„Von Atatürk bis Erdoğan. Religion und Politik in der Türkei“ ist der Titel eines öffentlichen Vortrags, zu dem Dr. Markus Dreßler, Religionswissenschaftler an der Universität Leipzig, am 6. Dezember um 20 Uhr in die Bibliotheca Albertina (Beethovenstraße 6) in Leipzig einlädt. Er bietet einen Überblick über Kontinuitäten und Diskontinuitäten türkischer Religionspolitik seit der Gründungsphase des türkischen Nationalstaats in den frühen 1920er Jahren. Vor diesem Hintergrund werden dann auch die jüngeren Entwicklungen in der Türkei beleuchtet. Im Anschluss gibt es die Möglichkeit zur Diskussion.

Dreßler, Senior Researcher in der Kolleg-Forschergruppe „Multiple Secularities – Beyond the West, Beyond Modernities“ an der Universität Leipzig, beschäftigt sich in seinen Forschungen intensiv mit dem Verhältnis von Religion, Staat und Gesellschaft in der Türkei.

Herr Dr. Dreßler, welche Rolle spielt die Religion in der umstrittenen Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan?

In der säkularistischen Perspektive des Staatsgründers der Türkei, Kemal Atatürk, galt Religion als potenzielle Bedrohung des republikanischen Nationalstaats. Diese religionskritische Sicht wurde in der Ideologie des Kemalismus institutionalisiert und war bis anfangs unseres Jahrhunderts hinein ein Leitmotiv des türkischen Staates. Deshalb war die Religion bis vor kurzem auch weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannt. Jetzt hat sich das geändert. Im post-kemalistischen Staat wurde Religion in der Öffentlichkeit und auch in der Politik aufgewertet. Erdoğan bezieht sich in seiner Politik nicht nur, aber eben auch auf religiöse Werte und Traditionen. Das ist sicher ein Grund, warum er unter traditionell religiös orientierten Bevölkerungsteilen des Landes sehr beliebt ist. Noch bis vor wenigen Jahren fühlten sich Menschen aus den oft ärmeren konservativen Bevölkerungsschichten säkularen Türken gegenüber benachteiligt. Durch die jetzige Politik Erdoğans sehen sie sich selbst und ihre Religion aufgewertet.

Es gibt aber auch einen nicht unbeträchtlichen Teil der türkischen Bevölkerung, der Erdoğans Politik sehr kritisch gegenübersteht. Hat das auch religiöse Gründe?

Viele der Gegner Erdoğans sind heute eher dem säkularen Lager zuzurechnen oder einer der religiösen oder ethnischen Minderheiten. Es gibt in der Tat aber auch fromme Muslime, die Erdoğan gerade aus religiösen Gründen nicht wählen, da er ihrer Ansicht nach traditionelle islamische Werte dadurch unterlaufen würde, dass er sich zu sehr dem Kapitalismus verschrieben habe und islamische Werte von sozialer Gerechtigkeit vernachlässige. Sie kritisieren zudem, dass er die Religion für seine Politik instrumentalisieren würde oder dass sein öffentliches Auftreten traditionellen islamischen Werten von Bescheidenheit, Mäßigung und Friedfertigkeit zuwiderlaufe.

Hinweis: PD Dr. Markus Dreßler ist einer von mehr als 120 Experten der Universität Leipzig, auf deren Fachwissen Sie mithilfe unseres Expertendienstes zurückgreifen können.

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