Der Diskriminierungsschutz im Pressekodex bleibt bestehen. Das beschlossen die Mitglieder des Plenums im Anschluss an eine Expertenrunde am heutigen Mittwoch in Berlin. Die Mitglieder des Plenums machten deutlich, dass sich Journalisten bei der Berichterstattung über die Herkunft von Straftätern stets in einer anspruchsvollen Entscheidungssituation befinden.
„Sie müssen im Einzelfall verantwortlich entscheiden, ob Informationen über die Herkunft von Straftätern von Gewicht sind, um den berichteten Vorgang verstehen oder einordnen zu können. Dabei folgen sie ihrer grundlegenden, professionellen Aufgabe, aus einer Flut von Informationen stets eine Auswahl nach Bedeutung zu treffen. Immer, wenn die Veröffentlichung einer Information die Gefahr diskriminierender Effekte enthält, ist besonders hohe Sensibilität gefordert. Den Vorwurf des Verschweigens und der Zensur weist der Presserat ausdrücklich zurück. Wenn Redaktionen Informationen nicht veröffentlichen, weil ihre Bedeutung für das Verständnis gering, die Diskriminierungsgefahr aber hoch ist, handeln sie nicht unlauter, sondern verantwortungsbewusst“, sagte Manfred Protze, Sprecher des Presserats.
„Der Presserat ist nicht der Vormund von Journalisten und Medien, er gibt mit seinem Kodex lediglich Handlungsorientierungen. Die Eigenständigkeit der Entscheidung von Redaktionen wird damit nicht tangiert. Es gibt kein Verbot, die Herkunft von Straftätern oder Tatverdächtigen zu nennen. Es gibt lediglich das Gebot, diese Herkunftsinformation zu unterlassen, wenn die Diskriminierungsgefahr höher zu veranschlagen ist als die Information zum Verständnis des berichteten Vorgangs beiträgt“, sagte Protze. Ziel des Diskriminierungsschutzes ist es, jeweils die Gruppe, der ein Straftäter angehört, nicht durch das Fehlverhalten einzelner Angehöriger im Ansehen herabzusetzen.
Dem Presserat ist berichtet worden, dass es in einzelnen Redaktionen Unsicherheiten bei der Anwendung des Kodex in diesem Punkt gibt. Hier bietet der Presserat jede geeignete Hilfestellung an.
Ziffer 12, Richtlinie 12.1:
„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“, heißt es in Ziffer 12, Richtlinie 12.1.
Es gibt 8 Kommentare
Hallo Stefan,
die abstrakten Sätze sollten nicht verwirren. Ich löse das nochmal deutlicher auf.
Die Emanzipation (vieler Redaktionen) von einer (bisher vom Presserat vorgegebenen) flächendeckenden Anonymisierung – bei tlw. Sinnentstellung der Artikel – nimmt weiter zu.
Ist also gleichbedeutend mit “es halten sich immer weniger dran wenn es keinen Sinn macht – und sie trauen sich das auch”…
Die Anonymisierung führt jede Redaktion als freiwillige Selbstzensur durch, indem sie sich vollständig an die Regelung des Presserates hält – und das ist eine ethisch moralische Diskussion ob/wann man sich daran hält.
P.S.: Die Schnürsenkelfarbe gibt Aufschluß über das Lager, leider nicht über die Gefährlichkeit 🙂
Bzgl. Köln gibt es mehrere rechtskräftige Verurteilungen. In diesen Fällen sind somit auch die Nationalität/Herkunftsländer bekannt geworden, zum Nachlesen reicht eine kurze Suchanfrage bei Google – keine Suggestion notwendig! Unser Außenminister hat letzte Woche mit Marokko einen Vertrag zur Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern schließen können. Im Interview nannte er als erste Gruppe die “straffälligen, abgelehnten Asylbewerber” sowie die “sich mit falscher Nationalität ausweisender Asylbewerber”. Beide Gruppen scheinen demnach in zählbarer Anzahl zu existieren. Ich kann das Ausnutzen der Syrienregelung sogar menschlich nachvollziehen. Die Straftaten jedoch nicht mehr. Wirklich nicht.
“burschikos aggressiv” würde ich auch gern als Beschreibung in der Pressemitteilung lesen.
Es geht schlichtweg darum, ob und wann die bekannten Informationen über (potentielle) Täter kommunziert werden oder nicht.
Und ich halte es hier für falsch bei Nationalität und Herkunft eine Ausnahme zu machen. Ich bin für eine transparentere Gesellschaft – dazu gehört natürlich immer die Fähigkeit zu differenzieren und eigene Vorurteile zu hinterfragen. In diesem Sinne werde ich auch mein P.S.: bei nächster Möglichkeit hinterfragen. Soll ja auch nicht gewalttätige Linksradikale geben 🙂
Lieber Dirk, vielen Dank erstmal, dass Sie sachlich argumentieren. Das ist wirklich wohltuend, nachdem was hier in den letzten zwölf Monaten abgegangen ist.
