In den kommenden drei Monaten gewährt das Museum der bildenden Künste Leipzig zwei Fluchtautos des in Dresden lebenden Künstlers Manaf Halbouni Aufnahme. Halbouni entwickelte die Idee der künstlerischen Adaption von Fluchtautos in Reaktion auf die Pegida-Demonstrationen Anfang des Jahres 2015 (Sachse auf der Flucht). Bereits im Jahr 2014 hatte er mit der Arbeit Entwurzelt dem Gefühl der Zerrissenheit und Entwurzelung durch ein mit Hausrat bepacktes, aber nicht mehr fahrtüchtiges Fahrzeug Ausdruck verliehen. Bei Sachse auf der Flucht parkte der deutsch-syrische Künstler am Versammlungsort der Pegida-Demonstranten einen dunklen Mercedes, auf dessen Dachgepäckträger „klischeehafte Habseligkeiten“ (Halbouni) wie Gartenzwerge, ein Sonnenschirm, ein Bierkasten der Marke Radeberger und ein Kühlschrank verstaut waren.

Der Künstler rief dazu auf, sich vor dem Auto fotografieren zu lassen und ihm die Bilder zur Veröffentlichung im Internet zuzuschicken. Auf ironische Art konnte man sich mit Geflüchteten fremder Länder solidarisieren und eine Gegenöffentlichkeit bilden, zugleich aber auch den eigenen Fluchtreflex vor der bedrohlich anwachsenden Fremdenfeindlichkeit im eigenen Land bezeugen.

Unter dem Projekttitel Nowhere is Home zeigt Halbouni in Leipzig zwei mit Hausrat bepackte Autos der Marke Volkswagen. Die beiden VW Polos wurden zuvor im Begleitprogramm der Biennale in Venedig 2015 und im Victoria and Albert Museum London präsentiert. Zu sehen sind hier nicht mobile Statussymbole, die einer um ihren Wohlstand und Sicherheit fürchtenden bürgerlichen Mittelschicht gehören könnten, sondern ältere Modelle niedrigpreisiger Kleinwagen. Auf dem Dach der Autos türmen sich Koffer, Bierkästen, ein Keyboard, ein Teppich und anderer Hausrat. Das Mobiliar ist nicht als Inszenierung einer verarmten Unterschicht angeblich unterentwickelter Länder zu verstehen, sondern einer globalisierten und auch in Deutschland vorherrschenden Konsum- und Wohnkultur zuzurechnen. Ebenso wie bei seiner Arbeit Sachse auf der Flucht stellt Halbouni mit dem Verzicht auf eine stereotype, exotisierende Auswahl des Hausrats die Frage des flüchtenden Subjekts wieder neu: Wer flüchtet vor wem aus welchem Grund?

Manaf Halbouni, Nowhere is Home (Fluchtauto Venedig), 2015. Foto: Punctum/B. Kober
Manaf Halbouni, Nowhere is Home (Fluchtauto Venedig), 2015. Foto: Punctum/B. Kober

Am Sonntag, 10. April 2016, um 11 Uhr, gibt Manaf Halbouni im Gespräch mit Dr. Frédéric Bußmann Auskunft über die Entstehung und seine Erfahrungen mit den Reaktionen auf sein Werk.

Manaf Halbouni

geboren 1984 in Damaskus, lebt und arbeitet in Dresden | 2005–2008 Studium der Bildhauerei an der Universität der Schönen Künste Damaskus | 2009–2014 Studium der Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Fachklasse Prof. Eberhard Bosslet, seit 2014 Meisterschüler | 2014 DAAD-Preis für hervorragende Leistungen ausländischer Studierender | 2015 Preisträger des Deutschland Stipendiums

www.manaf-halbouni.com

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar