis oder Ignoranz bezüglich der Lage von LSBTI* zeugten. Die nun vorliegende Entscheidung zeigt, dass es keine Veränderung der gängigen Entscheidungspraxis gegeben hat.
Wir fordern eine Auseinandersetzung des BAMF mit der aktuellen Situation von LSBTI* Personen in Tunesien, eine Anerkennung der Fluchtursachen sowohl in diesem spezifischen Fall, aber auch für weitere schutzbedürftige LSBTI* aus Tunesien.
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