Aber von wegen “nochmals lesen”. Hier zwei ausgearbeitete Sätze von Ihnen:
>Die Emanzipation von einer flächendeckenden Anonymisierung – bei tlw. Sinnentstellung der Artikel – nimmt weiter zu.
und später (als Erklärung?)
>Die Anonymisierung nimmt ab, da die Präventation weiterer Straftaten auch darin besteht Profile/Gemeinsamkeiten/Orte etc. erhöhter Kriminalität zu kennen – und meiden zu können.
Auf wen/was bezieht sich die Emanzipation: Wer emanzipiert sich? Von was? Wogegen? Wer eigentlich führt diese Anonymisierung durch?
Egal. Aus dem, was Sie konkret beschrieben haben, werde ich deutlich schlauer, auch wenn ich Ihre abstrakten Sätze dann immer noch nicht einsortiert kriege.
Sicher ist, dass ich in Berlin-Neukölln (Nord-Neukölln) den gleichen Jungmännertypen ausweiche wie in Leipzig-Lindenau, auch wenn erstere mutmaßlich Migrationshintergründler und letztere mutmaßlich Schweinchenrosafarbene mit langem ostsächsischen Stammbaum sein mögen. Es ist das burschikos-aggressive Gehabe solcher Menschen, worauf ich achte – nicht auf die türkisch oder sächsisch wirkende Hautfarbe. Dass die Kleidung (grüne Blazer) dem entspricht, sollte meinen Eindruck nur verstärken. Ich empfehle übrigens, bei Stiefeln auf die Farbe der Schnürsenkel zu achten.
Und ich finde es immer wieder lustig, wenn in der Tram die Leipziger Oma mehr Angst bekommt, wenn sich zwei gepiercte bunthaarige Typen (mit roten Schnürsenkeln) zu ihr setzen (ohne die Oma weiter zu beachten), als ein Glatzkopf mit Frakturschrift hintendrauf und Hund (ohne Maulkorb natürlich) vornemit, der sich über die schwarzen Schnürsenkel legt. Soviel zum Thema Menschenkenntnis.
Dass die Ermittlungsbehörden Profile anlegen, sei ihnen unbenommen (es gab ja mal die Diskussion, ob in den Akten(!) die Wörter “südländisch”, “nordeuropäisch” etc. verwendet dürfen), weil es letztlich nicht drauf ankommt – es ist am Ende dem individuellen Täter das Fehlverhalten nachzuweisen, und da ist die Angabe des Profil, dem er zugeordnet wird, sowieso verfehlt. Mir sind auch die Experimente mancher Großstadtpolizeien bekannt, bei denen Computer vorhersagen(!), in welchem Stadtviertel höchstwahrscheinlich sich ein weiterer Delikt zutragen wird. Trotzdem ist das alles Information, was m.E. klar nur den Ermittlungsbehörden vorbehalten ist und nicht in einen öffentlichen Zeitungsartikel gehört.
Und wie böse man mit Profilen danebenliegen kann, ist an den NSU-Morden sehr deutlich geworden: Es hieß jahrelang bei den Ermittlungen zu diesen Morden, dass Tötungen “eigentlich” nicht zum Deliktbereich deutscher Extremisten gehören – für die zehn NSU-Morde hat man auch deswegen immer ausländische Täter im Visier gehabt.
Um den Bogen zu den Journalisten zu spannen: Es gibt sehr wohl Infos, die den Polizisten nützlich sind und die von ihnen auch mit der nötigen Vorsicht behandelt werden, die aber nicht in einen Text für die breite Masse gehören.
Der Fehler von “Köln” war nicht, dass nicht gesagt wurde, dass es “nordafrikanisch” aussehende Männer waren, sondern dass die Vorfälle insgesamt zunächst verschwiegen wurden. (Woher kommt die “Information”, dass die “identifizierten” Täter aus Marokko und Tunesien stammen? Soviele Täter hat man noch gar nicht identifiziert, aber man will dann schon genau “Bescheid” wissen – oder wie ist das? Immer diese suggestiven Sätzchen…)
Ich seh immer noch keinen Grund, die Herkunft eines Tatverdächtigen zu nennen, solang es nicht für eine öffentliche Fahndung gebraucht wird. Nur um ihnen die richtige Strassenseite aufzuzeigen ist mir das zu wenig, sorry.
Die von Ihnen genannte Nebenwirkung ist vorhanden. Leider.
