Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Staatsminister Markus Ulbig: „Das Bundesverfassungsgericht hat dem Antrag des Bundesrats, gegen die NPD ein Parteiverbot zu verhängen, heute nicht entsprochen. Ich verhehle nicht: Das ist nicht das von den Ländern erhoffte Ergebnis. Der Antrag auf ein Parteiverbot war mit der ganz ausdrücklichen Hoffnung verbunden, ein deutliches Zeichen zu setzen und der Atmosphäre der Angst, die von der NPD in einigen Regionen Deutschlands verbreitet wird, den Nährboden zu entziehen.“
„Jedoch ist hier Folgendes zu bedenken: Bei dem Entschluss, einen Verbotsantrag zu stellen, hatten die im Bundesrat vertretenen Länder nur sehr wenige handfeste Anhaltspunkte, welche Anforderungen für einen erfolgreichen Parteiverbotsantrag erfüllt sein müssen. Das Grundgesetz – Artikel 21 – gibt dazu nur wenig her. Dort werden die Voraussetzungen nur in groben Zügen in einem Satz beschrieben. Die Länder konnten daher nur die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den bislang ausgesprochenen Parteiverboten heranziehen. Aber – die beiden einzigen Urteile hierzu datieren aus der Nachkriegszeit (1952 und 1956) – das heißt, sie sind aus völlig anderen historischen Rahmenbedingungen erwachsen: die sehr präsente, damals nur kurz zurückliegende NS-Zeit und die Unsicherheiten der Nachkriegszeit haben diese frühe Rechtsprechung zu Parteiverboten geprägt. Man war bestrebt, die noch junge Demokratie auch gegen kleinere Auswüchse an den politischen Rändern zu schützen.
Heute mussten wir erfahren: Die damals vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze sind auf unsere heutige Situation nicht mehr ohne weiteres übertragbar. Wir haben das Glück, auf rund 70 Jahre Demokratie zurückzublicken – auf ein ausgesprochen gefestigtes rechtsstaatliches System, das sich über die Jahre bewährt hat. Das Bundesverfassungsgericht traut es unserer Demokratie zu, verfassungsfeindlichen Parteien von Größe und Einfluss der NPD auch ohne ein Parteiverbot die Stirn bieten zu können. Und was in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen ist: Die Voraussetzungen im Jahr 2013, also zum Zeitpunkt der Stellung des Verbotsantrags, waren durchaus andere als jetzt. Damals war die NPD noch in zwei Länderparlamenten präsent, in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen. Damals war dies für mich persönlich auch einer der Hauptgründe, gemeinsam mit anderen Ländern im Bundesrat auf die Stellung eines Verbotsantrags hinzuwirken.
Nun ist die Lage eine andere: Der NPD ist der Wiedereinzug in beide Landtage nicht geglückt. Sie ist nun in keinem deutschen Parlament mehr vertreten – weder im Bundestag noch in den 16 Landtagen. Und schon die Tatsache, dass gegen die Partei ein Verbotsverfahren betrieben wurde, hat die Partei – jedenfalls konnten wir das bei uns in Sachsen feststellen – in eine starke Lethargie fallen lassen. Die Partei zeigt kaum mehr nennenswerte Aktivitäten und der Mitgliederbestand hat sich deutlich reduziert.
Wie die Partei nun auf das Urteil reagieren wird, bleibt abzuwarten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie die inhaltliche Zurückhaltung, die sie sich offenbar vor dem Hintergrund des Verbotsverfahrens verordnet hat, wieder aufgeben und erneut radikalere Töne anschlagen wird. Wir werden dies sehr genau beobachten.
Was ich am heutigen Tag aber besonders hervorheben möchte: Die gute Vorbereitung des Verbotsverfahrens hat dieses für die künftige Praxis ungeheuer wichtige Urteil in der Sache erst ermöglicht. Dem Grundsatz der Staatsfreiheit im Sinne eines fairen Verfahrens wurde in diesem zweiten NPD-Verbotsverfahren in vollem Umfang Rechnung getragen, und zwar sowohl im Hinblick auf die Abschaltung der V-Leute als auch im Hinblick auf die Quellenfreiheit des Beweismaterials. Das vorliegende Urteil wird nun zeigen, was das Instrument des Parteiverbots im 21. Jahrhundert bedeutet. Es zeigt uns, wie weit Parteien gehen dürfen und wo die verfassungsrechtlichen Grenzen ihrer parteipolitischen Inhalte und Aktivitäten liegen. Es wird eine wichtige Leitschnur sein für den künftigen Umgang mit extremistischen Parteien.
Abschließend möchte ich hier aber noch in aller Deutlichkeit festhalten, dass nach dem heutigen Urteilsspruch eine Sache amtlich ist: Die NPD erfüllt derzeit zwar nicht die Voraussetzungen eines Verbots. Sie bleibt aber eine rechtsextremistische, verfassungsfeindliche Partei und sie wird als solche weiter von den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern beobachtet werden. Geboten waren und sind weiterhin effektive Präventionsmaßnamen, z. B. eine umfassende Aufklärung über die menschenverachtenden Ziele von Rechtsextremisten, vor allem in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, aber auch das Auflegen vielfältiger Aussteiger- und Deradikalisierungsprogramme, um Extremisten jeder Couleur für unsere Demokratie zurückzugewinnen. Gefordert sind aber nun nicht allein politische Reaktionen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Engagement aller Bürger. Wir alle sind dazu aufgerufen, uns mit den Extremisten aller politischen Ränder auseinanderzusetzen. Das sollte unser Beitrag sein für eine freiheitliche demokratische Gesellschaft.“
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