Mittlerweile wurden zwei Urteile rechtskräftig, die die 1. Kammer des Verwaltungsgerichtes Leipzig im Juni dieses Jahres gefällt hat. Beide drehen sich um Videografie-Aktivitäten durch die Polizei im Rahmen von Demonstrationen. Juliane Nagel, datenschutzpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag und in beiden Verfahren Klägerin, kommentiert die Urteile des Gerichtes: „Das Verwaltungsgericht hat mit seinen Urteilen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gestärkt und die Praxis der Polizei, auch willkürlich Videoaufnahmen von VersammlungsteilnehmerInnen anzufertigen, in die Schranken gewiesen.“

„Das ist gut so, denn als Versammlungsleiterin ist man dieser intransparenten polizeilichen Praxis auf der Straße oft ohnmächtig ausgeliefert, da die Deutungshoheit in der Regel bei der Polizei liegt. Umso wichtiger ist es, die Rechtmäßigkeit zweifelhafter polizeilichen Maßnahmen zu überprüfen. Videografie stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff dar. Dem muss sich auch die Polizei bewusst sein und verantwortungsvoll damit umgehen.“

Im ersten Fall begehrte die Versammlungsleiterin der Demonstration „Schokoladen retten – Günstigen Wohnraum und alternative Projekte erhalten“, die am 21.2.2011 in Leipzig stattfand, die Rechtswidrigkeit von Filmaufnahmen durch die Polizei festzustellen. Die Demonstration war ohne Zwischenfälle von Leipzig-Connewitz in die Innenstadt verlaufen. Nichts desto trotz war während der gesamten Demonstration eine auf einem Kleintransporter der Polizei befestigte Kamera auf die Demonstration gerichtet. Ob tatsächlich Aufnahmen von der Demonstration gefertigt wurden, war für die Versammlungsleiterin und die Teilnehmenden nicht erkennbar. Zudem gab es dazu widersprüchliche Aussagen verschiedener Polizeibeamter.

In dem Verfahren wurde zwar festgestellt, dass – entgegen der Behauptung eines Polizeibeamten vor Ort – mit der Kamera keine Aufzeichnungen getätigt wurden, die Kamera war jedoch durchgängig auf den Demonstrationszug gerichtet und übertrug Bilder in das Innere des Transporters, wo diese auf einem Monitor einsehbar waren. Das Verwaltungsgericht stellte in seinem Urteil (1 K 259/12) fest, dass es sich „bereits beim Vorhalten der eingeschalteten Kamera […] um einen Eingriff in das Recht der Klägerin aus Artikel 8 Abs. 1 Grundgesetz“ handelt, „der einer rechtlichen Grundlage bedurfte“. Auch die „bloße Übertragung von Kamerabildern auf einen Monitor, ohne dass dabei eine Aufzeichnung erfolgt, stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit dar“, so das Verwaltungsgericht. Das Beobachten durch eine Kamera ermöglicht „eine andere Qualität und Quantität der Beobachtung“, als die mit dem bloßen Auge. Dadurch dass die Versammlungsteilnehmer nicht einschätzen können ob die Kamera eingeschaltet und auf ihn/sie gerichtet ist, entsteht ein Anpassungsdruck, der dazu führen kann, dass Menschen ihr Grundrecht nicht mehr wahrnehmen.

Der zweite Fall betraf eine Demonstration am 11.11.2012, die unter dem Motto „Gegen jeden Sozialdarwinismus“ durch die Leipziger Innenstadt zog. Auch hier begehrte die Versammlungsleiterin feststellen zu lassen, dass durch die Polizei widerrechtlich Videoaufnahmen gefertigt wurden. Entgegen der mehrfach wiederholten Aussagen von Einsatzleiterin und Polizeibeamten vor Ort, konnte in diesem Fall nachgewiesen werden, dass wiederum mittels einer auf einem Polizeitransporter installierten Kamera tatsächlich Videoaufnahmen angefertigt wurden. Die Demonstration war ebenfalls – bis auf einen behaupteten Auflagenverstoß – ohne Zwischenfälle verlaufen. Das Verwaltungsgericht stellte in dem Urteil (AZ 1 K 222/13) nunmehr fest, dass geringfügige Auflagenverstöße keine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ darstellen, was laut Sächsischem Versammlungsgesetz Voraussetzung für die Anfertigung von Videoaufnahmen wäre. Auch in diesem Zusammenhang stellt das Verwaltungsgericht fest, dass der „Eingriff in das Grundrecht durch Bildaufnahmen erheblich“ ist und Einfluss auf die Wahrnehmung dieses Grundrechtes hat.

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