Dennoch haben sie die Wirkung recht gut beschrieben.
Man meidet bestimmte Orte, Zeiten, Menschen.
Ich zum Beispiel meide Gruppen von mehr als zwei in grüne Blazer und enge Jeans bekleidete meist glatzköpfige Männer. Gelernt hab ich das aus den Medien. Vielleicht wechsle ich dadurch auch mal völlig unnötigerweise die Strassenseite – sei es drum.
“Die Anonymisierung nimmt ab, da die Präventation weiterer Straftaten auch darin besteht Profile/Gemeinsamkeiten/Orte etc. erhöhter Kriminalität zu kennen – und meiden zu können.”
Das ist natürlich für Ermittlungsbehörden wichtig, aber wie hilft das Wissen um die Herkunft der Täter dem Leser bei der Vermeidung solcher Situationen?
Schütz ich mein Haus anders wenn ich weiß, welcher Herkunft die aktuell anwesende Einbrecherbande ist? Bei türkischstämmigen Handtascheräuber meide ich Ortsteile mit hoher Anzahl türkischer Anwohner?
Ich seh da weder eine Notwendigkeit noch ein Interesse für den Leser. Es sei denn, man braucht ein paar Argumente für die eigenen, meist wenig bis gar nicht belegbaren Hetzereien gegen bestimmte Volksgruppen.
Stefan, bitte nochmal lesen. Die Anonymisierung nimmt ab, da die Präventation weiterer Straftaten auch darin besteht Profile/Gemeinsamkeiten/Orte etc. erhöhter Kriminalität zu kennen – und meiden zu können.
Und ja, ich kann auch Franzosen, Belgier und Holländer nicht auseinanderhalten.
Daher spricht man in der regel von “Nordeuropäisch, Südeuropäisch, Asiatisch, Osteuropäisch, Nordafrikanisch, Arabisch etc.
Das kriegt der Durchschnittsbürger als Zeuge dann doch meistens noch hin 🙂
Wichtig ist doch IMHO nur die Freiheit der Journalisten selber zu entscheiden, wann und wo welche “Metadaten” der Täter/Opfer für die Berichterstattung relevant sind, und welche nicht.
Und genau daher fand die Runde statt, um zu versuchen den gefühlten “Maulkorb” abzulegen, da gerade mit Hinweis auf diese Regelung den einzelnen Redaktionen oft heftiger Gegenwind bei Nennung derartiger – potentiell zur Diskriminierung nutzbarer – Daten entgegen blies. Der Wind wird weniger. Gut so. Mehr Freiheit.
P.S.: Es ist auch unerheblich ob die nordafrikanisch aussehenden Personen (die Identifizierten stammen in der Tat aus Marokko und Tunesien – soweit zu der Qualität der Zeugenaussagen) eine deutsche Staatsbürgerschaft haben oder nicht. Offenbar haben sie eines gemeinsam: Ihr Herkunftsland und dessen Kultur. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, daß alle Menschen dieses Landes derartige Straftaten begehen. Und auch nicht, daß Integration nicht möglich ist. Schwierig ist sie dennoch. Die arabische Kultur zu ignorieren, ist falsch.
Empfehlung: Wadjda sehen – ein mutiger Film aus Saudi Arabien.
>Zum Beispiel indem man IMMER die Nationalität und das Geschlecht bei Straftatsverdächtigen angibt….
Hier eine mittlerweile legendäre Überschrift(!) in der LVZ: “Auto gegen Baum – drei Türken tot”.
Sicherlich gab es Leser, die sich über diese Schlagzeile gefreut haben.
Seit “Köln” meinen einige “Scharfsinnige” jetzt, grundsätzlich alle nichtdeutschen (im Sinne der Staatsangehörigkeit) Straftäter zu journalistischem Freiwild erklären zu wollen. Dabei ist rein sachlich noch gar nicht erwiesen, ob diese “nordafrikanisch” aussehenden Männer nicht sowieso Deutsche waren.
Ich kann mich ohnehin nur beömmeln, dass “biodeutsche” Leute sich einbilden, im Nachtschatten Nordafrikaner von Nahostlern (Libanon & Co) unterscheiden zu können.
Mir ist es in der Tat lieber, dass diese “flächendeckende Anonymisierung” zunimmt. Jawohl.
Die Emanzipation von einer flächendeckenden Anonymisierung – bei tlw. Sinnentstellung der Artikel – nimmt weiter zu.
Diverse Redaktionen in Deutschland werden sich nach eigenem Bekunden künftig abweichend zur Allgemeinen Formulierung verhalten.
Zum Beispiel indem man IMMER die Nationalität und das Geschlecht bei Straftatsverdächtigen angibt….