"Es ist ein Ort an dem das Leben stillsteht - keiner weiß wie lange. Ein Ort an dem die Zeit stillsteht und die Menschlichkeit einen sehr langsamen Tod stirbt", beschreibt F., ein Bewohner der Interim-Erstaufnahmeeinrichtung Böhlen, die unerträgliche Situation der 250 Asylsuchenden vor Ort.
Während in diesen Tagen Tausende in Deutschland ankommende Flüchtende auf Bahnsteigen begrüßen, fühlen sich der bereits angekommene Syrer und sein Mitstreiter vergessen. Nachdem ein Termin dem 36-Jährigen nicht rechtzeitig mitgeteilt wurde, wartet er vergeblich auf die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Eigentlich verlangt Art. 6 der Asylverfahrensrichtlinie eine Registrierung des Asylantrags spätestens nach drei Tagen, doch F. wartet bereits seit 6 Wochen auf diese Möglichkeit. Wie er hängen auch andere BewohnerInnen der Unterkunft seit mehreren Monaten mit einer sogenannten BÜMA (Bescheinigung über Meldung als Asylsuchender) in der Luft. Sie sind der Residenzpflicht unterworfen und dürfen sich nur im Landkreis Leipzig und in der Stadt Leipzig aufhalten.
Der Informationsfluss in der Einrichtung ist schlecht, bisweilen fehlt er ganz. Immer wieder kursieren auch Falschaussagen der SozialarbeiterInnen und enthalten den BewohnerInnen damit Handlungsmöglichkeiten vor. Er fordere deshalb keine Sonderbehandlung, sagt F., sondern allein die Einhaltung der geltenden rechtlichen Vorgaben. Versuche, den Ausweg aus seiner Lage selbst in die Hand zu nehmen und beim BAMF in Chemnitz vorzusprechen, wurden von den Behörden stets abgewehrt. Inzwischen habe er wie viele andere BewohnerInnen einfach Angst, in Böhlen vergessen zu werden. Zudem kam es im Ort selbst vermehrt zu rassistischen Anfeindungen und Übergriffen, vor wenigen Wochen sorgten zuletzt zwei Schüsse auf die Unterkunft für überregionale Aufmerksamkeit.
So wenig überraschend diese Übergriffe angesichts der quasi rechtsterroristischen Entwicklungen in Deutschland sind, desto mehr tragen sie natürlich für die BewohnerInnen zur Angst bei. Auch stellt die Situation in Böhlen keinen Einzelfall dar, wie Proteste der BewohnerInnen eines als Erstaufnahmeeinrichtung genutzten Baumarktes in Heidenau zeigen.
Obwohl Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich vor wenigen Tagen erklärte, dass “die, die hierbleiben, […] eine sofortige Entscheidung bekommen” sollen, sieht das am vergangenen Wochenende von der Bundesregierung beschlossene Maßnahmenpaket zur Asylpolitik die Ausweitung der Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen wie Böhlen von drei auf bis zu sechs Monate vor und für diese Zeit von Geld- auf Sachleistungen für Geflüchtete zurückzukehren. Für F. und alle gleich Betroffenen bedeutet das, die “im wahrsten Sinne des Wortes tödlich geworden[e]” Routine zu verlängern, ohne dass damit die politisch herbeigeführte Überforderung (Vgl. Bertelsmann-Studie “Die Arbeitsintegration von Flüchtlingen in Deutschland”, S.16ff.) der Behörden gemindert wird.
Um nicht weiter dem endlosen Warten, der tödlichen Routine und rassistischen Übergriffen ausgesetzt zu sein, griffen F. und ein Mitstreiter zu Wochenbeginn zum einzigen Mittel, dass ihnen in ihrer Situation als selbstbestimmtes Handeln übrig zu bleiben schien: dem Hungerstreik.
In einer Stellungnahme erklärt F.: “Ich fordere keine Sonderbehandlung, sondern dass man meine Forderungen anhört und mich unterstützt. Ich fordere, dass meine Rechte als Geflüchteter geachtet werden, und die Bearbeitung meines Aufenthaltsverfahrens beschleunigt wird.”
Kim Schönberg vom Inititativkreis: Menschen. Würdig erklärt dazu: “Die Menschen in den Erstaufnahme-Einrichtungen müssen menschenwürdig behandelt und gewissenhaft rechtlich beraten werden. Das ist in Böhlen wie in anderen Erstaufnahmeinterims nicht der Fall.
Wir fordern die Aufenthaltsdauer in den Aufnahmeeinrichtungen zu verkürzen und den geflüchteten Menschen schnell eine Perspektive für ein gleichberechtigtes Leben zu geben. Es stößt auf unser Unverständnis, dass insbesondere aus Syrien Geflüchtete, deren Anerkennungsquote bei nahezu 100 % liegt, in langen Wartezeiten auf die Entscheidung ihres Asylbegehrs warten. Man kann Menschen nicht einfach isoliert wegsperren und sie auf unbestimmte Zeit warten lassen. Diese Isolationspraxis muss endlich aufhören!”
Der Inititativkreis: Menschen. Würdig fordert deshalb:
– Schluss mit der behördlichen Selbstblockade!
– Schluss mit der Isolation!
– Her mit selbstbestimmtem, dezentralem, menschenwürdigem Wohnen!
– Unterstützung für Geflüchtete nicht nur medienwirksam an Bahnhöfen, sondern auch im Asylprozess!
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